11/2016
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Monatsinterview<br />
«Wir können viel tun, damit ein<br />
Kind in Würde sterben kann»<br />
Wenn das eigene Kind unheilbar erkrankt, steht das Leben einer Mutter, eines Vaters<br />
still. Eva Bergsträsser und Eva Cignacco fordern, diese Familien besser zu begleiten.<br />
Die Medizinerin und die Pflegewissenschafterin über Palliative Care, die letzte Zeit im<br />
Leben eines Kindes und die Nöte ihrer Eltern. Interview: Evelin Hartmann Bilder: Marvin Zilm / 13 Photo<br />
Ein regnerischer Septembertag in<br />
Zürich. Eva Bergsträsser empfängt<br />
am Eingang des Kinderspitals ihre<br />
Kollegin Eva Cignacco aus Basel. Die<br />
beiden Frauen kennen sich gut, sie<br />
haben im Rahmen einer nationalen<br />
Studie eng zusammengearbeitet.<br />
Gemeinsam gehen die Ärztin und<br />
die Pflegewissenschaftlerin zum<br />
Aufzug. Im oberen Stock: graue<br />
Böden, schmucklose Wände. Kurze<br />
Betten für kleine Patienten reihen<br />
sich auf den Fluren aneinander,<br />
stehen zum Einsatz bereit. «Ich<br />
denke, wir suchen uns einen<br />
Besprechungsraum, dort können<br />
wir uns in Ruhe unterhalten», sagt<br />
Eva Bergsträsser und lächelt.<br />
Frau Bergsträsser, Frau Cignacco,<br />
beim Begriff Palliative Care (lat. palliare,<br />
«mit einem Mantel bedecken»;<br />
engl. care, «Fürsorge, Betreuung»)<br />
denken viele sofort an Sterbebeziehungsweise<br />
Trauerbegleitung.<br />
Eva Bergsträsser: Das sind mit<br />
Sicherheit zwei wesentliche Bestandteile<br />
der Palliative Care. Palliative<br />
Care umfasst aber weit mehr als die<br />
Sterbe- und Trauerbegleitung –<br />
nämlich die Lebensgestaltung in den<br />
letzten Wochen, Monaten, ja vielleicht<br />
sogar Jahren eines Patienten.<br />
Das Ziel ist dann, dass das Leben<br />
trotz einer unheilbaren Krankheit<br />
lebenswert bleibt.<br />
Eva Cignacco: International gesehen<br />
kann man sagen, dass der Beizug<br />
spezialisierter Palliative-Care-Teams<br />
für Familien die Lebensgestaltung<br />
dieser Kinder trotz schwerer Krankheit<br />
erleichtert. Diese Unterstützung<br />
kann Spitalaufenthalte verhindern<br />
helfen und auch Therapien vermeiden,<br />
die leider nicht mehr zu einer<br />
Krankheitskontrolle und Lebensverlängerung<br />
führen. Dieser Bestandteil<br />
von Palliative Care kommt aber hierzulande<br />
in der Kindermedizin häufig<br />
noch zu kurz.<br />
«Ich würde die<br />
Mutter fragen:<br />
Warum haben Sie<br />
das Gefühl, dass<br />
Ihr Kind stirbt?»<br />
Eva Bergsträsser: Ausserdem bekamen<br />
alle Kinder in den letzten ein<br />
bis vier Lebenswochen eine sehr<br />
intensive Behandlung mit einer<br />
hohen Anzahl von Medikamenten.<br />
Viele dieser Medikamente sind notwendig,<br />
wie Schmerzmedikamente,<br />
aber die Anzahl hat uns überrascht<br />
– bis zu 45 Medikamente am Tag<br />
wurden verschrieben.<br />
Was schliessen Sie daraus?<br />
Eva Bergsträsser: Dass eine sehr<br />
intensive Medizin betrieben wird<br />
und dabei wichtige Aspekte der<br />
Betreuung am Lebensende zu kurz<br />
kommen.<br />
Fühlen sich Ärzte unsicher, wenn es<br />
um sterbende Kinder geht?<br />
Eva Cignacco: Unsere Studie deutet<br />
darauf hin. Aktiv sein, Therapien<br />
durchführen, Medikamente verschreiben<br />
hat man als Mediziner<br />
gelernt. Um den Sterbeprozess einzuleiten,<br />
bräuchte es aber einen<br />
Richtungswechsel in der Behandlung.<br />
Dieser Richtungswechsel setzt aber<br />
den Moment voraus, in dem klar ausgesprochen<br />
wurde: «Ab jetzt gibt es<br />
keine Aussicht mehr auf Heilung.»<br />
Warum tun sich Mediziner damit so<br />
schwer?<br />
Eva Cignacco: Weil sie darin zu wenig<br />
Erfahrung haben. Das Palliative, bei<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Eva Cignacco: Wir haben in einer<br />
national angelegten Studie die Krankengeschichten<br />
von 149 verstorbenen<br />
Kindern untersucht (siehe Box<br />
S. 41). Wir wollten wissen, wie Kinder<br />
an ihrem Lebensende betreut<br />
werden. Dabei wurde unter anderem<br />
deutlich, dass der überwiegende Teil<br />
dieser Kinder im Spital, auf der<br />
Intensivstation, statt zu Hause verstorben<br />
ist. Nachrichten zu übermitteln,<br />
dem es wichtig ist, Eltern schlechte<br />
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