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MOTORRAD Classic 7/2014

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getestet wurden. Um keinen Luftstau im Heck der Maschinen zu verursachen,<br />

wurden die Heckverschalungen mit verschieden großen Abströmschlitzen<br />

versehen, die dann wieder verschlossen und in anderen<br />

Dimensionen an anderen Stellen angebracht wurden. In zahlreichen<br />

Fahrversuchen und Geschwindigkeitsmessungen näherte man sich dem<br />

Optimum. Doch das schien in diesem Fall für die einzelnen Fahrer ganz<br />

unterschiedlich zu sein. So erhält letztlich jeder Fahrer für den Großen<br />

Preis der Nationen jenen Verkleidungstyp, mit dem er beim Testen in<br />

Hockenheim am besten zurechtgekommen war.<br />

So zeigt sich H. P. Müllers Rennfox in Monza mit einem kurzen, kastenförmigen<br />

Heck, während Rupert Hollaus eine Langheck-Version zur technischen<br />

Abnahme schiebt. Hollaus´ Maschine besitzt ein mit dem Rahmen<br />

verschraubtes Rohrgestell, an dem die Heckverkleidung durch vier Gummidämpfer<br />

elastisch befestigt ist. Auch Werner Haas fährt mit diesem<br />

langen Heck. Im Gegensatz zu den Maschinen seiner Teamkameraden ist<br />

die Verkleidung seiner Rennfox jedoch nicht starr mit dem Fahrzeug verbunden.<br />

Vielmehr kann sie sich in gewissen Grenzen der Strömung anpassen<br />

und leicht pendeln, ermöglicht durch zwei beiderseits des Motorrads<br />

an gebrachte Verstrebungen aus Blech und ein drehbares Gelenk am Heck.<br />

Die beiden vorderen Aufhängungspunkte sind – wie bei den anderen<br />

Maschinen – Gummielemente, die am Rahmen angeschraubt sind.<br />

Das tragische Ende<br />

Auch die 250er-Zweizylindermaschinen werden für Monza entsprechend<br />

vor bereitet. An den Fahrgestellen 05, 09 und 10 sind Rohrträger<br />

und lange Aluverkleidungen anstelle der bisherigen Heckverkleidungen<br />

angeschraubt. Die Rennmax von Haas erhält analog zu seiner<br />

Rennfox ebenfalls eine pendelnde Verkleidung, die mit Gummilagern<br />

und einem Gelenk am hinteren Ende befestigt ist. Für das neue Heck<br />

müssen die Sitzkissen der Renner abgeändert und die Federbeine verstärkt<br />

werden. Ohne Öl und Kraftstoff wiegt die Rennmax nun 135 Kilo.<br />

Den Verlauf des Trainings beschreiben Dieter Herz und Karl Reese<br />

in ihrem Buch „Die NSU- Renngeschichte“ so: „Das erste Training am<br />

Freitag begann mit einer Riesenüberraschung. Ubbiali legte auf der MV<br />

Zeiten vor, an die die Rennföxe nicht einmal annähernd herankamen und<br />

die gar nicht so recht in die Achtelliter-Klasse passten. Sehr schnell kam<br />

im NSU-Lager der Verdacht auf, dass Ubbiali eventuell mit einem<br />

175- cm³-Motor fährt, um die NSU-Fahrer nervös zu machen. Dieser ungewohnte<br />

Tatbestand verfehlte seinen Eindruck auf Hollaus nicht, obwohl<br />

er als bester NSU-Mann mit 2.31,7 Minuten nicht gerade schlecht lag. Die<br />

Instabilität der Maschinen war nicht überwunden, auch das hatten die<br />

ersten Trainingsrunden gezeigt. H. P. Müller beklagte sich am stärksten darüber,<br />

Hollaus weniger. Zu Beginn des Samstagstrainings vereinbarten<br />

beide, zum Anwärmen der Motoren erst einmal einige langsame Runden<br />

zu drehen, um dann nach dem fälligen Kerzenwechsel gemeinsam Tempo<br />

zu machen.“ Über die weiteren Ereignisse berichtete H. P. Müller selbst:<br />

„Nachdem eine Runde vorbei war, scherte der Rupert aus und ging an die<br />

Boxen. Er hat sich eine Rennkerze reinmachen lassen, ich erst drei Runden<br />

später; und gerade als ich anschob, kam er mit Dampf von hinten, sodass<br />

wir wieder Anschluss aneinander fanden. Ich habe bei ihm am Hinterrad<br />

gehangen, und dann kam Lesmo 2. Innen beim Einscheren war die etwas<br />

wellig, und in der Schräglage infolge Zentrifugalkraft und so weiter, setzt<br />

der Rupert mit der Raste auf, es hebt ihn etwas ab – ich sehe das jetzt noch,<br />

weil ich ja bloß drei bis vier Meter dahinter war – , hebt ihn hoch, stellt ihn<br />

quer und schon geht er quer über den Kopf weg und klatscht mit dem<br />

Rücken in die Strohballen. Ich hab natürlich alles versucht, um blitzschnell<br />

an der stürzenden Maschine vorbeizukommen, was mir gerade noch gelungen<br />

ist.“ Hermann Bertsch wartete indessen mit der Stoppuhr in der Hand<br />

etwa 50 Meter vor den Boxen vergebens auf seinen Fahrer. Er sah H. P.<br />

allein kommen, sah, wie er anhielt, sah wie Rennleiter Germer in seinen<br />

Pkw sprang und losraste und wusste sofort, dass etwas geschehen war.<br />

Ein anderer hätte diesen Sturz wahrscheinlich überlebt. Helm und Lederzeug<br />

waren keineswegs stark beschädigt, aber für Hollaus galten andere<br />

Maßstäbe. Die Operation zeigte, dass seine Schädeldecke dermaßen<br />

dünn war, dass sie selbst einen schwächeren Aufprall nicht hätte aushalten<br />

können. Ein scharf getretener Ball, mit dem Kopf abgefangen, wäre für<br />

Hollaus fährt so überlegen,<br />

dass er vorzeitig<br />

Weltmeister wird<br />

ihn genauso gefährlich gewesen. Gegen diese anatomische<br />

Besonderheit waren selbst die Spezialisten<br />

machtlos. Sie sahen sich außerstande, das Leben des<br />

Öster reichers zu retten, der erst eine Woche zuvor 24<br />

Jahre alt geworden war...“<br />

Der Schock<br />

Nach dem tragischen Todessturz des jungen österreichischen<br />

Rennfahrers zieht NSU am Sonntagmorgen<br />

alle Werks maschinen vom Start zurück. Auch die<br />

italienischen Rennställe zeigen sportliche Größe. MV<br />

Agusta setzt beispielsweise durch, dass die erste Runde<br />

des Rennens in der 125er-Klasse, deren Weltmeister<br />

Rupert Hollaus ja bereits war, im Ehrentempo gefahren<br />

wird. Damit verzichten die Werksfahrer auf den<br />

Vorzug eines guten Startplatzes. Und die MV-Sportkameraden<br />

sind es auch, die in der Pause zwischen<br />

den Rennen dafür sorgen, dass an der Unglücksstelle<br />

ein Blumengebinde für Hollaus niedergelegt wird.<br />

Natürlich hat der NSU-Rückzug auch bei den<br />

250ern eine starke Wirkung. Moto Guzzi zieht zu<br />

Ehren des Verunglückten seine Werksrennmaschine<br />

sogar vom Start zurück. Eine Haltung der italienischen<br />

Konkurrenten, die in den internationalen<br />

Medien hoch gewürdigt wird.<br />

Am 18. September 1954 wird Rupert Hollaus auf<br />

dem Friedhof in Traisen nahe Wien zu Grabe getragen.<br />

Von der Regierung wird ein Staatsbegräbnis<br />

angeordnet, um die außerordentlichen sport lichen<br />

Leistungen des Landsmannes zu würdigen. Ganz<br />

Österreich trauert um einen großen Sportler.<br />

Die Entscheidung<br />

Bei NSU sitzt der Schock ebenfalls tief. Da auch Baltisberger<br />

nach seinem schweren Sturz auf der Solitude<br />

noch immer nicht einsatzbereit ist, fällt man in<br />

Neckarsulm die Entscheidung, auf den Start beim<br />

letzten Weltmeisterschaftslauf in Barcelona ebenfalls<br />

zu verzichten. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt,<br />

dass sich NSU nach den Ereignissen von Monza nie<br />

wieder am Motorrad-Rennsport beteiligen sollte.<br />

Und das, obwohl die sportliche Bilanz der NSU-<br />

Werke in der zurückliegenden Saison 1954 beispiellos<br />

erfolgreich ausfällt, an der Rupert Hollaus mit seinem<br />

außerordentlichen Fahrtalent natürlich einen bedeutenden<br />

Anteil hatte: 1954 gewannen die Neckarsulmer<br />

sowohl die Titel in der 125er- und 250er-Weltmeisterschaft<br />

als auch jene in der Deutschen Meisterschaft<br />

bei den 125ern, 250ern und in der 350er-Klasse.<br />

Ins gesamt ging die NSU-Rennmannschaft in diesem<br />

Jahr 24 Mal bei Weltmeisterschaftsläufen und Deutschen<br />

Meisterschaftsläufen an den Start – und hat alle<br />

24 Wettbewerbsläufe gewonnen!<br />

NSU-Rückzug vom Straßen rennsport<br />

Mit dem Todessturz von Rupert Hollaus hat diese für<br />

die NSU-Rennabteilung so erfolgreiche Saison ein<br />

jähes Ende genommen. Niemand, der nicht Verständnis<br />

für den Rückzug des Teams in Monza gehabt<br />

www.motorrad-classic.de<br />

<strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> 111

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