11/2016
Fritz + Fränzi
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Dossier<br />
Die Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf ist eine trügerische Behauptung<br />
von Politik und Wirtschaft.<br />
>>> Deutschland», hat der Trendforscher<br />
Matthias Horx einmal<br />
geschrieben, «ist ein Wettbewerb um<br />
Anwesenheitszeiten, um kommunikative<br />
Präsenz. Wer führt, muss nach<br />
einem Acht-Stunden-Tag noch für<br />
Meetings und Absprachen an der Bar<br />
zur Verfügung stehen. Kann sein<br />
Wochenende vergessen. Muss immer<br />
erreichbar sein.»<br />
In der Schweiz ist das nicht<br />
anders. Kaum eine Mutter kann es<br />
sich leisten, zwölf Stunden bei der<br />
Arbeit auszuharren oder am Feierabend<br />
mit ihren Kollegen abzuhängen.<br />
Frauen hetzen nach Büroschluss<br />
nach Hause zu den Kindern,<br />
während es für Männer verpönt ist,<br />
um 17 Uhr wegen der Kinder das<br />
Büro zu verlassen.<br />
Zudem verdienen Männer immer<br />
noch 20 bis 30 Prozent mehr als<br />
Frauen. In «typischen Männerberufen»<br />
– wie etwa in der Banken-,<br />
Auto- oder Versicherungsbranche<br />
– ist der Lohn schon von Beginn an<br />
höher angesetzt als etwa im Pflegebereich,<br />
wo sich vermehrt Frauen<br />
um Kleinkinder, Kranke und ältere<br />
Leute kümmern.<br />
Hinzu kommt die unbezahlte<br />
Arbeit: Haushalt, Kinderbetreuung<br />
und die Pflege bedürftiger Angehöriger.<br />
2013 wurden in der Schweiz<br />
dafür 8,7 Milliarden Stunden gearbeitet,<br />
was einem Geldwert von 401<br />
Milliarden Franken entspricht, wie<br />
das Bundesamt für Statistik berechnet<br />
hat.<br />
Es sind vorwiegend Frauen (62<br />
Prozent), die diese unbezahlten<br />
Tätigkeiten ausführen, während 62<br />
Prozent der Männer bezahlter Arbeit<br />
nachgehen. Weil Frauen oft gratis<br />
arbeiten oder schlechter bezahlt<br />
sind, droht ihnen die Gefahr der<br />
Altersarmut, weil unbezahlte oder<br />
schlecht bezahlte Arbeit nicht ren<br />
tenrelevant ist. Auch bekommen<br />
Frauen im Alter eine kleinere Pension,<br />
obwohl sie lebenslang gearbeitet<br />
haben.<br />
Mythos 6: Die emanzipierte Frau<br />
kann problemlos Beruf und Arbeit<br />
vereinbaren.<br />
Falsch: Die Karrierefrau mit Kindern<br />
ist die Ausnahme.<br />
Das Bild der beruflich erfolgreichen<br />
Mutter, die ihre Karriere verfolgt,<br />
während sie spielend drei Kinder<br />
aufzieht, ist heute genauso ideologisiert<br />
wie unlängst das überhöhte Bild<br />
der duldsamen Mutter, die sich für<br />
ihren Mann und ihre Kinder aufopfert.<br />
Beides hat mit der Realität<br />
wenig zu tun. Auch in den ehemaligen<br />
sozialistischen Ländern, in<br />
denen die Strukturen so ausgelegt<br />
waren, dass Mütter voll erwerbstätig<br />
waren, blieb die Karrierefrau mit<br />
Kindern die Ausnahme. Während<br />
Frauen vorwiegend assistierende<br />
Tätigkeiten ausführten, hatten die<br />
Männer die interessanten Jobs –<br />
Männer befahlen, Frauen dienten.<br />
Die Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf ist eine trügerische Be <br />
hauptung von Wirtschaft und Politik.<br />
Dieses Hin und Her zwischen den<br />
Ansprüchen der Arbeitswelt und der<br />
Familie zehrt an der Substanz – bei<br />
Vätern wie auch bei Müttern. Trotzdem<br />
werden wir dazu angehalten,<br />
immer mehr und immer länger zu<br />
arbeiten. In der Europäischen Union<br />
hat sich der Appell des «dual earner<br />
couple» – der Integration beider<br />
Elternteile in die Arbeitswelt – schon<br />
seit längerer Zeit etabliert. Beide<br />
Eltern sollen möglichst Vollzeit<br />
arbeiten, um eigenverantwortlich ihr<br />
Leben zu verdienen, während die<br />
staatlichen Leistungen ausgedünnt<br />
oder abgeschafft werden. >>><br />
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