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SPORT I<br />
NSU-Weltmeister Rupert Hollaus<br />
hätte. Ganz im Gegenteil. Eine derartige Geste war<br />
man dem Verunglückten, seiner Familie, seinen unzähligen<br />
Fans, aber auch seinen Teamkameraden,<br />
Fahrern und Mechanikern einfach schuldig.<br />
Selbst als NSU verkündet, auch auf den letzten<br />
Weltmeisterschaftslauf, den Großen Preis von Spanien<br />
in Barcelona, zu verzichten, trifft das in der rennsportbegeisterten<br />
Öffentlichkeit auf breites Verständnis.<br />
So manch ein Motorsportfreund mag sich gedacht<br />
haben, dass die Rennabteilung die verlängerte Winterpause<br />
bis zum Beginn der nächsten Saison nun<br />
sinnvoll nutzen könne, um die Rennmaschinen<br />
einmal ohne die übliche Hektik vorzubereiten. Doch<br />
es kommt anders. Als NSU-Chef Dr. Gerd Stieler von<br />
Heydekampf in einem Rundfunk-Interview am<br />
7. Oktober 1954 bekannt gibt, dass das Unternehmen<br />
prüfe, wie es mit der Rennabteilung und den Werksmaschinen<br />
zukünftig weitergehen solle und dass sogar<br />
die Möglichkeit in Erwägung gezogen werde, sich<br />
möglicherweise 1955 überhaupt nicht mehr aktiv am<br />
Rennsport zu beteiligen, lassen seine Ausführungen<br />
nichts Gutes erahnen.<br />
Als Gründe führt er an, dass man sich in zunehmendem<br />
Maße auf die weltweite Nachfrage der Serienmaschinen<br />
konzentrieren wolle. Außerdem herrsche<br />
nach dem Verlust von Hollaus und dem verletzungsbedingten<br />
Ausscheiden Baltisbergers, der sich<br />
immer noch nicht von seinem schweren Sturz auf der<br />
Solitude erholt hat, ein Mangel an Fahrern. Zwar habe<br />
man immer noch Werner Haas und H. P. Müller unter<br />
Vertrag, aber Haas hatte sich mittlerweile eine Autobahn-Tankstelle<br />
zugelegt, und der „Renntiger“ Müller,<br />
wie er von den Medien oft genannt wurde, war<br />
inzwischen auch schon 45 Jahre alt, sodass auch<br />
bei ihm früher oder später mit einem Rücktritt vom<br />
aktiven Rennsport zu rechnen sei.<br />
Als weiteren Grund nennt von Heydekampf die<br />
anhaltenden negativen Kritiken in Teilen der deutschen<br />
Presse. Tat sache sei, dass die selben Leute, die<br />
noch vor wenigen Jahren die deutsche Motorrad-<br />
Industrie und insbesondere die NSU-Werke zur Entwicklung<br />
international konkurrenzfähiger Maschinen<br />
für den Kampf um die Weltmeisterschaft aufforderten,<br />
in diesem Jahr den NSU-Werken aufgrund der<br />
absoluten Überlegenheit die Schuld für das schwindende<br />
Interesse am Motorsport geben würden.<br />
Auch in „Das Motorrad“ wurde in der zurückliegenden<br />
Saison nicht immer positiv über NSU berichtet.<br />
Bereits zum Saisonauftakt der Deutschen<br />
Meisterschaft wurde in der Reportage zum Rennen in<br />
Hockenheim eine einzylindrige Sportmax abgebildet<br />
mit den Zeilen „Um es einmal ganz deutlich zu klären:<br />
Dies ist die richtige Rennmax von NSU....wie die<br />
Serie...“ Es hatte den Anschein, als wolle der Autor die<br />
vom Werk als Rennmax entwickelten Zweizylindermaschinen,<br />
die eine ganze Nation mit zwei Motorrad-<br />
Weltmeisterschaften begeistert hatten, als solche<br />
nicht mehr anerkennen. Einige Ausgaben später dann<br />
wieder die Abbildung einer Sportmax: „Braun auf<br />
einer ‚echten‘ Rennmax – ein wirklicher, nur zurecht-<br />
Hollaus‘ Tod war Anlass,<br />
aber nicht der Grund<br />
für den NSU-Ausstieg<br />
gemachter Max-Motor...“. Dabei hatte NSU nichts falsch gemacht. Wieso<br />
sollten ausgerechnet die Rennmaschinen aus Neckarsulm besonders<br />
seriennah sein? Schließlich waren ja auch eine zweizylindrige 350er-<br />
Horex RS, eine Dreizylinder-DKW oder die Vier zylinder-Guzzi Motorräder,<br />
die einzig und allein für Renneinsätze konzipiert wurden!<br />
Als NSU schließlich Mitte des Jahres mit der hubraumschwächeren<br />
288er-Rennmax in die 350er-Klasse einstieg, befürchtete man in „Das<br />
Motorrad“, dass „...für Horex die urplötzlich aufgetauchte feindliche<br />
Schwester eine schwere Belastungsprobe ist... und es zu wünschen ist,<br />
dass weder DKW mit ihren Dreizylindern noch Horex mit dem Viertakt-Twin<br />
den Mut zum Weitermachen verlieren“.<br />
Tatsächlich hatte NSU mit größtem Aufwand und konsequenter<br />
Weiterentwicklung innerhalb von nur drei Jahren Rennmaschinen aufgebaut,<br />
die zum damaligen Zeitpunkt weltweit konkurrenzlos waren.<br />
Es waren Meisterschaftsmotorräder, und zwar im wahrsten Sinne des<br />
Wortes. Klar, dass ein Unternehmen, das sich am Motorsport beteiligt,<br />
nicht ausschließlich sportliche Gründe, sondern auch kommerzielle<br />
Interessen hat. Schon die ersten Automobil- und Motorradhersteller um<br />
1900 warben mit motorsport lichen Erfolgen ihrer Fahrzeuge um die<br />
Gunst der Kunden. Und so war das eben auch bei NSU.<br />
So gesehen müssten die kritischen Presseberichte über langweilige<br />
Rennen im Verlauf der 1954er-Saison eigentlich eher einen positiven<br />
Effekt auf die Verkaufszahlen ausgestrahlt haben, weil sie einzig und<br />
allein der erdrückenden Dominanz der Neckarsulmer Werksrenner<br />
zugeschrieben wurden. Doch bei NSU interpretierte man solche Zeilen<br />
anders. Berichte von faden Scheinkämpfen der NSU-Werksfahrer und<br />
einschlafenden Zuschauern beim Eilenriede-Rennen ließen Szenekenner<br />
vermuten, dass die NSU-Oberen von solchen negativen Presseberichten<br />
die Nase voll hatten, weil sie genau den gegenteiligen Effekt<br />
für die Absatzzahlen befürchteten.<br />
Der endgültige Schlussstrich<br />
Am 22. Oktober 1954 werden die Spekulationen dann Realität. Das<br />
Unternehmen gibt bekannt, im Jahr 1955 eine Rennpause einlegen<br />
zu wollen. Eine Pause, die in Wirklichkeit den Rückzug von NSU<br />
vom Motorradrennsport bedeutete. Der Tod von Rupert Hollaus, so<br />
darf heute angenommen werden, war vielleicht der Anlass, mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit aber nicht der Hauptgrund für diese Entscheidung,<br />
selbst wenn dies im Laufe der Jahre immer wieder so publiziert<br />
wurde. Doch wäre es ebenso falsch, den Rückzug vom aktiven Rennsport<br />
ausschließlich der Presse anlasten zu wollen.<br />
Schließlich war nicht zu übersehen, dass auch bei NSU die Motorrad-<br />
Zulassungen immer weiter sanken. In einem Bericht des Vorstands heißt<br />
es: „In einem größeren zeitlichen Zusammenhang ist ein fortschreitender<br />
Strukturwandel des Marktes zu beobachten. Die graphische Darstellung<br />
der Entwicklung des NSU-Umsatzes seit 1950 zeigt die Geschäftsausweitung<br />
durch Aufnahme der neuen Zweiradtypen Roller und Moped. Das<br />
Motorrad hatte 1953 seinen Höhepunkt erreicht und ist an der weiteren<br />
Umsatzsteigerung nicht mehr beteiligt.“ Außerdem „...wird deutlich, wie<br />
der prozentuale Anteil des Fahrrades sinkt. Das Moped ist an seine Stelle<br />
gerückt. In ähnlicher Weise bedrängt der Roller das klassische Motorrad.<br />
Der Radfahrer will nicht mehr treten und der Motorradfahrer findet beim<br />
Roller den besseren Schutz gegen Schmutz und Nässe“.<br />
Die Bedürfnisse der Kunden haben sich gewandelt, erschwingliche<br />
Klein wagen verdrängen das Zweirad immer mehr. Eine Entwicklung,<br />
die auch die NSU-Konkurrenten trifft, denn sowohl die Horex-Werke in<br />
Bad Homburg als auch die großen englischen Traditionsmarken AJS<br />
und Norton geben im Herbst 1954 die Auflösung ihrer Rennabteilungen<br />
und damit den Rückzug vom kostspieligen Motorradrennsport bekannt.<br />
Es sind die Vorboten des Niedergangs, dem letztlich nahezu die<br />
gesamte deutsche Motorrad-Industrie zum Opfer fallen sollte.<br />
NSU reagiert darauf mit der Entwicklung eines eigenen Kleinwagens,<br />
dem im Herbst des Jahres 1957 erscheinenden „Prinz“. Derweil<br />
arbeiten in der Forschungs abteilung des schwäbischen Unternehmens<br />
bereits Dr. Walter Froede und sein Team zusammen mit Dr. Felix Wankel<br />
am NSU-Kreiskolbenmotor.<br />
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112 <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> www.motorrad-classic.de