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Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

Massnahmen zum Schutz des Kindes.»<br />

So steht es in Artikel 307,<br />

Absatz 1 des Zivilgesetzbuches. So<br />

lautet der gesetzliche Auftrag der<br />

Kindesschutzbehörde. Wie schwierig<br />

es sein kann, diesen Auftrag auszuführen,<br />

zeigt sich in der 10-Uhr-<br />

Sitzung, in der die aktuellen<br />

Ent scheide der KESB diskutiert und<br />

formell erlassen werden. Die erste<br />

und entscheidende Frage lautet:<br />

«Machen wir überhaupt etwas?»<br />

Vermutungen sind keine Fakten<br />

Eine Gefährdungsmeldung einreichen<br />

kann jeder. Amtspersonen,<br />

welche die Gefährdung in der Ausübung<br />

ihres Amtes feststellen, sind<br />

dazu verpflichtet. So geschehen im<br />

Fall, den Franziska Voegeli vorträgt.<br />

Die Gefährdungsmeldung kam von<br />

der Schulkommission, welche häusliche<br />

Gewalt im Fall von vier Geschwistern<br />

im Alter zwischen neun<br />

«Beim Verdacht, dass Eltern<br />

regelmässig ihre Kinder<br />

verprügeln, müssen wir handeln.»<br />

und zwei Jahren vermutet. Die Kinder<br />

sind verhaltensauffällig, schlagen<br />

andere Kinder und erzählten in der<br />

Schule von Schlägen mit Stöcken<br />

und Gürteln. Die Eltern sagten bei<br />

einer Anhörung, sie würden keine<br />

Unterstützung bei der Erziehung der<br />

Kinder brauchen, allfällige Verletzungen<br />

seien auf das Spielen im Freien<br />

zurückzuführen.<br />

«Schwierig», meint Markus<br />

Engel. «Im Moment wissen wir einfach<br />

zu wenig.» Der Entscheid: Die<br />

Eltern werden angewiesen, bei einer<br />

Intensivabklärung vor Ort aktiv mitzumachen.<br />

Mehr kann und will die<br />

Behörde derzeit nicht machen.<br />

Franziska Voegeli atmet tief durch.<br />

Sozialarbeit heisst manchmal auch,<br />

Unsicherheiten aushalten zu müssen.<br />

Die Juristen wollen es genau wissen.<br />

Wenn die Vermutung naheliegt, dass<br />

Eltern regelmässig ihre Kinder verprügeln,<br />

muss man handeln. Aber<br />

eben: Vermutungen sind keine<br />

Fakten.<br />

Viele der Männer und Frauen, die<br />

hier arbeiten, sind selbst Eltern.<br />

Auch Markus Engels Bürowände<br />

zieren zahlreiche Kinderzeichnungen,<br />

die Ablagen diverse Star-Wars-<br />

Figuren. «Dass wir mehr Distanz zu<br />

den Klienten haben als vorher die<br />

Vormundschaftsbehörde, >>><br />

beiden Kinder umbrachte, um sie nicht<br />

zurück ins Heim bringen zu müssen?<br />

Totale Fassungslosigkeit, Bestürzung und<br />

Betroffenheit!<br />

Können Sie sich erklären, warum man in<br />

dem Fall nicht den Grosseltern das<br />

Sorgerecht gab?<br />

Da wir zum Glück nicht in den Fall involviert<br />

waren, ist das sehr, sehr schwer zu beurteilen.<br />

Grundsätzlich wird aber immer zuerst nach<br />

einer Lösung im familiären Umfeld gesucht.<br />

Von KESB-Gegnern wird Ihnen immer<br />

wieder Bürokratie vorgeworfen.<br />

Wir bemühen uns sehr, so unbürokratisch wie<br />

möglich zu sein. Aber ein gewisses Mass an<br />

Bürokratie ist nötig. Schliesslich müssen wir<br />

unsere Entscheide auf juristische Grundlagen<br />

stützen.<br />

Es heisst, die KESB sei total überlastet.<br />

Wir sind sehr gut ausgelastet, das stimmt.<br />

Dennoch gelingt es den KESBs, ihre Arbeit<br />

trotz der Ressourcenknappheit gut zu<br />

erledigen.<br />

Können Sie die Argumente der Gegner<br />

nachvollziehen – beispielsweise man sei<br />

einem übermächtigen Verwaltungsapparat<br />

ausgeliefert, der weit weg vom Alltag der<br />

Menschen agiere?<br />

Ein Stück weit schon. Viele können sich aber<br />

kaum vorstellen, was wir machen. Am meisten<br />

ärgere ich mich über den Vorwurf, wir seien<br />

nur an Machtausübung interessiert. Das ist<br />

das Letzte, was wir wollen. Wir sind im Übrigen<br />

sehr offen und transparent, auch den Medien<br />

und der Politik gegenüber.<br />

Wie gehen Sie privat mit den teilweise<br />

harten Schicksalen um, mit denen Sie<br />

jeden Tag konfrontiert werden?<br />

Es gibt schon Einzelfälle, die mir an die Nieren<br />

gehen. Auch Drohungen – mit Selbstmord<br />

oder gegen mich und meine Mitarbeitenden<br />

– belasten. In der Regel kann ich aber nach<br />

Feierabend gut abschalten. Das muss man in<br />

diesem Beruf können.<br />

Wie erklären Sie Ihren Kindern, was Sie<br />

beruflich machen?<br />

Ich sage ihnen, dass ich versuche, Leuten zu<br />

helfen, die sich selbst nicht helfen können. Die<br />

machen das ja nicht extra. Und ganz wichtig:<br />

Mich interessiert nicht, wer schuld ist an der<br />

Situation, sondern nur, wie die Betroffenen da<br />

wieder herauskommen.<br />

Zur Person<br />

Charlotte Christener-Trechsel ist Anwältin<br />

und seit Mai 2014 für die KESB tätig; seit<br />

<strong>2016</strong> ist sie Präsidentin der KESB der Stadt<br />

Bern. Zuvor arbeitete sie 16 Jahre lang für<br />

das Kantonale Jugendamt Bern. Sie ist<br />

verheiratet und Mutter eines zehnjährigen<br />

Sohnes und einer siebenjährigen Tochter.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

November <strong>2016</strong>65

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