Cruiser im Dezember 2016 (Doppelnummer Winter)
Cruiser in GOLD! Aber nicht nur das Cover ist hübsch, auch der Inhalt! Alles rund ums Reisen, LGBT Gruppen in Osteuropa und: Warum sind wir eigentlich schwul?
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28<br />
KOLUMNE<br />
Bötschi klatscht<br />
Der Tiger namens<br />
Schwaninger<br />
Diese Geschichte erzählt von einer<br />
Österreicherin, die den Zürcherinnen<br />
und Zürchern unter die Bettdecke<br />
schaut. Klatschtante Hildegard<br />
Schwaninger mischt seit bald 40 Jahren<br />
die Zürcher Teppichetagen auf.<br />
VON BRUNO BÖTSCHI<br />
E<br />
in lauer Abend <strong>im</strong> Oktober. Es ist kurz<br />
nach sechs, als Hildegard Schwaninger<br />
(Alter unbekannt) von ihrem Ehemann<br />
be<strong>im</strong> Zürcher Bauschänzli abgeliefert<br />
wird. Ein Gentleman der alten Schule, dieser<br />
Jürg Ramspeck. Der ehemalige «Weltwoche»-<br />
Chef und Zürichs Kult-Klatschtante sind<br />
zum zweiten Mal verheiratet. Der Steuerberater<br />
habe es ihm so empfohlen, verriet<br />
Ramspeck einmal in einem Interview.<br />
Koluministin Hildi weiss, um die<br />
wirklich guten Geschichten zu erfahren,<br />
muss man an Veranstaltungen und Partys<br />
gehen. An diesem Herbstabend will Hildi<br />
aber keine Leute bezirzen oder ausquetschen.<br />
Sie will es stattdessen krachen lassen.<br />
Und zwar richtig. Denn es ist: Oktoberfest!<br />
Hildi mag Quentin Tarantino, Roger<br />
Federer und die Queen. So schreibt sie es in<br />
ihrem Selbstporträt auf ihrer Internetseite<br />
www.schwaningerpost.com. An diesem<br />
Abend <strong>im</strong> Bierzelt ist das Trio nicht anwesend.<br />
Hildi mag zudem Sushi und Feste mit<br />
Champagner als Ausgleich zum disziplinierten<br />
Leben. Von Bier schreibt sie nichts – und<br />
trotzdem: Hildi liebt den «Pink Monday».<br />
Hildi ist seit Jahren Stammgästin<br />
be<strong>im</strong> schwulen Oktoberfest auf dem Zürcher<br />
Bauschänzli. Sie mag das Bad in der<br />
schönen Menge – gekleidet in Lederhosen<br />
CRUISER <strong>Winter</strong> <strong>2016</strong> | 2017<br />
und karierten Hemden. «Krachlederne und<br />
stramme Waden, die ult<strong>im</strong>ative Sexiness»,<br />
notierte Hildi einmal und verriet kürzlich:<br />
«Ich wäre gerne ein Jahr lang ein Mann, ein<br />
junger, schöner und kluger.» Ob schwul,<br />
das verriet Hildi nicht.<br />
Ich kann auf der Strasse<br />
keinen Schritt gehen, ohne<br />
dass ich nicht auf meine<br />
Kolumne angesprochen werde.<br />
Auch dieses Jahr wollte sich die geborene<br />
Salzburgerin den Höhepunkt des Zürcher<br />
Bierfestes nicht entgehen lassen. Mit einer alten<br />
Freundin schwebte Hildi («Ich kann auf<br />
der Strasse keinen Schritt gehen, ohne dass<br />
ich nicht auf meine Kolumne angesprochen<br />
werde») ins Zelt – <strong>im</strong> feschen Dirndl gekleidet,<br />
die langen Haare wie <strong>im</strong>mer leuchtend<br />
blond und an den Füssen Ballerinas.<br />
Während Hildi ihren Platz am Ehrentisch<br />
von Organisatorin Sigi Gübeli einnahm,<br />
spielte die Band «Bayern 3000» bereits<br />
einen Gassenhauer nach dem anderen. Das<br />
Bier floss in Strömen, die St<strong>im</strong>mung zum Kochen<br />
bereit. Kurz darauf geschah es: Hildi,<br />
deren Arbeitsz<strong>im</strong>mer normalerweise die Bar<br />
des Fünfsternhotels The Dolder Grand in<br />
Zürich ist, konnte sich nicht mehr halten.<br />
Hildi wollte nach oben, wollte nicht<br />
mehr sitzen bleiben, wollte auf die Holzbank<br />
steigen. Kaum stand sie oben, flogen die Hände<br />
in der Luft. Hildi tanzte, liess ihren Allerwertesten<br />
kreisen. Hildi sang, was ihre Kehle<br />
hielt. «Cowboy und Indianer», «YMCA» und<br />
«Atemlos». Im Fünfsternhotel sitzt Hildi gerne<br />
in tiefen Ledersofas und befeuchtet ihre<br />
Lippen mit Grüntee. «Hildegard Schwaninger<br />
ist ein Schaustück <strong>im</strong> Ambiente des Zürcher<br />
Nobelhotels Dolder Grand», notierte die<br />
NZZ. Aber wenn Hildi Drindl trägt und Hopfen<br />
und Malz durch ihre Kehle gurgelt, dann<br />
jault der Tiger in ihrem Tank.<br />
Hildis Augen leuchteten. Und es war<br />
zu spüren: Gerne hätte Hildi die liebe lange<br />
Nacht weiter getanzt. Und wäre so richtig<br />
undiszipliniert geworden. Aber am Oktoberfest<br />
ist Punkt 23 Uhr Schluss, da werden<br />
die Gäste gnadenlos hinausspediert. Es<br />
kann noch so lustig sein.<br />
Und deshalb sage auch ich: Tschüss!<br />
Adieu! Bye bye! Das war meine letzte<br />
«<strong>Cruiser</strong>»-Kolumne, momoll.<br />
www.brunoboetschi.ch