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192 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2010<br />
Busse, Einige Bemerkungen zur Nachkriegsgeschichte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Anwaltschaft<br />
Zustimmung <strong>de</strong>r SED und auch <strong>de</strong>s Justizministeriums zu achten<br />
hatte. Die Aufnahmepolitik <strong>de</strong>r Kollegien war beherrscht<br />
von <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>r Kollegiumsmitglie<strong>de</strong>r, sich durch Neuaufnahmen<br />
nicht selbst Konkurrenz zu machen. Sie lief darauf hinaus,<br />
im Wesentlichen nur die Abgänge zu ersetzen. Nennenswertes<br />
Wachstum war nicht gefragt, allerdings lange Zeit „aus<br />
Ka<strong>de</strong>rmangel“ auch nicht möglich.<br />
Entsprechend entwickelten sich die Anwaltszahlen in West und<br />
Ost auseinan<strong>de</strong>r. Im Westen waren 1950 mit knapp 13.000<br />
schon ein Drittel mehr Anwälte zugelassen als vor <strong>de</strong>m Krieg.<br />
Im Osten dagegen sank die Anwaltszahl auf knapp 1.000, d.h.<br />
auf etwa 70 % <strong>de</strong>s Vorkriegsniveaus. Bis 1989 hat sich die Anwaltszahl<br />
im Westen dann mehr als vervierfacht, im Osten mit<br />
– vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> – nur noch etwa 600 Anwälten infolge <strong>de</strong>r<br />
stan<strong>de</strong>segoistischen Ausnutzung <strong>de</strong>s Zulassungsermessens und<br />
staatlicher Steuerung nochmals um etwa 40 % reduziert. Seit<br />
<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung sind die Anwaltszahlen inzwischen um<br />
das Dreifache auf über 150.000 angestiegen. 35 Viele beklagen<br />
diese durch <strong>de</strong>n freien Zugang zum Anwaltsberuf ermöglichte<br />
Entwicklung. Die schon vor 1878 und bis heute von Stan<strong>de</strong>svertretern<br />
immer wie<strong>de</strong>r behauptete Beeinträchtigung <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />
Unabhängigkeit durch wirtschaftliche Anfälligkeit<br />
ist bis heute nicht belegt, auch wenn die Einkommen vieler Anwälte<br />
inzwischen auf ein be<strong>de</strong>nkliches Niveau abgesunken<br />
sind. Immerhin liegt das Durchschnittseinkommen <strong>de</strong>r Anwaltsnotare<br />
unter <strong>de</strong>n Freiberuflern immer noch an siebenter,<br />
das <strong>de</strong>r Nuranwälte an achter Stelle. 36 Ein Katastrophenfall<br />
scheint mir da noch weit entfernt. Außer<strong>de</strong>m: Wer Freiheit will,<br />
muss auch das mit <strong>de</strong>r Freiheit verknüpfte Risiko tragen.<br />
Ein weiterer Kernpunkt einer freien Advokatur ist <strong>de</strong>ren Unabhängigkeit<br />
vom Staat. Wer Bürger vor Machtübergriffen staatlicher<br />
Stellen, auch vor Fehlentscheidungen staatlicher Gerichte<br />
schützen soll, muss <strong>de</strong>n Rücken frei haben. Der Wahrnehmung<br />
<strong>de</strong>r ihm anvertrauten Interessen dürfen bei Beachtung <strong>de</strong>r allgemeinen<br />
Gesetze Treuepflichten gegenüber <strong>de</strong>m Staat keine<br />
Schranken setzen. Und auch <strong>de</strong>r Staatsfeind muss einen Anwalt<br />
seines Vertrauens fin<strong>de</strong>n können. Politische Unabhängigkeit<br />
wollte und konnte das SED-Regime unseren ost<strong>de</strong>utschen Kollegen<br />
nicht einräumen. Auch namhafte früher als Rechtsanwälte<br />
tätige Regimevertreter, ich nenne nur Hil<strong>de</strong> Benjamin und –<br />
aus Dres<strong>de</strong>n – Rolf Helm, die als Anwälte <strong>de</strong>r „Roten Hilfe“<br />
aus eigenem Erleben bestens wussten, wie sehr politisch verfolgte<br />
Bürger Anwälte ihres Vertrauens benötigen, wollten dies<br />
wirklichen o<strong>de</strong>r vermeintlichen Fein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s DDR-Sozialismus<br />
keinesfalls zugestehen. Die gewollte „Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats“<br />
schloss die prinzipielle Kontrolle <strong>de</strong>r Staatsmacht durch gesellschaftliche<br />
„Organe“ wie die Rechtsanwälte aus. Die von allen<br />
am Rechtswesen Beteiligten gefor<strong>de</strong>rte Wahrung <strong>de</strong>r „sozialistischen<br />
Gesetzlichkeit“ verstand man als die Summe aus <strong>de</strong>m<br />
positiven Recht und <strong>de</strong>ssen parteilicher Anwendung im Sinne<br />
<strong>de</strong>r Zielvorstellungen <strong>de</strong>r SED, gerechtfertigt durch das Dogma<br />
<strong>de</strong>r objektiven I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>s Einzelnen mit <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Gesellschaft. Entsprechend wur<strong>de</strong>n die DDR-Anwälte<br />
durch die Anwaltsgesetze auf Staatstreue verpflichtet. 37<br />
Aber auch im Westen wollten starke Kräfte <strong>de</strong>n Anwälten politische<br />
Unabhängigkeit nur eingeschränkt zugestehen. Eröffnet<br />
wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reigen 1952 durch die „Frontstadt Berlin“. 38 Daran<br />
anknüpfend wollten Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r und Bun<strong>de</strong>sregierung die<br />
Zulassung versagen, „wenn <strong>de</strong>r Bewerber sich so verhalten hat,<br />
35 Hommerich/Kilian/Dreske, Stat. Jahrbuch <strong>de</strong>r Anwaltschaft 2009/<br />
2010, S. 21/22; Busse (Fn. 1) S. 360, 383.<br />
36 Busse (Fn. 1) S. 634 ff. mit Nachw.<br />
37 §§ 6 KollVO, 6 KollG.<br />
38 Durch das gegen <strong>de</strong>n Protest <strong>de</strong>r RAK Berlin erlassene Gesetz vom<br />
6.5.1952, GVBl. S. 311.<br />
dass die Besorgnis begrün<strong>de</strong>t ist, er wer<strong>de</strong> als Rechtsanwalt …<br />
die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen“. 39 Kammern und<br />
DAV erklärten es mit Recht für untragbar, die Zulassung von<br />
politischen Ermessensfragen abhängig zu machen und Anwälte<br />
beamtengleichen Bindungen zu unterwerfen. Ihr Wi<strong>de</strong>rstand<br />
wäre beinahe gescheitert, weil zunächst <strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Vereinigung <strong>de</strong>r Kammern Gustav Finck und dann auch <strong>de</strong>r<br />
einflussreiche Koblenzer Kammerpräsi<strong>de</strong>nt und DAV-Vizepräsi<strong>de</strong>nt<br />
Karl Weber gegenüber einer etwas abgemil<strong>de</strong>rten Formel<br />
einknickten. Es ist nur <strong>de</strong>m erbitterten Wi<strong>de</strong>rstand unserer in<br />
<strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>stag gewählten Berufskollegen Adolf Arndt und Gustav<br />
Heinemann zu verdanken – und das war eine Sternstun<strong>de</strong><br />
für die Anwaltschaft –, dass <strong>de</strong>r Versagungsgrund auf die beschränkt<br />
wor<strong>de</strong>n ist, „die die freiheitlich <strong>de</strong>mokratische Grundordnung<br />
in strafbarer Weise bekämpfen“. 40 Beinahe hätte auch<br />
das nicht gereicht. Kammern und Ehrengerichte bis hoch zum<br />
BGH haben später versucht, kommunistisch eingestellte Anwälte<br />
über die Unwürdigkeitsklausel aus <strong>de</strong>m Beruf zu entfernen.<br />
Sie sind hiermit erst beim BVerfG gescheitert. 41 Man kann<br />
sich ausmalen, welchem Unwesen unsere ost<strong>de</strong>utschen Kollegen<br />
nach 1990 ausgesetzt wor<strong>de</strong>n wären, wäre damals an<strong>de</strong>rs<br />
entschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. Für die Reputation <strong>de</strong>r ost<strong>de</strong>utschen Anwaltschaft<br />
war <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r 1992 angeordneten Überprüfung <strong>de</strong>r<br />
DDR-Anwälte 42 angerichtete Scha<strong>de</strong>n schon schlimm genug.<br />
Der hierdurch erzeugte Generalverdacht missbräuchlicher und<br />
menschenrechtswidriger Berufsausübung war und ist nicht<br />
durch Fakten unterlegt. An<strong>de</strong>rerseits hat die z.T. flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong><br />
Überprüfung bewiesen 43 , dass nur in etwa 10, allerdings<br />
z.T. ganz schlimmen Fällen 44 , davon auch hier in Dres<strong>de</strong>n, Anlass<br />
zum Han<strong>de</strong>ln bestand. Hierfür hätten allerdings schon die<br />
allgemeinen Gesetze ausgereicht. Wir haben <strong>de</strong>swegen die ost<strong>de</strong>utschen<br />
Kollegen mit Recht als gleichberechtigte Partner<br />
willkommen geheißen.<br />
Mein umfangreiches Quellenstudium <strong>de</strong>r Akten <strong>de</strong>s Ministeriums,<br />
<strong>de</strong>r Birthlerbehör<strong>de</strong> sowie viele geführte Interviews – u.a.<br />
auch mit <strong>de</strong>m ersten sächsischen Kammerpräsi<strong>de</strong>nten Wolfgang<br />
Schmidt – haben im Übrigen ergeben, dass sich die meisten<br />
unserer ost<strong>de</strong>utschen Kollegen an <strong>de</strong>r von Staat und Partei<br />
gewünschten Einbindung vorbei ein erstaunlich großes Maß an<br />
Freiräumen bewahrt o<strong>de</strong>r erkämpft haben, in<strong>de</strong>m sie auf <strong>de</strong>m<br />
Klavier sozialistischer Argumentation und damit relativ unangreifbar<br />
die ihnen anvertrauten Interessen vertraten. 45 Dazu<br />
passt, was <strong>de</strong>r damals höchste Repräsentant <strong>de</strong>r DDR-Anwaltschaft<br />
Friedrich Wolff entgegnete, als ein ZK-Mitglied die<br />
Schwierigkeiten, die Anwälte oft bereiteten, mit <strong>de</strong>m Vorhalt<br />
kritisierte, „wir ziehen im Sozialismus doch alle an einem<br />
Strang“. Wolff entgegnete, „das stimmt, aber Sie am einen und<br />
wir am an<strong>de</strong>ren En<strong>de</strong>“. 46 Dass im Bereich <strong>de</strong>s politischen Strafrechts<br />
selten etwas zu erreichen war, betrifft nur <strong>de</strong>n Erfolg,<br />
nicht das Bemühen.<br />
Die dritte Grundfor<strong>de</strong>rung an eine freie Advokatur ist das Recht<br />
<strong>de</strong>s einzelnen Anwalts, seinen Beruf frei und selbstbestimmt<br />
auszuüben. Die schon 1863 vom Juristentagsgutachter Kopp<br />
gestellte For<strong>de</strong>rung, dass die anwaltliche Berufsausübung „nur<br />
39 § 20 Nr. 5 BRAO-E I, BTDrs. 1/3650.<br />
40 Zum Kampf gegen die „politische Klausel“ Busse (Fn. 1) S. 218 ff.<br />
41 BVerfG NJW 1983, 1535, 1537 gegen BGH NJW 1980, 271.<br />
42 Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen<br />
und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24.7.1992 (RNPG),<br />
BGBl. I S. 1386.<br />
43 Hierzu Nachweise bei Busse (Fn. 1) S. 526 ff.<br />
44 Vgl. <strong>de</strong>n von BVerfG E 93, 213 ff. entschie<strong>de</strong>nen Fall, wo ein Anwalt<br />
die Republikfluchtabsicht eines Kollegen verriet, <strong>de</strong>ssen Verteidigung<br />
übernahm und sodann die ihm erteilten vertraulichen Informationen<br />
verriet.<br />
45 Nachweise bei Busse (Fn. 1), S. 426 ff.<br />
46 Hierzu Busse (Fn. 1) S. 431.