Schmerztherapie 2/2007 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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Anästhesie und Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
hielt einen <strong>Therapie</strong>versuch mit Cannabinol<br />
für indiziert, nachdem die bisherige <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
mit Opioiden keine ausreichende<br />
Reduktion der neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
bewirken konnte.<br />
Die Entscheidung<br />
Der für die Krankenversicherung zuständige<br />
Erste Senat des Bundessozialgerichts lehnte<br />
einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung<br />
für das cannabinoidhaltige Arzneimittel<br />
mit der Begründung ab, ein in Deutschland<br />
zugelassenes cannabinoidhaltiges<br />
Fertigarzneimittel existiere nicht. Die – allerdings<br />
nicht für den Bereich der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
– bestehende Arzneimittelzulassung<br />
des Fertigarzneimittels Marinol in den USA<br />
entfalte keine Rechtswirkungen für Deutschland<br />
und rechtfertige trotz des arzneimittelrechtlich<br />
zulässigen Arzneimittelimports<br />
nach § 73 Abs. 3 AMG keine Erstattungsfähigkeit<br />
des Arzneimittels. Auch als cannabinoidhaltiges<br />
Rezepturarzneimittel könne der<br />
Kläger die Erstattung nicht begehren, da es<br />
an der erforderlichen Anerkennung des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses gemäß<br />
§ 135 Abs. 1 S. 1 SGB V für neue <strong>Therapie</strong>methoden<br />
fehle. Ein Ausnahmefall, in dem<br />
trotz fehlender Empfehlung eine neuartige<br />
<strong>Therapie</strong> beansprucht werden könne, liege<br />
nicht vor, da es sich weder um einen sog.<br />
systematisch nicht erforschbaren Seltenheitsfall<br />
handle noch die fehlende Anerkennung<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
auf sachfremde oder<br />
willkürliche Erwägungen zurückzuführen<br />
sei. Die Voraussetzungen<br />
einer erweiterten Leistungspflicht der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung für neuartige<br />
<strong>Therapie</strong>methoden nach der Rechtsprechung<br />
des BVerfG verneinte der Senat mit<br />
der Begründung, das chronische <strong>Schmerz</strong>syndrom<br />
des Klägers<br />
sei nicht mit einer lebensbedrohlichen<br />
oder regelmäßig tödlich<br />
verlaufenden<br />
oder wertmäßig<br />
vergleichbaren<br />
E r k r a n k u n g<br />
gleichzustellen.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 2/<strong>2007</strong> (23. Jg.)<br />
Hintergründe<br />
Das Urteil des BSG lässt sich ohne Weiteres<br />
in die Reihe der in den letzten beiden Jahren<br />
ergangenen Urteile des BSG zur Erstattungsfähigkeit<br />
neuartiger <strong>Therapie</strong>methoden einordnen<br />
und ist insoweit auch konsequent.<br />
Grundlage des den Erstattungsanspruch verneinenden<br />
Urteils ist die bislang noch ungenügende<br />
wissenschaftliche Erkenntnislage<br />
bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinol<br />
zur <strong>Therapie</strong> chronischer <strong>Schmerz</strong>en. Insoweit<br />
handelt es sich bei der <strong>Therapie</strong> mit dem<br />
Arzneimittel noch um eine sich im Prüfstadium<br />
befindliche Behandlungsmethode. Gemäß<br />
§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität<br />
und Wirksamkeit der Leistungen im Rahmen<br />
der GKV jedoch dem allgemein anerkannten<br />
Stand der medizinischen Erkenntnisse zu<br />
entsprechen. Die Finanzierung der medizinischen<br />
Forschung ist demgegenüber nicht<br />
Gegenstand des Leistungskataloges der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung. Insoweit ist<br />
jedoch zu beachten, dass durch einen Heilversuch<br />
im Einzelfall an sich keine medizinische<br />
Forschung betrieben wird. Deshalb<br />
hat das BVerfG einen Leistungsanspruch des<br />
Medizin und Recht<br />
Versicherten aus verfassungsrechtlicher Sicht<br />
auch dann anerkannt, wenn<br />
• eine lebensbedrohliche oder regelmäßig<br />
tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt,<br />
• bezüglich dieser Krankheit keine allgemein<br />
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende<br />
Behandlung zur Verfügung<br />
steht und<br />
• bezüglich der beim Versicherten ärztlich<br />
angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten)<br />
Behandlungsmethode eine auf<br />
„Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende<br />
Aussicht auf Heilung oder wenigstens<br />
auf eine spürbare Einwirkung auf den<br />
Krankheitsverlauf besteht.<br />
Vorliegend scheiterte ein Anspruch auf Kostenerstattung<br />
jedoch deshalb, da die chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>krankheit nach Auffassung<br />
des BSG nicht mit der vonseiten des BVerfG<br />
geforderten lebensbedrohlichen bzw. regelmäßig<br />
tödlich verlaufenden Erkrankung auf<br />
eine Stufe gestellt werden kann. Nach Auffassung<br />
des BSG kann eine solche Gleichstellung<br />
allenfalls für den nicht kompensierten<br />
Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder<br />
einer herausgehobenen Körperfunktion erfolgen.<br />
Ausblick<br />
Es ist zu vermuten, dass auch das BVerfG in<br />
dem zu entscheidenden Fall einen Kostenerstattungsanspruch<br />
des Klägers ablehnen<br />
wird, möchte es nicht riskieren, dass die vom<br />
Gesetzgeber bewusst gezogenen Grenzen<br />
der Erstattungsfähigkeit von neuartigen <strong>Therapie</strong>methoden<br />
im Rahmen der GKV weiter<br />
verwässert werden und damit die Leistungsfähigkeit<br />
des gesetzlichen Krankenversicherungssystems<br />
gefährdet wäre. Der behandelnde<br />
Arzt steht in diesen Fällen vor einem<br />
ethischen Dilemma. Rechtlich kann aus der<br />
Entscheidung jedoch nur die Konsequenz<br />
gezogen werden, Cannabinol auf<br />
Privatrezept zu verordnen und den<br />
Patienten über die fehende Erstattungsfähigkeit<br />
durch die gesetzliche<br />
Krankenversicherung aufzuklären.<br />
Insoweit befindet sich der<br />
behandelnde Arzt sowohl haftungsrechtlich<br />
als auch strafrechtlich<br />
auf der sicheren Seite, da er nicht verpflichtet<br />
ist, ein sich noch im Erprobungsstadium<br />
befindendes Arzneimittel<br />
einzusetzen.<br />
Heike Müller, Sindelfingen<br />
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