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194 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2010<br />
Wolf, Zwischen Effizienz und Akzeptanz –zur Reform <strong>de</strong>r Berufungszurückweisung<br />
Zwischen Effizienz und Akzeptanz –zur Reform <strong>de</strong>r Berufungszurückweisung<br />
durch Beschluss nach §522 Abs. 2ZPO<br />
Professor Dr. Christian Wolf *<br />
I. Einleitung<br />
§522 Abs. 2und Abs. 3ZPO gehören von Anfang anzu<strong>de</strong>n<br />
umstrittensten Neuerungen <strong>de</strong>r ZPO-Reform von 2002. 1 Heute<br />
steht die Bestimmung auf <strong>de</strong>r Reformagenda <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung.<br />
2 Ursprüngliche Intention <strong>de</strong>s Gesetzgebers war es, die<br />
Rechtsmittelgerichte durch dieMöglichkeit, die Berufungdurch<br />
einstimmigen Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen,<br />
zu entlasten. Hierdurch sollte für die wirklich „verhandlungsbedürftigen“<br />
Berufungsfälle richterliche Arbeitskapazität<br />
geschaffen wer<strong>de</strong>n. 3 Gleichzeitig wollte <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />
zugunsten <strong>de</strong>r in erster Instanz obsiegen<strong>de</strong>n Partei sicherstellen,<br />
dass die rechtskräftige Erledigung <strong>de</strong>r Streitsache nicht unnötig<br />
hinausgezögert wird. 4<br />
Bereits ein kurzer Blick indie Statistik zeigt, dass diese gesetzgeberische<br />
Zielsetzung in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Oberlan<strong>de</strong>sgerichte<br />
völlig unterschiedlich verwirklicht wird. Sowur<strong>de</strong>n 2008 in <strong>de</strong>r<br />
Bun<strong>de</strong>srepublik insgesamt 15,31 %<strong>de</strong>r Berufungen nach §522<br />
Abs. 2ZPO erledigt. 5 Das OLG Hamm erledigte <strong>de</strong>mgegenüber<br />
lediglich 8,9 %<strong>de</strong>r Berufungen nach §522 Abs. 2ZPO<br />
und liegt somit <strong>de</strong>utlich unter <strong>de</strong>m bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschen Durchschnitt.<br />
Das OLG Zweibrücken liegt hingegen mit 26,26 %<strong>de</strong>r<br />
Erledigung eingehen<strong>de</strong>r Berufungen durch Beschlusszurückweisungen<br />
mit <strong>de</strong>utlichem Vorsprung an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Statistik.<br />
Diese erhebliche Diskrepanz im Entscheidungsverhalten<br />
<strong>de</strong>r Gerichte wird durch die Tatsache verschärft, dass §522<br />
Abs. 2ZPO kein richterliches Ermessen vorsieht. Erordnet vielmehr<br />
eine zwingen<strong>de</strong> Berufungszurückweisung durch Beschluss<br />
an, wenn seine Voraussetzungen erfüllt sind. Die unterschiedliche<br />
Handhabung <strong>de</strong>r Vorschrift legt <strong>de</strong>n Verdachtnahe,<br />
dass die Berufungsrichter bei §522 Abs. 2 ZPO –entgegen<br />
<strong>de</strong>m Wortlaut <strong>de</strong>r Bestimmung –ein richterliches Ermessen anwen<strong>de</strong>n.<br />
Da <strong>de</strong>r Beschluss nach §522 Abs. 2ZPO überdies<br />
keinem Rechtsmittel unterliegt (§ 522 Abs. 3 ZPO), entschei<strong>de</strong>n<br />
sie damit letztlich über die Frage, ob <strong>de</strong>n Parteien ein weiteres<br />
Rechtsmittel zusteht o<strong>de</strong>r nicht. 6<br />
Vielfach wird daher auch das eigentliche Problem weniger in<br />
<strong>de</strong>r Möglichkeit, durch Beschluss die Berufung zurückzuweisen,<br />
als vielmehr in <strong>de</strong>r Unangreifbarkeit dieser Entscheidung<br />
gesehen. In <strong>de</strong>r Reformdiskussion wird <strong>de</strong>shalb gefor<strong>de</strong>rt, dass<br />
§522 Abs. 3 ZPO gestrichen wird und in §522 Abs. 2ZPO<br />
klargestellt wird, dass gegen <strong>de</strong>n Zurückweisungsbeschluss die<br />
*Der Autor Wolf ist Lehrstuhlinhaber und geschäftsführen<strong>de</strong>r Direktor<br />
<strong>de</strong>s Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht (IPA) sowie Direktor <strong>de</strong>s<br />
Instituts für Internationales Recht an <strong>de</strong>r Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
Universität Hannover.<br />
1Siehe nur bereits Rimmelspacher in MüKo/ZPO-Reform, 2. Aufl.,<br />
2002, §522, Rdnr. 33ff.<br />
2Siehe die Antwort <strong>de</strong>s parlamentarischen Staatssekretärs im Bun<strong>de</strong>sjustizministerium,<br />
Stadler v. 9. Juni 2010, Plenarprotokoll, 17/45,<br />
S. 4536.<br />
3BT-Drs. 14/4722, S. 97.<br />
4BT-Drs. 14/4722, S. 97.<br />
5Sämtliche Zahlen basieren auf <strong>de</strong>r Fachserie 10Reihe 2.1 <strong>de</strong>s Statistischen<br />
Bun<strong>de</strong>samts, abrufbar unter: http://www.<strong>de</strong>statis.<strong>de</strong>.<br />
6 Krüger, NJW 2008, 945.<br />
Rechtsbeschwer<strong>de</strong> stattfin<strong>de</strong>n kann. 7 Da §522 Abs. 2 und<br />
Abs. 3ZPO sich sowohl auf das Berufungs- als auch auf das<br />
Revisionsverfahren auswirken, soll im Rahmen dieses Beitrags<br />
zur Bewertung <strong>de</strong>r Reformüberlegungen zunächst die Wirkung<br />
von §522 Abs. 2und Abs. 3ZPO evaluiert wer<strong>de</strong>n. Hierbei<br />
wird sich zeigen, dass die Regelung in §522 Abs. 2und Abs. 3<br />
ZPO imWesentlichen drei unterschiedliche Problemkreise berührt:<br />
(1) Zunächst führt §522 Abs. 2ZPO dazu, dass über die Berufung<br />
nicht mehr mündlich verhan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n muss. Die Möglichkeit<br />
und Chance <strong>de</strong>r Befriedigungsfunktion einer mündlichen<br />
Verhandlung entfällt hierdurch.<br />
(2) Ferner fehlt es an <strong>de</strong>r Kontrolle <strong>de</strong>s Berufungsgerichts. Auch<br />
eine Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong> ist nach <strong>de</strong>rzeitigem Rechtsstand<br />
unstatthaft.<br />
(3) Über §522 Abs. 3ZPO wird überdies die Arbeitsbelastung<br />
<strong>de</strong>s BGH begrenzt.<br />
In einem zweiten Schritt ist sodann <strong>de</strong>r Reformvorschlag, §522<br />
Abs. 3ZPO zu streichen, an diesen Problemkreisen zumessen,<br />
um einen Alternativvorschlag zuentwickeln.<br />
II. Wirkung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>rzeitigen Regelung auf das Berufungs- und<br />
Revisionsverfahren<br />
1. Keine mündliche Berufungsverhandlung<br />
§522 Abs. 2 ZPO führt dazu, dass über die Berufung nicht<br />
mündlich verhan<strong>de</strong>lt wird. Andie Stelle <strong>de</strong>r mündlichen Berufungsverhandlung<br />
treten <strong>de</strong>r Hinweisbeschluss <strong>de</strong>s Gerichts<br />
sowie die Stellungnahme <strong>de</strong>r Parteien zu <strong>de</strong>m Hinweisbeschluss.<br />
Verfassungsrechtlichist dies nichtzubeanstan<strong>de</strong>n. Das<br />
rechtliche Gehör erfor<strong>de</strong>rt keine mündliche Verhandlung. 8<br />
Zwar formuliert Art. 6Abs. 1EMRK <strong>de</strong>n Anspruch auf öffentliche<br />
und damit auch mündliche Verhandlung, jedoch bezieht<br />
sich dies primär auf die erste Instanz. Bezogen auf das Revisionsverfahren<br />
hat <strong>de</strong>r EGMR ausdrücklich anerkannt, dass<br />
§349 Abs. 2StPO, welcher –ähnlich §522 Abs. 2ZPO –<strong>de</strong>m<br />
Revisionsgericht die Möglichkeit einräumt, durch einstimmigen<br />
Beschluss auf Antrag <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft die Revision als<br />
unbegrün<strong>de</strong>t zurückzuweisen, mit <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />
Art. 6Abs. 1EMRK vereinbar ist. 9<br />
Allerdings kann überhaupt nicht geleugnet wer<strong>de</strong>n, dass die<br />
mündliche Verhandlung auch im Berufungsverfahren erhebliche<br />
Be<strong>de</strong>utung haben kann. Dabei kann sich diese Be<strong>de</strong>utung<br />
aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen ergeben. Die erste<br />
Blickrichtung bil<strong>de</strong>t die Befriedigungsfunktion. Das Verfahren<br />
dient dazu, bei <strong>de</strong>n Parteien <strong>de</strong>s Rechtsstreits Akzeptanzfür das<br />
7So<strong>de</strong>r Gesetzentwurf <strong>de</strong>r FDP-Fraktion in<strong>de</strong>r 16. Legislaturperio<strong>de</strong>,<br />
BT-Drs. 16/11457.<br />
8BVerfG, Beschl. v. 9.10.1973 – 2 BvR 482/72, NJW 1974, 133;<br />
BVerfG Beschl. v.25.1.2005 –2BvR 656/99, NJW 2005, 1999,<br />
2000.<br />
9EGMR Urt. v. 2.12.1983 „Axen“, EuGRZ 1985, 225 Nr. 29ff.; hierzu<br />
auch Schädler in Karlsruher Kommentar, 6.Aufl., 2008, Art. 6EMRK,<br />
Rdnr. 31.