11/2016
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Dossier<br />
«Wie an einem<br />
Marathonlauf –<br />
aber ohne<br />
Aussicht auf<br />
Erholung»<br />
Der Spagat zwischen Arbeit und<br />
Familie brachte unsere Autorin an<br />
den Rand ihrer Belastbarkeit. Seit<br />
sie sich aus der Abhängigkeit als<br />
Angestellte losgesagt hat, hat sie<br />
vor allem gewonnen: Zeit und Geld<br />
und Lebensqualität – inzwischen ist<br />
ihr drittes Baby zur Welt gekommen.<br />
Text: Sibylle Stillhart<br />
Ich weiss nicht, was letztlich den Ausschlag<br />
gab. War es das Gespräch mit<br />
meiner Ärztin, das mir nicht mehr aus<br />
dem Kopf gehen wollte? «Kümmern Sie<br />
sich allein um Ihre Kinder und den Haushalt<br />
oder werden Sie von Ihrem Mann<br />
unterstützt?», fragte sie während einer<br />
Routineuntersuchung. «Falls nicht – kündigen<br />
Sie Ihren Job und suchen Sie erst<br />
wieder eine Stelle, wenn Ihr jüngster<br />
Sohn in der Schule ist. Sonst fallen Sie<br />
irgendwann um vor lauter Erschöpfung.»<br />
Moment! Irgendwie hatte ich das Gefühl,<br />
etwas nicht richtig mitbekommen zu<br />
haben. «Ich? Zu Hause? Soll das etwa ein<br />
emanzipiertes Leben sein?», wollte ich<br />
sagen, doch ich schwieg. War denn meine<br />
jetzige Situation «emanzipiert»? Dieses<br />
Gehetze zwischen Kita und Büro? Diese<br />
Anspannung, die sich anfühlte wie bei<br />
einem Marathonlauf, aber ohne Aussicht<br />
auf Erholung?<br />
Einige Tage nach diesem Gespräch<br />
reichte ich die Kündigung ein. Vielleicht<br />
war es auch das Niveau im Büro, wo ich<br />
als Kommunikationsverantwortliche<br />
angestellt war: Mit dem neuen Chef sank<br />
dieses zusehends. Ich ärgerte mich, für<br />
einen Vorgesetzten zu arbeiten, der nicht<br />
imstande war, selbst eine Mail zu verfassen,<br />
aber darauf bestand, dass man ihn<br />
als Herrn Doktor ansprach. Als ich mich<br />
einmal mit ihm im Flur unterhielt, brach<br />
er das Gespräch abrupt ab, weil er zu<br />
einem Treffen mit «wichtigen Leuten»<br />
musste. Ganz Herr alter Schule, überreichte<br />
er mir seinen Füllfederhalter, bat<br />
mich, ihn zurück in sein Büro zu bringen.<br />
Natürlich gehorchte ich. Aber mal ehrlich:<br />
Würde er das auch von einem Mann verlangen?<br />
Meine Bemühungen, Job und Familie<br />
unter einen Hut zu bringen, brachten<br />
mich zusehends an den Rand meiner<br />
Belastbarkeit. Ich fühlte mich zerrissen<br />
zwischen zwei Welten, die sich gegenseitig<br />
abstossen. Zudem hatte ich das<br />
Gefühl, weder meinen Kindern noch meinem<br />
Arbeitgeber gerecht zu werden –<br />
obwohl ich von früh bis spät auf den Beinen<br />
war. Das begann schon am Morgen,<br />
wenn ich nach neun Uhr ins Büro kam<br />
und von meinen Kollegen bloss genervte<br />
Blicke erntete. Denn es galt die unausgesprochene<br />
Regel: Der Erste im Büro ist<br />
der Fleissigste. Als Mutter zweier Kleinkinder<br />
war ich die ewige Verliererin in<br />
diesem Wettbewerb, an dem sich alle zu<br />
orientieren schienen.<br />
Meine Erinnerungen an diese Zeit sind<br />
noch sehr lebendig: Der Tag beginnt um<br />
halb sechs Uhr in der Früh. Um diese Zeit<br />
verlangt der dreijährige Sohn seinen<br />
Schoppen – so laut, dass auch sein kleiner<br />
Bruder wach wird. Ich haste todmüde<br />
in die Küche, wärme Milch, wickle das<br />
Baby, setze Kaffee auf, mache Frühstück.<br />
Um halb neun stehe ich mit den beiden<br />
Buben vor der Haustüre. Trotz Minustemperaturen<br />
bin ich nass geschwitzt, weil<br />
ich den Nuggi in der Wohnung vergessen<br />
habe und vorher noch die Playmobil-<br />
Pistole unter dem Bett hervorklauben<br />
musste. Die Wohnung sieht aus, als ob ein<br />
Wirbelsturm darin gewütet hätte: Das<br />
Frühstücksgeschirr liegt unter dem Tisch,<br />
tausend Playmobil-Teilchen sind auf dem<br />
Boden zerstreut. Endlich in der Kita, heult<br />
der Grosse. Ich tröste ihn und verspreche,<br />
ihn frühabends abzuholen. Mit einem<br />
klammen Gefühl verabschiede ich mich<br />
von meinen Kindern und renne zum Tram,<br />
das mich ins Büro bringt.<br />
Es ist nun fast vier Jahre her, seit ich<br />
mich aus der Abhängigkeit als angestellte<br />
Arbeitnehmerin befreit habe. Der<br />
Stress ist wie weggefegt. Heute arbeite<br />
ich als freischaffende Journalistin und<br />
Autorin, während die Kinder an zwei<br />
Tagen die Kita oder den Hort besuchen.<br />
Als Freiberuflerin habe ich nun die<br />
Freiheit, meine Arbeitszeit selbst einzuteilen:<br />
Was nicht nur mir, sondern der<br />
ganzen Familie zugutekommt. Ich kann<br />
problemlos darauf reagieren, wenn ein<br />
Kind krank wird, und es ist auch keine<br />
Katastrophe, dass meine mittlerweile<br />
schulpflichtigen Kinder 13 Wochen Ferien<br />
haben. Selbst mein Mann profitiert:<br />
Natürlich hat er nach wie vor ein schlechtes<br />
Gewissen, wenn er am Wochenende<br />
arbeiten muss oder der Bürotag bis weit<br />
in die Nacht dauert. Trotzdem hat sich<br />
unsere familiäre Situation inzwischen so<br />
entspannt, dass wir uns für ein drittes<br />
Kind entschieden haben – was ich als<br />
Angestellte niemals auf die Reihe<br />
gekriegt hätte. Baby Antonin ist vor<br />
einem Jahr auf die Welt gekommen.<br />
Ich verdiene heute viel weniger als<br />
früher. Doch seltsamerweise haben wir<br />
immer noch gleich viel Geld zur Verfügung<br />
wie zuvor: Die Steuern sind gesunken,<br />
ebenfalls die Betreuungskosten, die<br />
dem neuen Einkommen angepasst wurden.<br />
Geblieben ist die Ernüchterung: Er -<br />
werbstätige Mütter haben nicht die gleichen<br />
Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie<br />
erwerbstätige Väter. Ich staune, wie fleissig<br />
Mütter auf ihren Teilzeitjobs arbeiten<br />
– befördert wird dann aber doch der<br />
männliche Kollege. Selbst wenn Frauen in<br />
ihren Teilzeitpensen oft effizienter arbeiten,<br />
erhalten sie weniger Lohn und haben<br />
weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Seit ich<br />
mich von meinem Arbeitgeber losgesagt<br />
habe, haben wir als Familie vor allem<br />
gewonnen: ein wunderbares Baby, Zeit,<br />
Geld und mein Buch, das inzwischen<br />
erschienen ist.<br />
Bild: Gabi Vogt / 13 Photo<br />
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