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Zeitschrift für Bildung und Kultur - Freie Waldorfschule Oberberg

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Die Faszination der Games<br />

auf Jungen<br />

Was aber ist es nun, das die Spiele <strong>für</strong> Jungen so<br />

faszinierend macht? Schauen wir dazu auf den Inhalt<br />

solcher Spiele wie etwa „World of Warcraft“,<br />

„Counterstrike“ oder „Call of Duty“, die zu den bei<br />

Jungen beliebtesten Spielen zählen, dann sehen wir,<br />

dass hier genau jene Bedürfnisse, die im Bereich<br />

des sozialen Handelns eigentlich in der Realität befriedigt<br />

werden sollten, angesprochen werden: „Ich<br />

kann anderen nützlich sein, was ich hier tue, ist<br />

von großer Bedeutung, meine Tätigkeit trägt zum<br />

Wohl des Ganzen bei. Dabei kann ich mit anderen<br />

in Übereinstimmung handeln.“<br />

Und es kommt etwas Zweites hinzu: In allen diesen<br />

Spielen geht es in virtuellen Welten um klassisch<br />

männliche Tugenden: nämlich um Mut, Schmerzüberwindung,<br />

Durchsetzungsvermögen, Siegeswillen<br />

<strong>und</strong> Beherrschung.<br />

„Rites de passage“<br />

Viele der in den Spielen immer wieder auftauchenden<br />

Szenarien erinnern bei genauerem Hinsehen an<br />

das, was in archaischen Gesellschaften als „Rites de<br />

passage“, als Übergangs- oder Mannbarkeitsrituale<br />

praktiziert wurde. Dabei ging es immer darum,<br />

aus den Knaben Männer zu machen. Die Erziehung<br />

der Knaben ging deshalb ab einem bestimmten Alter<br />

von den Frauen <strong>und</strong> Müttern an die Väter bzw.<br />

Männer über. Deren Aufgabe war es dann, durch<br />

diese Rituale Angst- <strong>und</strong> Schmerzerfahrungen zu<br />

vermitteln, um die Reife zum Mann damit zu bewirken.<br />

Offensichtlich war in diesen Gesellschaften mehr<br />

unbewusst die unterschiedliche Reifung der Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen ein <strong>für</strong> die Erziehung prägender<br />

Faktor. Erleben die Mädchen in der Zeit der Geschlechtsreife<br />

auf biologischem Wege körperliche<br />

Schmerzen, die sich dann später auch bei der Fortpfl<br />

anzung bis hin zur Geburt eines Kindes fortsetzen,<br />

so sind bei den Jungen alle Vorgänge, die zur<br />

Geschlechtsreife führen eher lustvoll, in keinem<br />

Falle jedenfalls schmerzhaft. Den Jungen fehlt<br />

also auf der biologischen Ebene die Erfahrung des<br />

Schmerzes, <strong>und</strong> deshalb wurde diese auf äußerem<br />

Wege der Entwicklung hinzugefügt.<br />

In früheren Zeiten wurden auch, noch bis in die<br />

zweite Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hinein, in un-<br />

serer Zivilisation von vielen Jungen so etwas wie<br />

„Mutproben“, „Aufnahmerituale“, Zweikämpfe oder<br />

Kämpfe von Banden gegeneinander in spielerischer<br />

Weise ausgeübt. 5 Da konnte man draußen toben,<br />

Kräfte messen, seinen Mut erproben, mit anderen<br />

sich in Gefahr begeben, etwas bauen, etwas erobern,<br />

etc.<br />

Heute dagegen fehlen solche Erlebnisräume, die<br />

nicht von Erwachsenen bereits vorbestimmt <strong>und</strong><br />

fertig gestaltet sind, weitgehend. Es fehlen Möglichkeiten,<br />

in denen man die Natur gemeinsam mit<br />

anderen erobern, Gefahren bestehen <strong>und</strong> Angst<br />

überwinden kann.<br />

Games als virtuelle Initiationsrituale<br />

– fehlende männliche Vorbilder<br />

Bei der immer mehr zunehmenden Faszination, die<br />

die Games auf Jungen heutzutage ausüben, hat<br />

man deshalb den Eindruck, dass hier auf virtuelle<br />

Weise etwas ersetzt wird, was in der realen Welt<br />

nicht mehr erfahrbar ist.<br />

Dazu kommt aber noch etwas Zweites. In vielen Familien<br />

<strong>und</strong> im gesamten Erziehungsbereich bis zur<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe fehlen weitgehend männliche Vorbilder<br />

<strong>und</strong> Erzieher. Die gesellschaftliche Entwicklung<br />

hat es mit sich gebracht, dass sich Männer in<br />

der Erziehung von Kindern weitgehend zurückgezogen<br />

haben. Den Jungen fehlen dadurch die notwendigen<br />

männlichen Vorbilder, an denen sie sich<br />

orientieren können. Diese wiederum fi nden sie in<br />

den Games zu Hauf. Hier wimmelt es nur so von<br />

Helden, von starken Männern usw.<br />

Das aber führt wiederum dazu, dass Jungen heute<br />

als das „schwache“ Geschlecht da stehen. Sie sind<br />

in ihren schulischen Leistungen schlechter, der Anteil<br />

Mädchen bei der Hochschulreife <strong>und</strong> bei den<br />

Studienanfängern liegt mittlerweile bei 60%. Der<br />

Anteil der Jungen bei den Schulabbrechern <strong>und</strong><br />

Hauptschulabschlüssen umgekehrt ebenfalls bei<br />

60%.<br />

Die Spirale geht dabei weiter nach unten, denn Untersuchungen<br />

des KFN im Hinblick auf den Zusammenhang<br />

von Computerspiel-Konsum <strong>und</strong> schulischen<br />

Leistungen wiesen eindeutig einen negativen<br />

Zusammenhang auf: je mehr gezockt wird, umso<br />

schlechter die schulischen Leistungen. Die am Bildschirm<br />

verbrachte Zeit wirkt sich hier eindeutig<br />

kontraproduktiv aus.<br />

5 Die gerade in den Kinos laufende Neuverfi lmung des Max von der Grün Jugendbuchklassikers „Vorstadtkrokodile“ legt<br />

davon ein sehr schönes Zeugnis ab.<br />

Cristal 12 | 2009 23

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