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getestet wurden. Um keinen Luftstau im Heck der Maschinen zu verursachen,<br />
wurden die Heckverschalungen mit verschieden großen Abströmschlitzen<br />
versehen, die dann wieder verschlossen und in anderen<br />
Dimensionen an anderen Stellen angebracht wurden. In zahlreichen<br />
Fahrversuchen und Geschwindigkeitsmessungen näherte man sich dem<br />
Optimum. Doch das schien in diesem Fall für die einzelnen Fahrer ganz<br />
unterschiedlich zu sein. So erhält letztlich jeder Fahrer für den Großen<br />
Preis der Nationen jenen Verkleidungstyp, mit dem er beim Testen in<br />
Hockenheim am besten zurechtgekommen war.<br />
So zeigt sich H. P. Müllers Rennfox in Monza mit einem kurzen, kastenförmigen<br />
Heck, während Rupert Hollaus eine Langheck-Version zur technischen<br />
Abnahme schiebt. Hollaus´ Maschine besitzt ein mit dem Rahmen<br />
verschraubtes Rohrgestell, an dem die Heckverkleidung durch vier Gummidämpfer<br />
elastisch befestigt ist. Auch Werner Haas fährt mit diesem<br />
langen Heck. Im Gegensatz zu den Maschinen seiner Teamkameraden ist<br />
die Verkleidung seiner Rennfox jedoch nicht starr mit dem Fahrzeug verbunden.<br />
Vielmehr kann sie sich in gewissen Grenzen der Strömung anpassen<br />
und leicht pendeln, ermöglicht durch zwei beiderseits des Motorrads<br />
an gebrachte Verstrebungen aus Blech und ein drehbares Gelenk am Heck.<br />
Die beiden vorderen Aufhängungspunkte sind – wie bei den anderen<br />
Maschinen – Gummielemente, die am Rahmen angeschraubt sind.<br />
Das tragische Ende<br />
Auch die 250er-Zweizylindermaschinen werden für Monza entsprechend<br />
vor bereitet. An den Fahrgestellen 05, 09 und 10 sind Rohrträger<br />
und lange Aluverkleidungen anstelle der bisherigen Heckverkleidungen<br />
angeschraubt. Die Rennmax von Haas erhält analog zu seiner<br />
Rennfox ebenfalls eine pendelnde Verkleidung, die mit Gummilagern<br />
und einem Gelenk am hinteren Ende befestigt ist. Für das neue Heck<br />
müssen die Sitzkissen der Renner abgeändert und die Federbeine verstärkt<br />
werden. Ohne Öl und Kraftstoff wiegt die Rennmax nun 135 Kilo.<br />
Den Verlauf des Trainings beschreiben Dieter Herz und Karl Reese<br />
in ihrem Buch „Die NSU- Renngeschichte“ so: „Das erste Training am<br />
Freitag begann mit einer Riesenüberraschung. Ubbiali legte auf der MV<br />
Zeiten vor, an die die Rennföxe nicht einmal annähernd herankamen und<br />
die gar nicht so recht in die Achtelliter-Klasse passten. Sehr schnell kam<br />
im NSU-Lager der Verdacht auf, dass Ubbiali eventuell mit einem<br />
175- cm³-Motor fährt, um die NSU-Fahrer nervös zu machen. Dieser ungewohnte<br />
Tatbestand verfehlte seinen Eindruck auf Hollaus nicht, obwohl<br />
er als bester NSU-Mann mit 2.31,7 Minuten nicht gerade schlecht lag. Die<br />
Instabilität der Maschinen war nicht überwunden, auch das hatten die<br />
ersten Trainingsrunden gezeigt. H. P. Müller beklagte sich am stärksten darüber,<br />
Hollaus weniger. Zu Beginn des Samstagstrainings vereinbarten<br />
beide, zum Anwärmen der Motoren erst einmal einige langsame Runden<br />
zu drehen, um dann nach dem fälligen Kerzenwechsel gemeinsam Tempo<br />
zu machen.“ Über die weiteren Ereignisse berichtete H. P. Müller selbst:<br />
„Nachdem eine Runde vorbei war, scherte der Rupert aus und ging an die<br />
Boxen. Er hat sich eine Rennkerze reinmachen lassen, ich erst drei Runden<br />
später; und gerade als ich anschob, kam er mit Dampf von hinten, sodass<br />
wir wieder Anschluss aneinander fanden. Ich habe bei ihm am Hinterrad<br />
gehangen, und dann kam Lesmo 2. Innen beim Einscheren war die etwas<br />
wellig, und in der Schräglage infolge Zentrifugalkraft und so weiter, setzt<br />
der Rupert mit der Raste auf, es hebt ihn etwas ab – ich sehe das jetzt noch,<br />
weil ich ja bloß drei bis vier Meter dahinter war – , hebt ihn hoch, stellt ihn<br />
quer und schon geht er quer über den Kopf weg und klatscht mit dem<br />
Rücken in die Strohballen. Ich hab natürlich alles versucht, um blitzschnell<br />
an der stürzenden Maschine vorbeizukommen, was mir gerade noch gelungen<br />
ist.“ Hermann Bertsch wartete indessen mit der Stoppuhr in der Hand<br />
etwa 50 Meter vor den Boxen vergebens auf seinen Fahrer. Er sah H. P.<br />
allein kommen, sah, wie er anhielt, sah wie Rennleiter Germer in seinen<br />
Pkw sprang und losraste und wusste sofort, dass etwas geschehen war.<br />
Ein anderer hätte diesen Sturz wahrscheinlich überlebt. Helm und Lederzeug<br />
waren keineswegs stark beschädigt, aber für Hollaus galten andere<br />
Maßstäbe. Die Operation zeigte, dass seine Schädeldecke dermaßen<br />
dünn war, dass sie selbst einen schwächeren Aufprall nicht hätte aushalten<br />
können. Ein scharf getretener Ball, mit dem Kopf abgefangen, wäre für<br />
Hollaus fährt so überlegen,<br />
dass er vorzeitig<br />
Weltmeister wird<br />
ihn genauso gefährlich gewesen. Gegen diese anatomische<br />
Besonderheit waren selbst die Spezialisten<br />
machtlos. Sie sahen sich außerstande, das Leben des<br />
Öster reichers zu retten, der erst eine Woche zuvor 24<br />
Jahre alt geworden war...“<br />
Der Schock<br />
Nach dem tragischen Todessturz des jungen österreichischen<br />
Rennfahrers zieht NSU am Sonntagmorgen<br />
alle Werks maschinen vom Start zurück. Auch die<br />
italienischen Rennställe zeigen sportliche Größe. MV<br />
Agusta setzt beispielsweise durch, dass die erste Runde<br />
des Rennens in der 125er-Klasse, deren Weltmeister<br />
Rupert Hollaus ja bereits war, im Ehrentempo gefahren<br />
wird. Damit verzichten die Werksfahrer auf den<br />
Vorzug eines guten Startplatzes. Und die MV-Sportkameraden<br />
sind es auch, die in der Pause zwischen<br />
den Rennen dafür sorgen, dass an der Unglücksstelle<br />
ein Blumengebinde für Hollaus niedergelegt wird.<br />
Natürlich hat der NSU-Rückzug auch bei den<br />
250ern eine starke Wirkung. Moto Guzzi zieht zu<br />
Ehren des Verunglückten seine Werksrennmaschine<br />
sogar vom Start zurück. Eine Haltung der italienischen<br />
Konkurrenten, die in den internationalen<br />
Medien hoch gewürdigt wird.<br />
Am 18. September 1954 wird Rupert Hollaus auf<br />
dem Friedhof in Traisen nahe Wien zu Grabe getragen.<br />
Von der Regierung wird ein Staatsbegräbnis<br />
angeordnet, um die außerordentlichen sport lichen<br />
Leistungen des Landsmannes zu würdigen. Ganz<br />
Österreich trauert um einen großen Sportler.<br />
Die Entscheidung<br />
Bei NSU sitzt der Schock ebenfalls tief. Da auch Baltisberger<br />
nach seinem schweren Sturz auf der Solitude<br />
noch immer nicht einsatzbereit ist, fällt man in<br />
Neckarsulm die Entscheidung, auf den Start beim<br />
letzten Weltmeisterschaftslauf in Barcelona ebenfalls<br />
zu verzichten. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt,<br />
dass sich NSU nach den Ereignissen von Monza nie<br />
wieder am Motorrad-Rennsport beteiligen sollte.<br />
Und das, obwohl die sportliche Bilanz der NSU-<br />
Werke in der zurückliegenden Saison 1954 beispiellos<br />
erfolgreich ausfällt, an der Rupert Hollaus mit seinem<br />
außerordentlichen Fahrtalent natürlich einen bedeutenden<br />
Anteil hatte: 1954 gewannen die Neckarsulmer<br />
sowohl die Titel in der 125er- und 250er-Weltmeisterschaft<br />
als auch jene in der Deutschen Meisterschaft<br />
bei den 125ern, 250ern und in der 350er-Klasse.<br />
Ins gesamt ging die NSU-Rennmannschaft in diesem<br />
Jahr 24 Mal bei Weltmeisterschaftsläufen und Deutschen<br />
Meisterschaftsläufen an den Start – und hat alle<br />
24 Wettbewerbsläufe gewonnen!<br />
NSU-Rückzug vom Straßen rennsport<br />
Mit dem Todessturz von Rupert Hollaus hat diese für<br />
die NSU-Rennabteilung so erfolgreiche Saison ein<br />
jähes Ende genommen. Niemand, der nicht Verständnis<br />
für den Rückzug des Teams in Monza gehabt<br />
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<strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> 111