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DAS TRAGISCHE<br />
TALENT<br />
Vor 60 Jahren schockierte die Nachricht vom Todessturz des<br />
bereits als Weltmeister feststehenden NSU-Werksfahrers Rupert<br />
Hollaus die Motorsportfreunde in aller Welt. Und kurz darauf<br />
verkündete NSU auch noch den Ausstieg aus dem Rennsport...<br />
Text: Jürgen Nöll; Fotos: Archiv Nöll<br />
Hollaus mit einigen Trophäen<br />
seiner kurzen, aber steilen Rennfahrerkarriere,<br />
die er 1954 vorzeitig<br />
mit dem Weltmeister-Titel<br />
in der Achtelliter-Klasse krönt<br />
Mit 23 Jahren ist der am 1. September 1930 im österreichischen<br />
St. Pölten geborene Rupert Hollaus<br />
der Benjamin in der 1954er-Werksmannschaft<br />
von NSU. Schon von klein auf ist Hollaus in der<br />
Werkstatt seines Vaters mit Motorrädern aufgewachsen. Sein erstes<br />
Rennen fährt er mit 18 Jahren. Drei Jahre später startet er erstmals in<br />
Deutschland, auf seiner Moto Guzzi Albatros fährt er 1951 in Schotten<br />
und in Freiburg am Schauinsland, wo er Fünfter wird. Neben der 250er-<br />
Guzzi tritt er mit einer Norton auch bei den 350ern an, und im Jahr<br />
darauf legt er sich sogar noch eine 125er-Mondial zu, um bei einigen<br />
Veranstaltungen in drei Klassen an den Start zu gehen.<br />
Rasch erfährt sich Rupert Hollaus einen Ruf als hoch talentierter<br />
Pilot, er fällt selten aus und stürzt fast nie. Mit seinen Maschinen tingelt<br />
er durch ganz Europa, platziert sich immer hervorragend und gewinnt<br />
viele national bedeutende Rennen in Österreich, Italien, Belgien, Frankreich,<br />
Deutschland sowie der Schweiz. Im Lauf der Saison 1953 belegt<br />
Hollaus in Deutschland häufiger den ersten Privatfahrerplatz, was ihm<br />
die Aufmerksamkeit von Presse und Industrie sichert. Am Ende dieser<br />
Saison stellt er beim Großen Preis von Spanien in Barcelona sein überragendes<br />
Fahrtalent einmal mehr unter Beweis: Mit seiner Rennfox<br />
belegt er nicht nur den dritten Platz in der Achtelliter-Klasse, sondern<br />
düpiert bei den 250ern die komplette Weltelite mit Piloten wie Kavanagh,<br />
Anderson, Lorenzetti und Montanari, indem er als Privatfahrer<br />
bei strömendem Regen bis zur Hälfte des Rennens das Feld anführt.<br />
Hollaus mit einer älteren Rennmaschine gegen ein Heer modernster<br />
Werksrenner – mit dieser brillanten Regenfahrt erobert sich der Österreicher<br />
endgültig einen Platz in der NSU-Werksmannschaft für die<br />
kommende Saison. NSU hat für 1954 mit dem robusten Werner Haas,<br />
dem feinnervigen Hans Baltisberger, dem ruhigen, erfahrenen Altmeister<br />
H.P. Müller und dem zurückhaltenden Regenspezialisten<br />
Hollaus ein bei nahe unschlag bares Fahrerteam am Start. Es ist jedoch<br />
Rupert Hollaus, der in diesem Jahr alle überrascht. Er fährt derart überlegen,<br />
dass er schon vorzeitig Weltmeister bei den 125ern wird – und<br />
damit Werner Haas den Titel entreißt.<br />
Das Schicksal nimmt seinen Lauf<br />
Am 12. September 1954 steht der Große Preis der Nationen an, der als<br />
vorletzter Lauf zur Motorrad-Weltmeisterschaft im königlichen Park<br />
von Monza ausgetragen wird. Der damals 6,3 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitskurs<br />
besteht aus zwei Doppelkurven, die bei den<br />
125ern mit 100 bis 120 km/h durchfahren werden, zwei lang ge zogenen<br />
Fast-Vollgas-Kurven und den schnellen Geraden, die<br />
für Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 170 km/h<br />
gut sind.<br />
Für die NSU-Mannschaft ist dieser Kurs etwas<br />
Besonderes. Hier hatte man sich zwei Jahre zuvor<br />
erstmals nach dem Krieg außerhalb Deutschlands der<br />
internationalen Konkurrenz gestellt und den als<br />
nahe zu unschlagbar geltenden italienischen Werksteams<br />
gezeigt, dass zukünftig mit den Maschinen<br />
aus Neckarsulm zu rechnen sein würde. Und vor gut<br />
einem Jahr hatte Werner Haas hier in Monza mit<br />
einem zweiten Platz hinter Enrico Lorenzetti auf<br />
Moto Guzzi die Weltmeisterschaft in der Viertelliter-<br />
Klasse für sich entscheiden können. Und nun, am<br />
Ende der 1954er-Saison, will man den 250er-Siegerpokal<br />
mit der Rennmax und ihrem neu entwickelten<br />
R22-Motor endlich nach Deutschland holen.<br />
Obwohl die Chancen dafür besser als je zuvor<br />
stehen, will sich NSU-Rennleiter Germer nicht ausschließlich<br />
auf die Motorleistung seiner Maschinen<br />
verlassen. Gerade ein Hochgeschwindigkeitskurs wie<br />
das Autodromo von Monza erfordert auch besondere<br />
aerodynamische Maßnahmen. Und so hatte man<br />
bereits Wochen zuvor auf der Heimstrecke im badischen<br />
Hockenheim Versuche mit verschiedenen<br />
Verkleidungen gefahren. Die sogenannten Vollstrom-<br />
Verkleidungen umschließen nicht nur den Bug,<br />
sondern auch das Heck der Maschinen.<br />
Die neuen Heckverkleidungen erfüllen zunächst<br />
allerdings nicht die in sie gesetzten Erwartungen.<br />
Während sie die Spitzengeschwindigkeiten der Rennfox<br />
(R11) um fünf auf 185 km/h und der Rennmax<br />
(R22) um vier auf 215 km/h verbessern, bringen sie in<br />
schnellen, lang gezogenen Kurven Unruhe in die<br />
Fahrwerke. Die Rennmaschinen schaukeln sich so<br />
stark auf, dass sie von den Fahrern nur durch Aufrichten<br />
und Gaswegnehmen beherrscht werden können –<br />
alles andere als ideal für Monza mit diesen beiden ultraschnellen<br />
Kurven! Deshalb startete die NSU-Werkstruppe<br />
eine mühe volle Versuchsreihe, an deren Anfang<br />
unterschiedliche Reifenprofile und Reifen größen<br />
www.motorrad-classic.de<br />
<strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> 109