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Ungefähr heute vor einem Jahr.<br />
<strong>PS</strong>-Chef Uwe Seitz setzt seinen<br />
jüngsten Redakteur auf<br />
die Gaststart-Maschine im<br />
R6-Cup: „Fahr da mal und bring eine<br />
Geschichte mit.“ Kein Problem, dachte<br />
ich mir damals. Doch es war durchaus<br />
ein Problem. Im ältesten Markencup<br />
der Welt und einer der renommiertesten<br />
Kaderschmieden fahren keine<br />
Nasenbohrer herum. Die wissen alle<br />
genau, was sie tun und wie Rennsport<br />
funktioniert.<br />
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nur<br />
an welchem Lenkerende man drehen<br />
muss, damit das Motorrad beschleunigt.<br />
Ich wusste auch, wie das mit dem<br />
Knie am Boden funktioniert. Aber im<br />
Cup fahren und für Fotostunts im Heft<br />
posieren sind zwei verschiedene Dinge,<br />
die am Ende wenig gemeinsam haben.<br />
Ich konnte mir noch nicht so richtig<br />
vorstellen, wie fein das Raster zwischen<br />
den Klassifizierungen „schnell“,<br />
„richtig schnell“ und „verdammt<br />
schnell“ auf der Rennstrecke ausfällt.<br />
Hundertstel bedeuten ein paar Meter,<br />
Sekunden mehrere Welten. Einige<br />
Landstraßenbolzer meinen, sie könnten<br />
super Motorrad fahren, weil das Knie<br />
ab und zu mal den Boden streichelt.<br />
Die Wahrheit ist eine andere: Gemessen<br />
an erfahrenen und talentierten<br />
Racern haben diese Hitzköpfe nicht<br />
arg viel mehr drauf als Zahnbelag.<br />
Und schon bekam ich die erste<br />
Lektion ins Gesicht gerieben: Demut.<br />
Ich wurde in meinem ersten professionellen<br />
Rennen Vorletzter und fühlte<br />
mich beschissen. Gut, bei einem normalen<br />
Renntraining überholten mich<br />
mal irgendwelche Cracks. Aber bestimmt<br />
nicht das ganze Feld! Meiner<br />
eigenen Einschätzung nach fuhr ich<br />
immer Vollgas, bremste spät und zog<br />
früh auf. War aber nicht so. Das Data<br />
Recording lügt nicht. Ich schloss das<br />
Gas zaghaft wie ein verschrecktes<br />
Mädchen, baute viel zu lange Rollphasen<br />
vor jedem Kurveneingang ein und<br />
bremste nicht hart genug. Eigentlich<br />
wollte ich die 600er nach dem katastrophalen<br />
Wochenende nie wieder anfassen<br />
und die Sache möglichst schnell<br />
vergessen. Nach einer Besinnungsphase<br />
verwarf ich diesen Gedanken<br />
wieder. Ich liebe Motorradfahren und<br />
Geschwindigkeit über alles. Und aufgeben<br />
ist generell was für Waschlappen!<br />
Es blieb nur die Flucht nach vorne: zur<br />
Cup-Saison <strong>2016</strong> anmelden und lernen,<br />
lernen, lernen.<br />
Über Yamaha Deutschland kam ich<br />
mit meinem Händler Uli Schüller aus<br />
Jüchen in Kontakt. Er baute mir nicht<br />
einfach nur meine R6 auf und machte<br />
sie nach Bodenproben wieder fit.<br />
Bei allen Veranstaltungen hatte er die<br />
Übersicht und einen Plan zur Hand.<br />
Er versorgte mich mit Ratschlägen und<br />
Ideen für Verbesserungen, einem<br />
Schlafplatz unterm Teamzelt und mit<br />
kaltem Bier. Ich denke, ohne eine Begleitung<br />
dieser Art braucht man kaum<br />
darüber nachzudenken, überhaupt<br />
Yamaha-Cup zu fahren. Eine One-Man-<br />
Show kann man hier nicht abziehen,<br />
das funktioniert nicht.<br />
Uli Schüller betreut bereits seit<br />
2010 Fahrer im Cup und weiß genau,<br />
was es bedeutet, eine Saison zu bestreiten:<br />
„Versprich dir nicht zu viel,<br />
das erste Jahr ist eigentlich zum Lernen<br />
da“. Das klang für mich in Ordnung,<br />
denn ich wollte ja unbedingt lernen. Im<br />
Anschluss kümmerte ich mich verstärkt<br />
um meine körperliche Fitness,<br />
weil ich da sowieso Spaß dran habe<br />
und ich mich irgendwie vorbereiten<br />
wollte. Ende März war ich fit wie ein<br />
Turnschuh, saß aber aus Zeit- und<br />
Geldmangel noch keinen Meter auf der<br />
Cup-R6. Ein Fehler, denn ein Halbmarathon<br />
kann keine Fahrpraxis ersetzen.<br />
Mittlerweile denke ich, dass man das<br />
ganze Fitnesszeug nahezu abhaken<br />
kann. Eine solide Grundfitness reicht<br />
aus, solange man nicht unbedingt in<br />
der Superbike-WM antreten möchte. Es<br />
kommt einzig und allein auf die Erfahrung<br />
mit dem Bike und den Kopf an.<br />
Alles andere tendiert in Richtung egal.<br />
Dann kamen das Auftakttraining<br />
am Lausitzring und das erste Rennen.<br />
Meine Lederkombi war noch nicht richtig<br />
eingetragen und fühlte sich steif an,<br />
das Wetter war saukalt und ich fuhr ein<br />
miserables Qualifying. Ich startete von<br />
weit hinten, wurde im Rennen aber 23.<br />
von 33 Startern. Ex-Cuppie Marco Freyer<br />
rettete mir gewissermaßen die Haut,<br />
indem er kurz vor dem Rennen noch<br />
das Fahrwerk meiner Maschine so abstimmte,<br />
dass ich damit schnell fahren<br />
konnte. Es folgte der zweite Lauf am<br />
Nürburgring. Noch mal kein gutes Qualifying,<br />
aber im Rennen immerhin der<br />
21. Platz. Langsam verstand ich die<br />
600er besser, und es stellte sich ein<br />
höherer Grundspeed ein. Gas schnell<br />
schließen, entschlossen bremsen, Rollphase<br />
gering halten, Linie treffen, Gas<br />
aufziehen und dabei nicht vergessen<br />
zu atmen. Locker bleiben. Die Rundenzeiten<br />
waren okay und ich begann,<br />
auf die Punkteränge ab Platz 15 zu<br />
schielen. Ich wollte in dieser Saison<br />
unbedingt einen Zähler holen, das war<br />
ab diesem Moment das erklärte Ziel.<br />
Vor dem nächsten Lauf in Zolder<br />
nahm ich mir frei und fuhr extra zum<br />
Trainieren nach Belgien rüber. Bis dahin<br />
kannte ich die Strecke nicht, hatte<br />
aber gehört, dass sie trickreich sein<br />
soll. Das ist sie tatsächlich, der Spaßfaktor<br />
kann aber locker mithalten.<br />
Natürlich ging das Qualifying wieder<br />
schief. Im Rennen klappte in den<br />
Burn, Baby! Nach dem Rennen wird am<br />
Außenrand der Sachskurve und im Bereich<br />
der Südkurve Gummi vernichtet