32 KOLUMNE Thommen meint Schwuler Lebensstil – Leben und leben lassen Ich habe kürzlich die aktuelle Biographie eines Anfang Zwanzigjährigen aus Nordamerika gelesen. Kindheit, Bedürfnisse nach Männern und die grosse Sehnsucht nach dem Geliebtwerden. Drum herum viel Drama, Drogen und «beste Freundin»: «Wenn sich alles anfühlt wie in Filmen.» VON PETER THOMMEN E s war eines der verrücktesten Bücher, die ich gelesen habe, und ich habe mich an eine andere Biographie aus England erinnert: diejenige eines Exzentrikers, ein halbes Jahrhundert früher, «Wie einer sein Leben lebte», was dann auch verfilmt wurde. Dafür liebe ich ja die Heterosexuellen über alles: Sie, ihre Familien und die heterosexuell orientierte Gesellschaft bringt in jeder Generation wieder jene Vielfalt von Männerliebenden hervor, die sie jeweils diskr<strong>im</strong>iniert und unterdrückt oder gar vergewaltigt. Aber diese Ausgrenzungen sind Illusion, denn sie richten sich letztlich gegen sie selbst. Sie können auch die Schuld nicht einfach abschieben, weil diese ja in und unter ihnen aufwachsen. Interessant sind die aktuellen Reaktionen zur Forderung nach Öffnung der Ehe. Warum denn das so wichtig sei und auch, warum diese Minderheit der Mehrheit die Diskussion aufdrängen würde. Warum ihnen dies alles so wichtig ist, fragen sie sich selber nicht. Es geht eigentlich um den «heterosexuellen Lebensstil», der plötzlich nicht mehr unangetastet bleibt. Bis jetzt konnte man sich ja <strong>im</strong>mer «ein bisschen von» fühlen, denn es gab Andere, die «nicht so opt<strong>im</strong>al pigmentiert» waren, wie der heterosexuelle Mann (egal welcher Couleur). CRUISER <strong>Winter</strong> <strong>2016</strong> | 2017 Es ist doch egal, Liebe ist Liebe! Bei den Frauen frauscht der Sopran vor: «Es ist doch egal, Liebe ist Liebe!» Dabei bleibt die D<strong>im</strong>ension der Sexualität völlig ausgeblendet. Darüber kann ich als Schwuler nur staunen. Kürzlich sprach ich mit einem Mann, der 30 Jahre verheiratet war und Kinder hat. Seine Neigung spielte für sie von Anfang an keine Rolle – bis sich diese in Lebensrealität umsetzte und nicht mehr ausgeblendet werden konnte. Nun frage ich mich, wie seine Bedürfnisse nach Männern so lange aufgestaut werden konnten. Diese Biographie ist eine ganz andere als bei einem Schwulen. «Wenn sich alles anfühlt wie in Filmen», eben in der heterosexuell orientierten Traumwelt. Seit ich als Junghomo in den 70ern die Männertäschchen und die Ohrringe an Männern erlebt habe, sind die ach so heterosexuellen jungen Männer <strong>im</strong>mer «schwuler» geworden. In der Kleidung erotischer, in den Accessoires lässiger, in den Farben schriller. Gut, zurzeit herrscht wieder depressive Unscheinbarkeit in politisch korrektem Schwarz vor – wie vor hundert Jahren. Aber der Hintern wird betont lässig präsentiert und wie zu Viktorias Zeiten der langen Röcke, bleiben die Fussknöchel <strong>im</strong> Blick und sind frei sichtbar, mit dem Haaransatz an den Beinen. Ist das nun ein Lebensstil von Schwulen und wie wäre dann ein heterosexueller Lebensstil? Geht der heterosexuelle Lebensstil in der Homoerotik unter und die Homosexualität in der heterosexuellen Traumwelt? Der Konsum ist auf jeden Fall hetero, denn er bedingt die Vermehrung der Konsumenten als Folge der industriellen Produktion. Erinnerung an Marx und Freud. Ähnlich die religiöse Missionierung von Gläubigen. Darum sind die elektronischen Produkte und die virtuelle Realität auch nicht haram und damit kein Gegensatz. In der letzten Zeit ist es üblich geworden, die Schamhaare – als Nachweis des Erwachsenseins – wegzurasieren. Etwas später tauchen diese Haare nun oben wieder als Bart an den Unterkiefern von Männern auf. Eine Adaption an die religiöse erwachsene Männlichkeitsvorstellung. Nun, es bestehen unterschiedliche Interpretationen über dessen erotische Ausstrahlung. Vielleicht wird daran sichtbar, welchen Lebensstil der Träger damit ausdrückt?
Reise-Special Südafrika 33 Südafrika, wir kommen! Kein Kontinent gilt als so homophob wie Afrika; auch Südafrika kann sich da trotz liberaler Verfassung nicht ausnehmen. Um so erstaunlicher, dass «<strong>Cruiser</strong>» eine offizielle Einladung für eine LGBT-Reise erhalten hat. Ein mutiger Schritt. CRUISER <strong>Winter</strong> <strong>2016</strong> | 2017