FINE Das Weinmagazin - 02/2013
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: WEINGUT ROBERT WEIL
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: WEINGUT ROBERT WEIL
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Malerisches Capriccio in Kiedrich: Gemeinsam mit der pittoresken gotischen<br />
Kirche Sankt Valentin bietet das sorgsam restaurierte, vom englischen Baronet<br />
John Sutton 1879 im gotisierenden Tudor stil erbaute Haupthaus des Riesling-<br />
Weinguts Robert Weil mit Spitztürmchen, Erker und hölzernen Galerien das<br />
Prachtbild eines romantischen Ensembles. Links schließen sich die moderne<br />
Vinothek, rechts die Verbindungsbauten zur spektakulären neuen Kellerei an.<br />
oder die Balkendecken, Intarsien, Dielen böden und reich geschnitzten Türblätter<br />
und Fensternischen im Innern der Sutton-Villa von den Originalen<br />
in Chester oder London zu unterscheiden. In stillen Momenten meint man,<br />
jederzeit könnten Königin Elizabeth I. oder William Shakespeare eintreten.<br />
<strong>Das</strong> Haus des Baronet hat sich fast unversehrt erhalten. Vom beweglichen<br />
Mobiliar allerdings ist nur ein elegant geschweifter Lehnstuhl geblieben.<br />
Doch auf ihm hätte auch die anspruchsvolle Good Queen Bess ohne Zaudern<br />
Platz genommen, so täuschend echt ist er den Originalen des 16. Jahr hunderts<br />
nachgestaltet. Heute dient das Sitzmöbel, dessen Holz mehr als einhundertfünfzig<br />
Jahre einen unvergleichlichen Seidenschimmer verliehen haben, als<br />
Ehrenplatz intimer Weinproben, die im Hauptraum in der geschichts trächtigen<br />
Atmosphäre des Sutton-Hauses stattfinden.<br />
Aus kunsthistorischer Perspektive ist der anglophile Kernbau des heutigen<br />
Weinguts der Pionier eines spezifischen Historismus-Zweigs in Deutschland.<br />
Ein beeindruckendes Beispiel dafür hat sich im nahen Kronberg er halten:<br />
Schloss Friedrichshof, das die Witwe des deutschen Kaisers Friedrich III.,<br />
eine Tochter Queen Victorias, 1889 im Tudorstil errichten ließ. Um ein vergleichbar<br />
pompöses Anwesen zu finden, muss man rund sechshundert Kilometer<br />
nach Osten reisen. Nach Potsdam nämlich, wo das fast jedem Deutschen<br />
bekannte Schloss Cecilienhof steht, das 1914, gleichfalls im Tudorstil gestaltet,<br />
Wilhelm II. als Wohnsitz des Kronprinzen und im Andenken an seine englischen<br />
Verwandten in Auftrag gab. Während der Cecilienhof geplant wurde –<br />
und bereits davor –, trank man in Berlin bei Kaisers gern eine 1893er Kiedricher<br />
Auslese aus dem Weingut Robert Weil.<br />
Auch an das österreichische Kaiserhaus, an die englischen Könige und den<br />
russischen Zarenhof lieferte das Gut seinen berühmten Riesling – und an die<br />
Stätten des Geldadels: die Luxushotels diverser Großstädte, allen voran das<br />
legendäre Hotel Adlon in Berlin. Was Wunder also, dass das Weingut unter<br />
diesen Voraussetzungen rund um das vergleichsweise winzige Tudor-Haus<br />
des Baronet zweimal erweitert wurde: Bauherr war beide Male Dr. Robert<br />
Weil, der 1879 das Anwesen käuflich erworben hatte. Eine seiner ersten Maßnahmen<br />
war im gleichen Jahr der Ankauf weiterer Weinberge und die prächtige<br />
Erweiterung des Tudor-Hauses in Gestalt einer großräumigen Villa mit<br />
weitem Blick in die umgebenden Weinberge und über die Dächer Kiedrichs.<br />
Hauptmerkmale des ersten Erweiterungsbaus wurden ein monumentales<br />
steiles Satteldach mit ortstypischer Schieferdeckung, üppiges, mit<br />
Kennzeichen der Gotik versehenes Fachwerk im sogenannten fränkischen<br />
Stil und ein seitlich angefügter Wohnturm mit umlaufendem Altan. Dieser<br />
gipfelt in einer kühn verschachtelten<br />
Schiefer haube mit steiler Achteckspitze,<br />
deren Umriss die gotische<br />
Himmelstürmerei des nahen Turms<br />
von St. Valentin zitiert; das Ganze ist<br />
ein malerisches Capriccio aus behaglichem<br />
Patrizierhaus und gotischem<br />
Herrensitz. Als Bauherr orientierte<br />
sich Robert Weil damit weniger an<br />
England als vielmehr an den historischen<br />
Bauten der Landschaften<br />
ringsum. Aufmerksame Betrachter<br />
finden so manches Bürgerhaus des<br />
Rheingaus in den Lauben gängen,<br />
Erkern, Altanen, Zwerchhäusern<br />
und gotischen Lanzettfenstern der<br />
F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
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