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SZENE I<br />
Rennsport-Legende Jacky Ickx<br />
INTERVIEW<br />
Jacky, als ehemaligen Fomel 1-Fahrer würde<br />
man dich nicht zuallererst auf einer Motorrad-<br />
Präsentation erwarten. Was also hat dich hier<br />
hergetrieben?<br />
Ich bin zwar Markenbotschafter für den VW-<br />
Konzern, also für alle zwölf Marken, inklusive<br />
Ducati. Heute habe ich aber keinen offiziellen<br />
Auftrag, ich bin aus persönlichem Interesse<br />
hier. Ich war ohnehin in meiner Zweitwohnung<br />
in Monaco und hatte von meinem alten Freund<br />
bei Ducati erfahren, dass das Werk aus Bologna<br />
hier die neue Diavel präsentieren würde. Und<br />
die hatte schon auf dem Automobil-Salon in<br />
Genf meine Neugier geweckt. Ein scharfes<br />
Motorrad! Zum Glück hatte ich just zu diesem<br />
Termin etwas freie Zeit, konnte mir das Mitfahren<br />
auf Einladung von Ducati also einrichten.<br />
Woher kommt dein Interesse für Motorräder?<br />
Wenn man einmal Motorräder liebt, dann<br />
bleibt das für immer. Ich habe diese Liebe zu<br />
den Motorrädern nie mehr verloren. Schon als<br />
Jugendlicher bin ich begeistert Trial gefahren.<br />
Mit 16 erhielt ich vom belgischen Zündapp-<br />
Importeur eine 50er-Maschine. Kurz darauf,<br />
das war 1961, nahm ich mit der Zündapp am<br />
„Trial Lamborel“ teil. Dort war auch das offizielle<br />
Zündapp-Werksteam am Start, das mich<br />
spontan verpflichtete. So wurde ich Werksfahrer<br />
für Zündapp, und zwar beim Trial und<br />
im Gelände, startete bei den „International<br />
Sixdays“ in Garmisch-Partenkirchen und den<br />
„Drei Tagen von Passau“.<br />
Erinnerst du dich noch gut an jene Zeit?<br />
Oh ja, sie war sehr prägend. Mit 16 und 17<br />
reiste ich im Sommer nach München, um in der<br />
Zündapp-Fabrik meine Rennmaschinen aufzubauen.<br />
Meine 125er-Gelände-Zündapp aus<br />
den frühen 60er-Jahren habe ich heute immer<br />
noch. Momentan als mein einziges Motorrad.<br />
Die habe ich vom Werk bekommen und bin<br />
Zündapp sehr dankbar dafür. Heute sieht das<br />
Motorrad prähistorisch aus, doch damals war<br />
es das Beste, was man haben konnte. Nur der<br />
Magnesium-Motorblock hielt nicht gut, deswegen<br />
bauten wir ihn später aus Aluminium nach.<br />
Warst du sehr traurig, dass Zündapp in den<br />
80er-Jahren seine Tore für immer schloss?<br />
Natürlich, der Marke aus Bayern war ich stets<br />
sehr ver bunden. Zündapp hatte einen großen<br />
Namen in der Motorradwelt. Schade, dass<br />
dieser tolle Hersteller von der Bildfläche verschwunden<br />
ist. Er konnte auf Dauer nicht gegen<br />
die Japaner bestehen. Aber mit 16 haben<br />
mich Marketing-Strategien kaum interessiert.<br />
Ich hatte übrigens seinerzeit für die Rennstrecke<br />
noch eine 50er-Kreidler von Hans-<br />
Georg Anscheidt übernommen. Sie hatte neun<br />
Gänge! Kreidler und Zündapp waren ja starke<br />
Konkurrenten in dieser spannenden Zeit.<br />
Wie ging es dann weiter?<br />
Der Geländesport hatte mir eine Tür geöffnet,<br />
gab mir die Chance, mich in echten Wettbewerben<br />
zu beweisen. Etwa bei der „Valle<br />
Berga maschi“ in der Nähe von Bergamo.<br />
Eigent lich war mein Weg als Motorradrennfahrer<br />
vorgezeichnet: Mit 17 sollte ich GP-Fahrer<br />
für Suzuki im Straßenrennzirkus werden.<br />
Das scheiterte damals nur daran, dass ich noch<br />
nicht volljährig war. Und mit 18 kamen der<br />
Zweiradkarriere dann die Autos dazwischen …<br />
Dann hat die Motorrad-WM dich also verloren?<br />
Nein, das sehe ich anders. Das hat mir vermutlich<br />
das Leben gerettet. Der Motorrad-Rennsport<br />
war in den 60er- und frühen 70er-Jahren<br />
wirklich noch sehr gefährlich, nicht so sicher<br />
wie heute. Doch wahrscheinlich genau deswegen<br />
waren alle Fahrer jeweils ausgeprägte<br />
Persönlichkeiten. Wir kannten das Risiko, auch<br />
in der Formel 1, aber wir waren jung und stark.<br />
Angst hatten wir keine, Zweifel auch nicht,<br />
sind einfach nur gefahren … Daran zeigt sich<br />
mal wieder, dass es immer wieder gut ist, wenn<br />
eine neue Generation nachwächst.<br />
Hast du das je bereut?<br />
Nein, ich hatte ja gute Zeiten in der Formel 1.<br />
Und ich glaube wirklich an Schicksal. Als ich<br />
ganz jung war, wollte ich Gärtner oder Förster<br />
werden, war fasziniert von der Natur. Ich wollte<br />
gar kein professioneller Fahrer werden, das<br />
hat sich dann nur so ergeben. Das war stets<br />
eine ungeheuere Herausforderung – von den<br />
besten fahrerischen Talenten deiner Zeit<br />
um geben zu sein und dich im Rennen mit<br />
ihnen zu messen. Auf zwei Rädern muss man<br />
sehr darauf achten, Fahrfehler zu vermeiden,<br />
während Autos kleine Fehler erlauben.<br />
Bist du denn noch weiter Motorrad gefahren,<br />
neben deiner Auto-Karriere?<br />
Natürlich, im Sommer zwar überwiegend<br />
Formel 1, doch im Winter immer noch Trial und<br />
Gelände, auch Hillclimbing. Ich bin fünf Jahre<br />
lang Trial und drei Saisons Gelände-Motorrad<br />
gefahren. Da kamen bis zu 42 Rennen in einem<br />
Jahr zusammen. Am Ende meiner Karriere bin<br />
ich viel Offroad-Rennen mit Autos gefahren.<br />
Da half mir die Erfahrung mit den Gelände-<br />
Motorrädern sehr: Wir reden hier von Gefühl<br />
für Balance, die Kontrolle von Gas und Kupplung<br />
sowie das Bewältigen von rutschigen<br />
Untergründen. Alles auch gute Voraussetzungen<br />
für die Rallye Paris-Dakar, bei der ich zwölf<br />
Mal im Auto gestartet bin.<br />
Wie ging deine Motorrad-Karriere weiter?<br />
In den 1970er-Jahren hatte ich eine 750er-<br />
Ducati Sport. Dottergelb war sie und verdammt<br />
schnell für ihre Zeit. Meine Kawasaki Z 900 war<br />
sogar eine richtige Rakete! Eine 750er-BMW<br />
ließ ich mir auf volle 900 Kubik umbauen –<br />
Leistung musste schon sein. Auch Yamahas<br />
habe ich gehabt. Aber dann machte ich eine<br />
lange Motorrad-Pause. Erst vor rund zehn<br />
Jahren kehrte ich wieder aufs Zweirad zurück.<br />
Den Anfang machte eine BMW R 1150 R<br />
„Rockster“, dann folgte eine 1150er-RT und<br />
noch eine 1200er-BMW. Ich habe eine ganze<br />
Menge Reisen mit diesen Motorrädern gemacht.<br />
Aber die letzten sechs Jahre bin ich<br />
wieder nicht gefahren.<br />
gut von der Formel 1. Doch zu meiner großen<br />
Überraschung erzählt er nicht von<br />
Rennwagen oder Siegen auf vier Rädern,<br />
sondern von Motorrädern und Geländesport.<br />
Jacky lässt seine Zeit als Zündapp-<br />
Werksfahrer (Trial und Gelände), seine<br />
privaten Motorräder von früher und die<br />
vielen überraschenden, nicht vorhersehbaren<br />
Wendungen in seinem Leben Revue<br />
passieren. Wow. Zum Mittagessen werden<br />
Spezialitäten aus dem Mittelmeer serviert,<br />
plus Jackys bekömmliche Anekdoten<br />
aus einer erlebnisreichen Karriere.<br />
Warum er heute hier ist, wie er dem<br />
Motorrad immer verbunden blieb, was für<br />
ihn wirklich zählt im Leben. Mit leuchtenden<br />
Augen erzählt der kleine Belgier von<br />
Herbert Schek, den er für den „besten<br />
deutschen Geländefahrer“ hält: „Herbert<br />
Schek war ein Held bei den Six Days, ich<br />
habe ihn sehr bewundert: Er etablierte<br />
die BMW-Boxer im Offroad-Sport und ist<br />
einfach ein fantastischer Mensch!“<br />
Danach redet der ehemalige Rennfahrer<br />
über Politik, den kürzlich verstorbenen<br />
Nelson Mandela: „Er hatte die Größe<br />
zu vergeben, und die Stärke, einen neuen<br />
Weg einzuschlagen – nur dadurch konnte<br />
der Zusammenprall der Rassen enden, ein<br />
friedliches Miteinander beginnen.“ So<br />
viele Storys. Etwa, wie Jacky mit 17 ganz<br />
nah an einer Karriere als Grand Prix-Fahrer<br />
für Suzuki war, dann aber die Rennautos<br />
dazwischenkamen.<br />
Der Heroe bleibt noch den gesamten<br />
Nachmittag bei der Ducati-Präsentation,<br />
fährt in Jeans tapfer die kurvenreiche<br />
Runde mit. Zurück am Hotel posiert er<br />
noch geduldig mit uns Journalisten. Danke<br />
Jacky, für einen unvergesslichen Tag,<br />
für so viel(e) Geschichte(n) live. ◻<br />
40 <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> www.motorrad-classic.de