FINE Das Weinmagazin - 02/2013
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: WEINGUT ROBERT WEIL
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: WEINGUT ROBERT WEIL
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1I!<br />
n Boscoreale, einem einstigen Vorort der antiken Vesuvstadt Pompeji, wurde 1978 eine Villa rustica ausgegraben. Wir würden<br />
das An wesen heute als Weingut bezeichnen. Denn es lag inmitten von Weingärten, die auf den hügeligen Ausläufern des Vesuv<br />
empor kletterten. Auch dienten, wie man herausfand, zwei Drittel der Gebäude dem Keltern und der Lagerung von Wein: In einem<br />
der größten Räume des Guts wurde eine stattliche Traubenpresse freigelegt, in Nebengelassen fanden sich Hunderte säuberlich aufgestapelter<br />
Amphoren. Außer diesen unverkennbar zum Abfüllen diverser Weinsorten bereitliegenden Gefäßen entdeckte man mehrere<br />
Dutzend fass förmiger tönerner Behältnisse, sogenannte Dolia, die in das Erdreich eines weiten überdachten Hofs eingesenkt waren.<br />
Darin wiederum sichteten die Archäologen sogar noch pechartig eingedickte Reste der einstigen Flüssigkeit – den jungen, gerade gekelterten<br />
Wein des Jahrgangs 79 nach Christus, den niemand mehr trinken sollte. Denn wenige Wochen nach der Lese brach der Vulkan<br />
aus und begrub mit Pompeji und Herculaneum auch dieses Weingut unter meterhohen Asche- und Lavaschichten. Doch wer weiß –<br />
vielleicht leerten während der letzten Tage von Pompeji die Besitzer des Weinguts einige Becher mit dem, was wir heute Federweißer<br />
nennen. Was wir wissen, ist, dass nicht nur zu Füßen des Vesuv, sondern überall in den Weinbaugebieten des Imperium Romanum die<br />
reichen Besitzer von Weingütern sich luxuriöse Wohnungen in ihre Gutshöfe einbauen ließen, wo sie sommers oder zur Zeit der Weinernte<br />
ihre Besitztümer genossen, die Lese überwachten, Gäste einluden und im Schatten der Reben tafelten.<br />
Und damit kommen wir nun endlich nach Kiedrich: Zwar ist bis heute<br />
unbekannt, ob auch hier, wie in weiten Teilen des Rheingaus, die Römer<br />
Wein anbauten und Villae rusticae anlegten. Aber denkbar ist es schon, dass<br />
der Ort dank seiner idealen Lage lange vor seiner ersten urkund lichen Erwähnung<br />
im Jahr 937 römische Weinbauern angezogen hat. So könnte es statt<br />
Zufall ein Zeichen unbewusster, Jahr tausende überspannender Kontinuität<br />
sein, dass mit dem Weingut Robert Weil in Kiedrich ein Anwesen existiert,<br />
in dem das antike Miteinander von luxuriöser Villa und Winzerbetrieb einen<br />
neuzeitlichen Nachfolger gefunden hat. Eines jedenfalls steht fest: Wer einmal<br />
vor dem ausgegrabenen Eingang des Weinguts der pompejanischen Familie<br />
der Istacidii in Boscoreale gestanden hat, der wird vor dem Portal des Weinguts<br />
Robert Weil in Kiedrich unweigerlich Verwandtes erkennen. Hier wie<br />
da ein imposantes Tor in einer stattlichen Mauer, und da wie dort beschirmen<br />
höhere Mächte den Zugang – in Boscoreale sind es zwei geflügelte Sphingen<br />
aus Tuff, in Kiedrich die Nachbildung einer gotischen Madonna aus Rotsandstein.<br />
Die Gestalten mögen sich gewandelt haben, die Aussage ist die gleiche<br />
geblieben: Jede Kulturleistung bedarf neben menschlicher Tüchtigkeit auch<br />
glücklicher Fügung von oben. Ein kunstvolles schmiedeeisernes Tor am entgegengesetzten<br />
Ende der Mauer, durch das man das Weingut vom historischen<br />
Ortskern aus betreten kann, ist stolz geschmückt durch das leuchtend<br />
rote Familienwappen der Weils.<br />
Der erste Bauherr auf dem Gelände des heutigen Weilschen Anwesens,<br />
Baronet John Sutton, hatte anderes als Weinbau im Sinn, als er 1869 in Kiedrich<br />
ein winziges, verfallenes Winzer haus kaufte und zu einem kleinen Landsitz<br />
im Tudorstil umbauen ließ. Ihm ging es vorrangig darum, in Sichtweite der<br />
gotischen Sankt Valentinskirche und der herrlichen Michaelskapelle zu leben,<br />
deren Restaurierung er ebenso finanzierte wie die bald berühmte Choralschule<br />
der kleinen Stadt.<br />
Der Baronet, in dessen Heimat mit dem Sommerhaus Strawberry Hill<br />
des Schriftstellers Horace Walpole 1776 das Gothic Revival begonnen hatte,<br />
wusste, was er sich, seinem Stand und der in England geborenen Baukunst des<br />
Historismus schuldig war, die mittlerweile ganz Europa zu erobern begann:<br />
Der Umbau der Kiedricher Kate ließ ein pitto reskes Gebäude entstehen, das<br />
den Vergleich mit den originalen Tudor-Villen Englands nicht zu scheuen<br />
braucht: Selbst für Kenner ist es noch heute schwierig, die charakteristischen<br />
eselsrückenförmigen Tudorbögen und dunklen Holzvertäfelungen außen<br />
110<br />
F I N E 2 / <strong>2013</strong>