Wein und Zeit ‹viii› »Eine neue Rebsorte« Aufstieg, Fall und Zukunft des Müller-Thurgau Von Daniel Deckers Foto Christof Herdt Der Königlich Bayerische Landesinspektor für Weinbau schloss im April 1914 die Arbeit an seinem ersten und einzigen Buch ab. »Weinbau und Weinbehandlung« lautet der Titel des schmalen, nicht einmal hundertfünfzig Seiten umfassenden Bändchens. Doch auf den Umfang kam es nicht an. Denn das Werk erschien in der renommierten »Thaer-Bibliothek«, die sich seit den 1860er Jahren mit kompakten Einführungen in alle Zweige der Landwirtschaft einen herausragenden Namen gemacht hatte. In ebensolchem Ruf stand aber auch der Verfasser: August Dern. 76 F I N E 2 / <strong>2013</strong>
Quelle Bibliothek Hochschule Geisenheim Wann der Verleger der im Berliner Verlag Paul Parey erscheinenden Bibliothek an den aus Flacht bei Diez an der Lahn stammenden Nassauer herangetreten war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Nur das Anliegen ist überliefert. August Dern, der als langjähriger Weinbauwander lehrer in Rheinhessen, als Adminis trator des Weinguts Prinz von Preußen im Rheingau und als oberster Weinbaufachmann in Diensten des Königs von Bayern und Mitglied in allen wichtigen Weinbaugremien seiner Zeit über einen immensen Erfahrungsschatz verfügte, sollte das Bändchen »Weinbau. Anleitung zur ratio nellen Traubenzucht« überarbeiten, das im Jahr 1894 erschienen war. Dazu sah er sich nicht in der Lage: Binnen zweier Jahrzehnte hatte sich so viel im deutschen Weinbau getan, dass eine Fortschreibung der ersten Auflage nicht in Frage kam. Höhenflug und Absturz Am Vorabend des Ersten Weltkriegs stand deutscher Wein im Zenit seines Ruhms, und das auf dem heimischen wie auf dem Weltmarkt. Riesling aus den »Edelweinbaugebieten« Rheingau, Rheinpfalz und Rheinhessen sowie von Mosel und Saar waren auf den Weltausstellungen von Paris 1900 und St. Louis 1904 als die besten Weißweine mit Auszeichnungen überhäuft worden. In der Heimat wurden sie auf den jährlichen Versteigerungen in Wiesbaden, Trier, Mainz oder Neustadt an der Haardt fast mit Gold auf gewogen. In den nobelsten Hotels und Restaurants von Hamburg, Zürich oder New York durften sie auf keiner Karte fehlen, ebensowenig an den Kaiserhöfen von Berlin, Wien und St. Petersburg. August Dern hatte diese Entwicklung begleitet und nach Kräften gefördert. 1908 war er in Neustadt die treibende Kraft hinter der Gründung des Vereins der Naturweinversteigerer der Rheinpfalz, zwei Jahre später stand er beim Aufbau des Verbands Deutscher Naturweinversteigerer (VDNV, heute VDP) Pate. 1912 wollte er auch in Franken einen Zusammenschluss von Naturweinversteigerern ins Leben rufen, was allerdings aus heute unerfind lichen Gründen scheiterte. Doch als August Dern sich an die Neubearbeitung des Weinbau-Büchleins machte, konnte auch er nicht absehen, wie lange der Höhenflug des deutschen Weins anhalten würde. An der Kriegsgefahr lag es nicht. Auch nicht an der Aus breitung der Reblaus. Im Vergleich zu Frankreich und Österreich-Ungarn, wo der Weinbau in vielen Regionen weitgehend zum Erliegen gekommen war, hatte die Reblaus im Deutschen Reich bislang wenig Unheil anrichten können. Nur die Reb flächen um das lothringische Metz und um Naumburg an der Saale waren aufgegeben worden. In allen anderen Regionen wurden Reblausherde so früh bekämpft, dass die Verseuchung auf kleine Flächen beschränkt blieb. Zugleich hatte vor allem der preußische Staat alles darangesetzt, Methoden zum Wiederaufbau befallener Rebflächen zu erforschen, allen voran die Pfropfung europäischer Edelreiser auf reblaustolerante Unterlagsreben aus Amerika. Doch was die Reblaus nicht vermochte hatte, schien anderen Schädlingen zu gelingen. Im Verein mit dem Heu- und Sauerwurm vernichteten der echte (Oidium) und der falsche (Peronospora) Mehltau, wie die Reblaus im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts aus Amerika eingeschleppt, fast Jahr für Jahr Weinernten im Wert von vielen Millionen Reichsmark. Abhilfe war trotz aller Anstrengungen der wissenschaftlichen Forschung nicht in Sicht, jedenfalls nicht im Kampf gegen den Heu- und Sauerwurm und die Peronospora. »Deren Bekämpfung hat den Weinbau vor neue Auf gaben gestellt und sie hat ihn verteuert,« so schilderte August Dern in der Einleitung seines Werks die neuen Gefahren. »Riesling x Sylvaner« Den ranghöchsten Weinbaubeamten Bayerns plagten jedoch nicht nur Zweifel, ob der Weinbau wegen der hohen und oft vergeblichen Aufwendungen für die Schädlingsbekämpfung langfristig noch rentabel sein könne. Weitsichtige Zeitgenossen wie er hatten längst erkannt, dass die Zukunft des Weinbaus auch von dem Ersatz minderwertiger Rebsorten und minderwertiger Pflanzen abhängen sollte. »<strong>Das</strong> Klima in Deutschland zwingt uns wegen des feuchteren Herbstes, hauptsächlich weiße Sorten anzubauen«, hielt August Dern fest und fuhr fort: »Aber gerade aus weißen Sorten läßt sich mehr Qualität heraus holen, besonders dann, wenn sie sorgfältig ausgewählt sind.« Der Landesinspektor dachte an Riesling, roten Traminer, Sylvaner, weißen Gutedel, Elbling, Ortlieber, weißen und grauen Burgunder und Ruländer, an gelben, roten und blauen Muskateller, roten Veltliner, Rotgipfler, Orleans, Heunisch, Silberweiß, Welschriesling und sogar gelben Mosler. Für die Erwähnung einer neuen Rebsorte namens »Riesling x Sylvaner«, die Dern aus der Schweiz nach Franken gebracht hatte, war es im April 1914 noch zu früh. Dabei war sich August Dern seiner Sache sicher. »Unter den vielen Betriebsfaktoren, die für den Erfolg des Weinbaus maßgebend sind, ist jedenfalls die Rebe selbst der wichtigste, und gerade darum hat man sich seither ganz allgemein viel zu wenig bekümmert«, monierte er in dem »Bericht des Königlichen Landesinspektors für Weinbau über seine Tätigkeit in den Jahren 1911, 1912 und 1913«. Seine Mahnungen verhallten nicht ungehört. »1912 wurde eine bayerische Hauptstelle für die züchterische Behandlung der Weinrebe unter Leitung des Landesinspektors geschaffen, die erste derartige Organisation«, konnte er Ende Ein weiter Weg: Zwischen dem Weinbau- Büchlein von August Dern, der nach Lösungen für die Weinbaukrise Anfang des 20. Jahrhunderts suchte, und den Weinbergen des badischen Spitzenwinzers Bernhard Huber, der heute auch mit seinem Müller-Thurgau von sich reden macht, liegen hundert Jahre. F I N E W e i n u n d Z e i t 77