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Fritz + Fränzi

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Dossier<br />

«Wie an einem<br />

Marathonlauf –<br />

aber ohne<br />

Aussicht auf<br />

Erholung»<br />

Der Spagat zwischen Arbeit und<br />

Familie brachte unsere Autorin an<br />

den Rand ihrer Belastbarkeit. Seit<br />

sie sich aus der Abhängigkeit als<br />

Angestellte losgesagt hat, hat sie<br />

vor allem gewonnen: Zeit und Geld<br />

und Lebensqualität – inzwischen ist<br />

ihr drittes Baby zur Welt gekommen.<br />

Text: Sibylle Stillhart<br />

Ich weiss nicht, was letztlich den Ausschlag<br />

gab. War es das Gespräch mit<br />

meiner Ärztin, das mir nicht mehr aus<br />

dem Kopf gehen wollte? «Kümmern Sie<br />

sich allein um Ihre Kinder und den Haushalt<br />

oder werden Sie von Ihrem Mann<br />

unterstützt?», fragte sie während einer<br />

Routineuntersuchung. «Falls nicht – kündigen<br />

Sie Ihren Job und suchen Sie erst<br />

wieder eine Stelle, wenn Ihr jüngster<br />

Sohn in der Schule ist. Sonst fallen Sie<br />

irgendwann um vor lauter Erschöpfung.»<br />

Moment! Irgendwie hatte ich das Gefühl,<br />

etwas nicht richtig mitbekommen zu<br />

haben. «Ich? Zu Hause? Soll das etwa ein<br />

emanzipiertes Leben sein?», wollte ich<br />

sagen, doch ich schwieg. War denn meine<br />

jetzige Situation «emanzipiert»? Dieses<br />

Gehetze zwischen Kita und Büro? Diese<br />

Anspannung, die sich anfühlte wie bei<br />

einem Marathonlauf, aber ohne Aussicht<br />

auf Erholung?<br />

Einige Tage nach diesem Gespräch<br />

reichte ich die Kündigung ein. Vielleicht<br />

war es auch das Niveau im Büro, wo ich<br />

als Kommunikationsverantwortliche<br />

angestellt war: Mit dem neuen Chef sank<br />

dieses zusehends. Ich ärgerte mich, für<br />

einen Vorgesetzten zu arbeiten, der nicht<br />

imstande war, selbst eine Mail zu verfassen,<br />

aber darauf bestand, dass man ihn<br />

als Herrn Doktor ansprach. Als ich mich<br />

einmal mit ihm im Flur unterhielt, brach<br />

er das Gespräch abrupt ab, weil er zu<br />

einem Treffen mit «wichtigen Leuten»<br />

musste. Ganz Herr alter Schule, überreichte<br />

er mir seinen Füllfederhalter, bat<br />

mich, ihn zurück in sein Büro zu bringen.<br />

Natürlich gehorchte ich. Aber mal ehrlich:<br />

Würde er das auch von einem Mann verlangen?<br />

Meine Bemühungen, Job und Familie<br />

unter einen Hut zu bringen, brachten<br />

mich zusehends an den Rand meiner<br />

Belastbarkeit. Ich fühlte mich zerrissen<br />

zwischen zwei Welten, die sich gegenseitig<br />

abstossen. Zudem hatte ich das<br />

Gefühl, weder meinen Kindern noch meinem<br />

Arbeitgeber gerecht zu werden –<br />

obwohl ich von früh bis spät auf den Beinen<br />

war. Das begann schon am Morgen,<br />

wenn ich nach neun Uhr ins Büro kam<br />

und von meinen Kollegen bloss genervte<br />

Blicke erntete. Denn es galt die unausgesprochene<br />

Regel: Der Erste im Büro ist<br />

der Fleissigste. Als Mutter zweier Kleinkinder<br />

war ich die ewige Verliererin in<br />

diesem Wettbewerb, an dem sich alle zu<br />

orientieren schienen.<br />

Meine Erinnerungen an diese Zeit sind<br />

noch sehr lebendig: Der Tag beginnt um<br />

halb sechs Uhr in der Früh. Um diese Zeit<br />

verlangt der dreijährige Sohn seinen<br />

Schoppen – so laut, dass auch sein kleiner<br />

Bruder wach wird. Ich haste todmüde<br />

in die Küche, wärme Milch, wickle das<br />

Baby, setze Kaffee auf, mache Frühstück.<br />

Um halb neun stehe ich mit den beiden<br />

Buben vor der Haustüre. Trotz Minustemperaturen<br />

bin ich nass geschwitzt, weil<br />

ich den Nuggi in der Wohnung vergessen<br />

habe und vorher noch die Playmobil-<br />

Pistole unter dem Bett hervorklauben<br />

musste. Die Wohnung sieht aus, als ob ein<br />

Wirbelsturm darin gewütet hätte: Das<br />

Frühstücksgeschirr liegt unter dem Tisch,<br />

tausend Playmobil-Teilchen sind auf dem<br />

Boden zerstreut. Endlich in der Kita, heult<br />

der Grosse. Ich tröste ihn und verspreche,<br />

ihn frühabends abzuholen. Mit einem<br />

klammen Gefühl verabschiede ich mich<br />

von meinen Kindern und renne zum Tram,<br />

das mich ins Büro bringt.<br />

Es ist nun fast vier Jahre her, seit ich<br />

mich aus der Abhängigkeit als angestellte<br />

Arbeitnehmerin befreit habe. Der<br />

Stress ist wie weggefegt. Heute arbeite<br />

ich als freischaffende Journalistin und<br />

Autorin, während die Kinder an zwei<br />

Tagen die Kita oder den Hort besuchen.<br />

Als Freiberuflerin habe ich nun die<br />

Freiheit, meine Arbeitszeit selbst einzuteilen:<br />

Was nicht nur mir, sondern der<br />

ganzen Familie zugutekommt. Ich kann<br />

problemlos darauf reagieren, wenn ein<br />

Kind krank wird, und es ist auch keine<br />

Katastrophe, dass meine mittlerweile<br />

schulpflichtigen Kinder 13 Wochen Ferien<br />

haben. Selbst mein Mann profitiert:<br />

Natürlich hat er nach wie vor ein schlechtes<br />

Gewissen, wenn er am Wochenende<br />

arbeiten muss oder der Bürotag bis weit<br />

in die Nacht dauert. Trotzdem hat sich<br />

unsere familiäre Situation inzwischen so<br />

entspannt, dass wir uns für ein drittes<br />

Kind entschieden haben – was ich als<br />

Angestellte niemals auf die Reihe<br />

gekriegt hätte. Baby Antonin ist vor<br />

einem Jahr auf die Welt gekommen.<br />

Ich verdiene heute viel weniger als<br />

früher. Doch seltsamerweise haben wir<br />

immer noch gleich viel Geld zur Verfügung<br />

wie zuvor: Die Steuern sind gesunken,<br />

ebenfalls die Betreuungskosten, die<br />

dem neuen Einkommen angepasst wurden.<br />

Geblieben ist die Ernüchterung: Er -<br />

werbstätige Mütter haben nicht die gleichen<br />

Chancen auf dem Arbeitsmarkt wie<br />

erwerbstätige Väter. Ich staune, wie fleissig<br />

Mütter auf ihren Teilzeitjobs arbeiten<br />

– befördert wird dann aber doch der<br />

männliche Kollege. Selbst wenn Frauen in<br />

ihren Teilzeitpensen oft effizienter arbeiten,<br />

erhalten sie weniger Lohn und haben<br />

weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Seit ich<br />

mich von meinem Arbeitgeber losgesagt<br />

habe, haben wir als Familie vor allem<br />

gewonnen: ein wunderbares Baby, Zeit,<br />

Geld und mein Buch, das inzwischen<br />

erschienen ist.<br />

Bild: Gabi Vogt / 13 Photo<br />

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