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Der Pilzfreund - Ausgabe 4

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Dies und Das<br />

die entwurzelten Bäume bis zum heutigen Tag wie Mikadostäbchen zuhauf übereinander liegen, bleibe ich abermals stehen<br />

und betrachte Kyrills Werk. War dieser Sturm damals auch ein Eindringling? Oder vielmehr ein immer wiederkehrender Besucher?<br />

Ein unvermeidbarer Gast, den man eigentlich nicht haben möchte, der jedoch unweigerlich zur Familie, zum großen<br />

Ganzen gehört? Suchend wandert mein Blick umher und ich bin mir sicher, im Umkreis von mehreren Kilometern befindet<br />

sich außer mir kein einziger Mensch in dieser Gegend. Nur dieser eine menschliche Herzschlag, der ungehört zwischen<br />

tiefgefrorenem Wurzelwerk und überhängenden Schneekappen verhallt. Unspektakulär. Unbedeutend. Ein Zweibeiner, der<br />

sich dazu entschlossen hat, für ein paar Stunden seine schützende Höhle und das wärmende Feuer gegen diese Wildnis zu<br />

tauschen. Und sei es nur für diese eine Nacht. Als Seelennahrung. Weil ich es so möchte!<br />

Die richtige Stelle ist schnell gefunden. Windgeschützt neben einem umgestürzten Baum, dessen Wurzeln ähnlich einem<br />

Windrad senkrecht nach oben stehen. Genau hier schlage ich für die kommende Nacht mein Lager auf. Alleine, in völliger<br />

Abgeschiedenheit möchte ich die vor mir liegenden Stunden verbringen, obwohl der Wetterbericht klirrende Kälte voraussagt<br />

hat. Inzwischen ist die wärmende Sonne schon lange hinter den weißen Hügeln der Hochlagen verschwunden und an<br />

ihre Stelle tritt allmählich der Vollmond. Wie an einer unsichtbaren Leiter steigt er Stufe für Stufe höher in den dunkelblauen,<br />

fast schwarzen Himmel. Es ist eine klare, kalte Nacht, wie vorhergesagt, und ich liege bereits in meinem Schlafsack<br />

und habe es mir gemütlich gemacht. Sterne beobachten ist schön, fantasiere ich, und wundere mich über meine kindliche<br />

Naivität. Könnte ich das nicht jede Nacht machen? Ja! Wenn ich mir nur die Zeit dafür nehmen würde! Und wenn es in<br />

unserer lichtverseuchten Gesellschaft möglich wäre, die Sterne des Himmels ohne störende Einflüsse von Straßenlaternen<br />

und Reklametafeln zu sehen. Doch hier oben ist alles gut, träume ich schon halb. Kein künstliches Licht. Kein Lärm. Nur<br />

diese unendliche Ruhe und Geborgenheit. Ich bin voller Freude über so viel geschenktes Glück und innerlich zufrieden. Ich<br />

lasse meine Gedanken weiterziehen, an einen unbekannten Ort und merke dabei gar nicht, wie ich einschlafe. Was für eine<br />

besondere Nacht. Welch besondere Träume, die mich begleiten. Denn ich träume von meinem bereits seit Jahren verstorbenen<br />

Vater, so als ob er tatsächlich bei mir wäre. In glasklaren Bildern! Rein, wie es diese Nacht selbst ist. Wir sprechen,<br />

schauen uns in die Augen und sind gemeinsam glücklich.<br />

Nach ein paar Stunden erwache ich wieder. Es ist die Kälte, die mich weckt. Genauer gesagt meine eiskalten Augäpfel, da<br />

diese vermutlich nicht von einer schützenden Stoffschicht bedeckt waren. Frieren? In den Augen? So etwas habe ich auch<br />

noch nicht erlebt! Ich krieche ein wenig widerwillig aus meinem Textil-Kokon, werfe einen kurzen Blick auf die Uhr und<br />

stelle fest, dass Mutter Natur und Väterchen Frost es gut mit mir gemeint haben. Sie haben mich nämlich rechtzeitig vor<br />

Tagesanbruch geweckt. Und so erlebe ich als Zugabe für diese ganz besondere Wanderung und die fantastische Nacht jetzt<br />

auch noch einen unvergesslichen Sonnenaufgang in den Kammlagen des Bayerischen Waldes. Bei minus fünfzehn Grad!<br />

Und ich fühle mich dabei überhaupt nicht mehr wie ein Eindringling, sondern vielmehr wie ein Gast, der dem Himmel für ein<br />

paar Stunden ganz nah sein durfte und der reich beschenkt wurde. Auch wenn alles nur eine Illusion war…oder vielleicht<br />

doch nicht…?<br />

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