Zeitschrift für Bildung und Kultur - Freie Waldorfschule Oberberg
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Auf Veränderungen der Kinder antworten<br />
Natur-Werkstatt in der 1. Klasse<br />
Petra Zibler<br />
Seit etwa 10 Jahren führen wir die gleichen Aufnahmeuntersuchungen<br />
<strong>für</strong> die 1. Klasse durch.<br />
Die Veränderungen der Kinder in der wiederkehrenden<br />
Einschulungssituation stehen uns unmittelbar<br />
<strong>und</strong> deutlich vor Augen. Wir erleben eine immer<br />
stärker werdende Individualisierung der Kinder <strong>und</strong><br />
ihrer Entwicklung.<br />
Heute erleben wir an den Kindern, dass vieles<br />
fehlt, das früher selbstverständlich war, besonders<br />
auf den Ebenen der Sinneswahrnehmung, Bewegungsentwicklung<br />
<strong>und</strong> Koordination. Die allgemein<br />
unbestrittene Tatsache, dass die Zahl der Kinder<br />
mit Entwicklungs-, Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Bewegungsstörungen<br />
zunimmt, bis hin zu extremen<br />
Verhaltensauffälligkeiten (ADS, ADHS,…) <strong>und</strong> Einschränkung<br />
von Lebensvitalität <strong>und</strong> Lebensfreude<br />
ist <strong>für</strong> uns wahrnehmbar.<br />
Das nach innen Nehmen <strong>und</strong> wieder nach außen<br />
Geben scheint schwieriger geworden zu sein, so<br />
z.B. die Erinnerung an eine Liste von Sachen, die<br />
spielerisch eingekauft werden sollen, oder das Aufgreifen<br />
<strong>und</strong> Selbergestalten einer Form, die an die<br />
Tafel gemalt ist.<br />
Andererseits ist der Denkpol wach <strong>und</strong> es können<br />
erstaunliche Denkzusammenhänge hergestellt<br />
werden. Auch die Betrachtung eigenen Handelns<br />
geschieht viel früher. Die fühlende Mitte ist groß,<br />
offen <strong>und</strong> sensibel.<br />
Insgesamt lässt sich wahrnehmen, dass die Verbindung<br />
mit dem Irdischen in sehr unterschiedlicher,<br />
individueller Weise nicht mehr selbstverständlich<br />
geworden ist <strong>und</strong> wir mehr denn je die Aufgabe<br />
verspüren, die Kinder in diese Welt hineinlocken<br />
Handwerk 1. Klasse<br />
Astscheiben <strong>für</strong> die Rechensäckchen werden angefertigt<br />
zu wollen, damit sie erleben können, dass die Welt<br />
schön ist <strong>und</strong> dass sie in Zutrauen <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />
wachsen, um sich selbstbewusst <strong>und</strong> sicher mit ihrer<br />
einzigartigen Individualität in die Welt stellen<br />
zu können.<br />
Zur Gestaltung des Übergangs vom Kindergarten<br />
zur Schule haben wir uns bisher auf das „traditionelle<br />
Modell“ gestützt; d. h. wir haben nicht schulreife<br />
Kinder zurückgestellt <strong>und</strong> haben die Kinder im<br />
Waldorfkindergarten in altersgemischten Gruppen<br />
<strong>und</strong> in der <strong>für</strong> sie angemessenen Umgebung die<br />
Schulreife vollziehen lassen.<br />
Den Veränderungen der Schulkinder sind wir mit<br />
Elementen des so genannten „Bochumer Modells“<br />
begegnet: mit dem bewegten Klassenzimmer, mit<br />
intensiverer Bewegungs- <strong>und</strong> Sinnesschulung,<br />
stärkerer Rhythmisierung von Tages- <strong>und</strong> Wochenablauf<br />
<strong>und</strong> der begleitenden, Sicherheit gebenden<br />
Konstanz durch den Klassenlehrer, der die Kinder<br />
den gesamten Schulvormittag begleitet. Dies allein<br />
erschien uns nun nicht mehr ausreichend.<br />
Der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong> ist, dass in NRW jetzt das novellierte<br />
Schulgesetz in der Fassung v. 27.6.2006<br />
gilt. Es besagt, dass die Schulpfl icht in Schritten bis<br />
zum Schuljahr 2014/15 auf den 31.12. vorgezogen<br />
wird; d. h. um ein halbes Jahr. In den letzten beiden<br />
Jahren waren erste Auswirkungen allein durch den<br />
ersten Schritt, die Vorverlegung um einen Monat,<br />
erlebbar.<br />
Schulpfl ichtige Kinder können nun nur noch aus<br />
erheblichen ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen <strong>für</strong> ein<br />
Schuljahr zurückgestellt werden.<br />
In den Begründungen zum Schulrechtsänderungsgesetz<br />
heißt es:<br />
„Erhebliche ges<strong>und</strong>heitliche Gründe sind namentlich<br />
Erkrankungen, die einen Schulbesuch unmöglich<br />
machen. Zweifel an der Schulfähigkeit eines<br />
schulpfl ichtigen Kindes sollen nach dem Willen<br />
des Landesgesetzes kein Gr<strong>und</strong> mehr <strong>für</strong> eine Zurückstellung<br />
schulpfl ichtiger Kinder sein. Defi zite<br />
bei den Voraussetzungen <strong>für</strong> ein erfolgreiches<br />
Lernen sollen nunmehr durch Förderungen bis hin<br />
zur sonderpädagogischen Förderung ausgeglichen<br />
werden.“<br />
Das bedeutet, dass die Schulfähigkeit innerhalb<br />
der Schule <strong>für</strong> alle Kinder geschaffen werden<br />
soll.<br />
Cristal 12 | 2009