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MOTORRAD Classic 7/2014

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SPORT I<br />

NSU-Weltmeister Rupert Hollaus<br />

hätte. Ganz im Gegenteil. Eine derartige Geste war<br />

man dem Verunglückten, seiner Familie, seinen unzähligen<br />

Fans, aber auch seinen Teamkameraden,<br />

Fahrern und Mechanikern einfach schuldig.<br />

Selbst als NSU verkündet, auch auf den letzten<br />

Weltmeisterschaftslauf, den Großen Preis von Spanien<br />

in Barcelona, zu verzichten, trifft das in der rennsportbegeisterten<br />

Öffentlichkeit auf breites Verständnis.<br />

So manch ein Motorsportfreund mag sich gedacht<br />

haben, dass die Rennabteilung die verlängerte Winterpause<br />

bis zum Beginn der nächsten Saison nun<br />

sinnvoll nutzen könne, um die Rennmaschinen<br />

einmal ohne die übliche Hektik vorzubereiten. Doch<br />

es kommt anders. Als NSU-Chef Dr. Gerd Stieler von<br />

Heydekampf in einem Rundfunk-Interview am<br />

7. Oktober 1954 bekannt gibt, dass das Unternehmen<br />

prüfe, wie es mit der Rennabteilung und den Werksmaschinen<br />

zukünftig weitergehen solle und dass sogar<br />

die Möglichkeit in Erwägung gezogen werde, sich<br />

möglicherweise 1955 überhaupt nicht mehr aktiv am<br />

Rennsport zu beteiligen, lassen seine Ausführungen<br />

nichts Gutes erahnen.<br />

Als Gründe führt er an, dass man sich in zunehmendem<br />

Maße auf die weltweite Nachfrage der Serienmaschinen<br />

konzentrieren wolle. Außerdem herrsche<br />

nach dem Verlust von Hollaus und dem verletzungsbedingten<br />

Ausscheiden Baltisbergers, der sich<br />

immer noch nicht von seinem schweren Sturz auf der<br />

Solitude erholt hat, ein Mangel an Fahrern. Zwar habe<br />

man immer noch Werner Haas und H. P. Müller unter<br />

Vertrag, aber Haas hatte sich mittlerweile eine Autobahn-Tankstelle<br />

zugelegt, und der „Renntiger“ Müller,<br />

wie er von den Medien oft genannt wurde, war<br />

inzwischen auch schon 45 Jahre alt, sodass auch<br />

bei ihm früher oder später mit einem Rücktritt vom<br />

aktiven Rennsport zu rechnen sei.<br />

Als weiteren Grund nennt von Heydekampf die<br />

anhaltenden negativen Kritiken in Teilen der deutschen<br />

Presse. Tat sache sei, dass die selben Leute, die<br />

noch vor wenigen Jahren die deutsche Motorrad-<br />

Industrie und insbesondere die NSU-Werke zur Entwicklung<br />

international konkurrenzfähiger Maschinen<br />

für den Kampf um die Weltmeisterschaft aufforderten,<br />

in diesem Jahr den NSU-Werken aufgrund der<br />

absoluten Überlegenheit die Schuld für das schwindende<br />

Interesse am Motorsport geben würden.<br />

Auch in „Das Motorrad“ wurde in der zurückliegenden<br />

Saison nicht immer positiv über NSU berichtet.<br />

Bereits zum Saisonauftakt der Deutschen<br />

Meisterschaft wurde in der Reportage zum Rennen in<br />

Hockenheim eine einzylindrige Sportmax abgebildet<br />

mit den Zeilen „Um es einmal ganz deutlich zu klären:<br />

Dies ist die richtige Rennmax von NSU....wie die<br />

Serie...“ Es hatte den Anschein, als wolle der Autor die<br />

vom Werk als Rennmax entwickelten Zweizylindermaschinen,<br />

die eine ganze Nation mit zwei Motorrad-<br />

Weltmeisterschaften begeistert hatten, als solche<br />

nicht mehr anerkennen. Einige Ausgaben später dann<br />

wieder die Abbildung einer Sportmax: „Braun auf<br />

einer ‚echten‘ Rennmax – ein wirklicher, nur zurecht-<br />

Hollaus‘ Tod war Anlass,<br />

aber nicht der Grund<br />

für den NSU-Ausstieg<br />

gemachter Max-Motor...“. Dabei hatte NSU nichts falsch gemacht. Wieso<br />

sollten ausgerechnet die Rennmaschinen aus Neckarsulm besonders<br />

seriennah sein? Schließlich waren ja auch eine zweizylindrige 350er-<br />

Horex RS, eine Dreizylinder-DKW oder die Vier zylinder-Guzzi Motorräder,<br />

die einzig und allein für Renneinsätze konzipiert wurden!<br />

Als NSU schließlich Mitte des Jahres mit der hubraumschwächeren<br />

288er-Rennmax in die 350er-Klasse einstieg, befürchtete man in „Das<br />

Motorrad“, dass „...für Horex die urplötzlich aufgetauchte feindliche<br />

Schwester eine schwere Belastungsprobe ist... und es zu wünschen ist,<br />

dass weder DKW mit ihren Dreizylindern noch Horex mit dem Viertakt-Twin<br />

den Mut zum Weitermachen verlieren“.<br />

Tatsächlich hatte NSU mit größtem Aufwand und konsequenter<br />

Weiterentwicklung innerhalb von nur drei Jahren Rennmaschinen aufgebaut,<br />

die zum damaligen Zeitpunkt weltweit konkurrenzlos waren.<br />

Es waren Meisterschaftsmotorräder, und zwar im wahrsten Sinne des<br />

Wortes. Klar, dass ein Unternehmen, das sich am Motorsport beteiligt,<br />

nicht ausschließlich sportliche Gründe, sondern auch kommerzielle<br />

Interessen hat. Schon die ersten Automobil- und Motorradhersteller um<br />

1900 warben mit motorsport lichen Erfolgen ihrer Fahrzeuge um die<br />

Gunst der Kunden. Und so war das eben auch bei NSU.<br />

So gesehen müssten die kritischen Presseberichte über langweilige<br />

Rennen im Verlauf der 1954er-Saison eigentlich eher einen positiven<br />

Effekt auf die Verkaufszahlen ausgestrahlt haben, weil sie einzig und<br />

allein der erdrückenden Dominanz der Neckarsulmer Werksrenner<br />

zugeschrieben wurden. Doch bei NSU interpretierte man solche Zeilen<br />

anders. Berichte von faden Scheinkämpfen der NSU-Werksfahrer und<br />

einschlafenden Zuschauern beim Eilenriede-Rennen ließen Szenekenner<br />

vermuten, dass die NSU-Oberen von solchen negativen Presseberichten<br />

die Nase voll hatten, weil sie genau den gegenteiligen Effekt<br />

für die Absatzzahlen befürchteten.<br />

Der endgültige Schlussstrich<br />

Am 22. Oktober 1954 werden die Spekulationen dann Realität. Das<br />

Unternehmen gibt bekannt, im Jahr 1955 eine Rennpause einlegen<br />

zu wollen. Eine Pause, die in Wirklichkeit den Rückzug von NSU<br />

vom Motorradrennsport bedeutete. Der Tod von Rupert Hollaus, so<br />

darf heute angenommen werden, war vielleicht der Anlass, mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit aber nicht der Hauptgrund für diese Entscheidung,<br />

selbst wenn dies im Laufe der Jahre immer wieder so publiziert<br />

wurde. Doch wäre es ebenso falsch, den Rückzug vom aktiven Rennsport<br />

ausschließlich der Presse anlasten zu wollen.<br />

Schließlich war nicht zu übersehen, dass auch bei NSU die Motorrad-<br />

Zulassungen immer weiter sanken. In einem Bericht des Vorstands heißt<br />

es: „In einem größeren zeitlichen Zusammenhang ist ein fortschreitender<br />

Strukturwandel des Marktes zu beobachten. Die graphische Darstellung<br />

der Entwicklung des NSU-Umsatzes seit 1950 zeigt die Geschäftsausweitung<br />

durch Aufnahme der neuen Zweiradtypen Roller und Moped. Das<br />

Motorrad hatte 1953 seinen Höhepunkt erreicht und ist an der weiteren<br />

Umsatzsteigerung nicht mehr beteiligt.“ Außerdem „...wird deutlich, wie<br />

der prozentuale Anteil des Fahrrades sinkt. Das Moped ist an seine Stelle<br />

gerückt. In ähnlicher Weise bedrängt der Roller das klassische Motorrad.<br />

Der Radfahrer will nicht mehr treten und der Motorradfahrer findet beim<br />

Roller den besseren Schutz gegen Schmutz und Nässe“.<br />

Die Bedürfnisse der Kunden haben sich gewandelt, erschwingliche<br />

Klein wagen verdrängen das Zweirad immer mehr. Eine Entwicklung,<br />

die auch die NSU-Konkurrenten trifft, denn sowohl die Horex-Werke in<br />

Bad Homburg als auch die großen englischen Traditionsmarken AJS<br />

und Norton geben im Herbst 1954 die Auflösung ihrer Rennabteilungen<br />

und damit den Rückzug vom kostspieligen Motorradrennsport bekannt.<br />

Es sind die Vorboten des Niedergangs, dem letztlich nahezu die<br />

gesamte deutsche Motorrad-Industrie zum Opfer fallen sollte.<br />

NSU reagiert darauf mit der Entwicklung eines eigenen Kleinwagens,<br />

dem im Herbst des Jahres 1957 erscheinenden „Prinz“. Derweil<br />

arbeiten in der Forschungs abteilung des schwäbischen Unternehmens<br />

bereits Dr. Walter Froede und sein Team zusammen mit Dr. Felix Wankel<br />

am NSU-Kreiskolbenmotor.<br />

◻<br />

112 <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 7/<strong>2014</strong> www.motorrad-classic.de

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