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Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

«Wir lassen uns nicht von<br />

Kritik beeinflussen. Und schon<br />

gar nicht einschüchtern.»<br />

Mittwochmorgen,<br />

8.30 Uhr. Vor der<br />

Kaffeemaschine<br />

der kleinen<br />

Küche der KESB<br />

an der Berner Weltpoststrasse hat<br />

sich eine Schlange gebildet. Charlotte<br />

Christener, die Chefin, steht an<br />

wie alle anderen auch. «Charlotte,<br />

hast du kurz Zeit für Frau Sonderegger?<br />

Sie ist am Telefon.» Christine<br />

Brauchle, die Leiterin des Sekretariats,<br />

streckt den Kopf zur offenen<br />

Tür herein, kaum steht Christener<br />

zuvorderst. Sie nickt, zuckt die<br />

Schultern. Der Kaffee muss warten.<br />

Zwei Minuten später schlendert sie<br />

mit einem Headset auf dem Kopf<br />

durch die Gänge. «Ja, ich rechne<br />

auch noch mit einer Anzeige. Aber<br />

was will man machen?», sagt sie.<br />

Leute, die der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde<br />

KESB im Allgemeinen<br />

und ihrer Chefin im<br />

Besonderen nichts Gutes wünschen,<br />

gibt es zur Genüge. Kaum eine<br />

Woche vergeht ohne Schlagzeilen<br />

wie «Sozial-Irrsinn bei der KESB»,<br />

«Mahnwache gegen KESB-Willkür»<br />

oder «Schafft endlich die KESB ab».<br />

Charlotte Christener und ihr<br />

Team haben gelernt, damit zu leben.<br />

Egal ist die Kritik den Menschen, die<br />

hier täglich Entscheidungen über<br />

das Privatleben anderer Leute treffen,<br />

nicht. «Oft können wir uns nur<br />

noch aussuchen, von welcher Seite<br />

wir den Klapf wollen», wird Christeners<br />

Stellvertreter Markus Engel<br />

im Laufe des Tages sagen. Beeinflussen<br />

lassen will man sich davon nicht.<br />

Einschüchtern schon gar nicht.<br />

Meistens geht es um Konflikte<br />

in der Familie<br />

9 Uhr. Das erste Meeting des Tages.<br />

Bei der informellen interdisziplinären<br />

Sitzung diskutiert die Behörde,<br />

bestehend aus insgesamt sieben Personen<br />

– Juristinnen, Sozialarbeitern<br />

und einem Psychologen –, ihre<br />

schwierigen Fälle. Markus Engel trägt<br />

sein erstes «Sorgenkind» vor.<br />

Die Mutter, Akademikerin mit<br />

Migra tionshintergrund, und der<br />

Vater, Lebenskünstler vom Lande,<br />

haben zwar das gemeinsame Sorgerecht<br />

für das zweijährige Kind, aber<br />

sie haben dermas sen unterschiedliche<br />

Ansichten über Kindererziehung<br />

und das Leben im Allgemeinen,<br />

dass der Vater sich nach<br />

diversen Streitereien an die KESB<br />

wandte. Diese setzte für das Kind,<br />

das bei der Mutter lebt, einen begleitenden<br />

Beistand ein. Bei den meisten<br />

Kindesschutzfällen geht es um<br />

Konflikte zwischen den Eltern.<br />

Charlotte Christener lächelt: «Da<br />

haben wieder einmal zwei komplette<br />

Gegensätze zueinander gefunden.»<br />

Die Mutter hat bei der KESB<br />

einen Antrag gestellt, mit dem Kind<br />

ihre Verwandten in der Heimat<br />

besuchen zu dürfen. Der Vater<br />

erhebt Einspruch: Angst vor Kindesentführung.<br />

«Was machen wir?»,<br />

fragt Engel und schielt über seinen<br />

Brillenrand. «Die Eltern sind nicht<br />

verheiratet?», fragt Sozialarbeiterin<br />

Franziska Voegeli.<br />

Markus Engel nickt: «Mutter und<br />

Kind tragen denselben Namen und<br />

haben gültige Pässe. Wenn sie es<br />

entführen wollte, könnte sie doch<br />

einfach mit dem Kind ins Flugzeug<br />

steigen und hätte wohl kaum Vater<br />

und Beistand vorgängig informiert.»<br />

«Was sind die Fakten?», will<br />

Charlotte Christener wissen. Die<br />

Frage der Juristin. Und die unterschwellige<br />

Angst vor den Folgen<br />

eines übereilten Entscheides. «Wir<br />

können nicht einfach über den Daumen<br />

gepeilt davon ausgehen, dass<br />

die schon wieder kommt mit dem<br />

Kind. Was, wenn nicht? Dann sind<br />

wir s Poulet!» Markus Engel soll die<br />

Mutter zu den Einwänden des Vaters<br />

Stellung nehmen lassen. Dann wird<br />

nochmals über die Sache verhandelt.<br />

Eine Heimplatzierung ist vertretbar<br />

Im nächsten Fall geht es um zwei<br />

Buben, 15 und 16 Jahre alt, mit<br />

Schleppern aus Afrika in die Schweiz<br />

gekommen und bei der Tante in Bern<br />

aufgewachsen. Diese zog mit den<br />

Buben in einen anderen Kanton um,<br />

was sie aus ausländerrechtlichen<br />

Gründen nicht hätte tun dürfen. Die<br />

Buben hauten ab, möchten lieber in<br />

der Hauptstadt in einem Kinderheim<br />

leben als bei der Tante in der für sie<br />

fremden Umgebung. «Sie hat den<br />

62 November <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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