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DIE KAUFMÄNNISCHE SCHULE DIE KAUFMÄNNISCHE SCHULE

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Bildungspolitik<br />

vLw-Fachtagung in Duisburg:<br />

Der Weg zu Bildungsstandards in der beruflichen Bildung<br />

Besonderer Weg der Beruflichkeit zu allgemeinen Abschlüssen ist noch längst nicht geklärt<br />

Im Januar hat der Verband eine Tagung<br />

zu Bildungsstandards in der beruflichen<br />

Bildung durchgeführt. Die Notwendigkeit<br />

der Tagung ist auf die Debatte um die<br />

Standards im Anschluss an die PISA-<br />

Diskussion zurückzuführen. In diesem<br />

Diskussionsprozess sind für die allgemeine<br />

Bildung Standards entwickelt worden,<br />

deren Relevanz für die berufliche<br />

Bildung noch geklärt werden muss. Mit<br />

dem Statement „Der Weg zu Bildungsstandards<br />

für die berufliche Bildung ist<br />

noch zu beschreiten und längst nicht<br />

abgeschlossen.“ befinden wir uns in<br />

einer Debatte, die einige meinen bereits<br />

abgeschlossen zu haben. Je nach Sichtweise<br />

gibt es drei Ansätze, die einen solchen<br />

Weg infrage stellen:<br />

1. Der Generalisierungsansatz unterstellt,<br />

dass es Bildungsstandards gibt,<br />

die für die Bildung schlechthin gelten.<br />

Es gibt für die Vertreter dieses Ansatzes<br />

keinen Unterschied zwischen allgemeiner<br />

und beruflicher Bildung,<br />

wenn es um Bildungsstandards geht.<br />

Für sie greifen die Bildungsstandards<br />

allgemeine Bildungsziele auf, die für<br />

alle gelten, die eine bestimmte allgemeine<br />

Berechtigung erwerben wollen.<br />

Der Kompetenzerwerb ist keine Ja-<br />

Nein-Entscheidung, sondern erfolgt in<br />

einer Stufenfolge. Die Kompetenzstufen<br />

beschreiben unterschiedlich anspruchsvolle<br />

kognitive Prozesse und<br />

Wissensanforderungen, deren Beherrschung<br />

mit bestimmten Niveaus einer<br />

Kompetenzdimension korrespondiert.<br />

Mit diesen Stufen wird ein hierarchisch<br />

aufgebautes System von Kompetenzen<br />

beschrieben, aus dem heraus<br />

eine Zuordnung zu Abschlüssen<br />

bzw. Berechtigungen erfolgt.<br />

Die Vertreter dieses Ansatzes gehen<br />

davon aus, dass aus der Struktur<br />

eines allgemein bildenden Kerncurriculums<br />

auch für die berufliche Bildung<br />

Kompetenzen und Kompetenzstufen<br />

abzuleiten sind, die nur in der Konkretisierung<br />

der Inhalte und damit in der<br />

Messung der Erreichung des Kompetenzniveaus<br />

durch eigene Aufgaben<br />

und Testverfahren auf das Medium<br />

des Berufs zu fokussieren sind.<br />

2. Der Igelansatz – nach dem Igel, der<br />

dem Hasen zurief „Ich bin schon längst<br />

da“ – ist aus der Grundüberzeugung<br />

erwachsen, dass mit der Handlungsorientierung<br />

ja Handlungskompetenz<br />

angestrebt wird. Als Ziel des Unterrichts<br />

wird eine Kompetenz beschrieben, die<br />

einem bestimmten Niveau zugeordnet<br />

werden kann und damit den Anspruch<br />

erfüllt, der an die Definition eines Stan-<br />

dards gestellt wird. Mit dieser schlanken<br />

Überlegung wird darüber hinweggegangen,<br />

dass im Generalisierungsansatz<br />

von Bildungsstandards gefordert<br />

wird, Kompetenzen und ihre Stufung in<br />

fachdidaktisch begründeten Kompetenzmodellen<br />

zu beschreiben, und dass<br />

die Charakteristika des Kompetenzverständnisses<br />

des Generalisierungsansatzes<br />

die Orientierung an Grundüberzeugungen<br />

aus der Wissenspsychologie<br />

und am LiteracyKonzept sind. Hinzu<br />

kommt die Frage der Zukunftsorientierung<br />

von Handlungskompetenz in der<br />

bisherigen Ausprägung der Lehrplankonzeptionen<br />

und die Frage, ob der<br />

Erwerb von Handlungskompetenz nicht<br />

eher eine Ja/Nein-Entscheidung ist als<br />

ein Stufungsmodell.<br />

3. Der Pragmatismusansatz ist der der<br />

Akteure im dualen Berufsbildungssystem.<br />

Standards werden gesetzt<br />

durch die Prüfung am Ende der Ausbildung,<br />

die prüfende Stelle setzt mit<br />

ihrer Beschreibung der für die Prüfung<br />

relevanten Inhalte die Standards für<br />

die Bildung in diesem System. Das<br />

Problem ist damit gelöst, Handlungsbedarf<br />

besteht nicht.<br />

Alle drei Ansätze sind höchst problematisch,<br />

jeder aus anderen Gründen.<br />

Hintergrundwissen:<br />

Mit dem Generalisierungsansatz wird<br />

nicht gesehen, dass das Konzept der Bildungsstandards<br />

für die allgemeine Bildung<br />

eben nicht nur die Kenntnis und<br />

Nutzung basaler Kulturwerkzeuge beinhaltet,<br />

sondern auf der Folie der Struktur<br />

eines allgemein bildenden Kerncurriculums<br />

die Kompetenzniveaus entfaltet.<br />

Damit wird Bildung im Medium des Berufs<br />

als inhaltliche Variante zugelassen, aber<br />

eine Identität von allgemeiner und beruflicher<br />

Bildung für den Erwerb von allgemeinen<br />

Berechtigungen unterstellt, die<br />

sich nicht mehr an der beruflichen Kompetenzentwicklung<br />

orientiert. Bildung im<br />

Medium des Berufs ist aber mehr als nur<br />

ein zusätzliches Fach Betriebswirtschaftslehre<br />

mit Rechnungswesen und kaufmännischen<br />

Aufgabenbeispielen in der Mathematik.<br />

Wie man mit diesem Ansatz zu<br />

einer verkehrten Welt kommen kann, zeigt<br />

das Beispiel Rheinland-Pfalz, wo in der<br />

zweijährigen Handelsschule im zweiten<br />

Jahr die Beruflichkeit mit 6-8 Wochenstunden<br />

völlig dem Lernen in nicht beruflichen<br />

Fächern untergeordnet ist, um die<br />

Anforderungen der allgemeinen Berechtigung<br />

erfüllen zu können. Die Chance der<br />

jungen Menschen, auf einem anderen<br />

Weg, auf dem Weg über die Beruflichkeit,<br />

zu allgemeinen Berechtigungen zu kommen,<br />

wird nicht entwickelt, stattdessen<br />

müssen sie in den Fächern, in denen sie<br />

Bildungsstandards – Ausweg oder Alibi? 1<br />

Internationale Bildungsexperten der Organization for Economic Cooperation and<br />

Development (OECD) reisen durchs Land und stellen dem deutschen Schulsystem<br />

wieder einmal ein vernichtendes Zeugnis aus. Die zumeist unbefriedigenden Leistungen<br />

deutscher Schüler bei internationalen Vergleichsstudien haben bei Bildungspolitikern,<br />

in der Schulverwaltung, an den Hochschulen und Schulen heftigen<br />

Aktionismus ausgelöst. Einen Ausweg sehen viele Verantwortliche in bundeseinheitlichen<br />

Bildungsstandards. Der ehemalige Heidelberger Lehrstuhlinhaber Georg<br />

E. Becker nimmt diese Überlegungen zum Anlass, die Situation zu analysieren, Bildungsstandards<br />

vorzustellen und in den Zusammenhang einzuordnen. Auf 236 Seiten<br />

zeigt der Autor auf, dass Bildungsstandards allein keinen Ausweg aus der Schulund<br />

Bildungskrise bieten, sondern vielmehr eine Alibi-Funktion haben, die von den<br />

wirklichen Schulproblemen ablenkt. Er verweist auf die auch bei PISA deutlich<br />

gewordenen Probleme, die eher durch eine Förderung unterprivilegierter Schüler,<br />

eine Reform des 85-jährigen Schulsystems, der Einrichtung von Ganztagsschulen<br />

und der Gründung differenzierender Leistungsschulen gelöst werden können. Insgesamt<br />

bietet sich das Buch als ein Einstieg in die Thematik Bildungsstandards an,<br />

das den Blick auf die systemimmanenten Probleme nicht verliert und das Instrument<br />

der Bildungsstandards in einen Gesamtzusammenhang einordnet.<br />

Anmerkung<br />

1 Becker, Georg E: Bildungsstandards – Ausweg oder Alibi, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2004, 236<br />

Seiten, ISBN 3-470-25357-5, 19,90 EUR<br />

Hilmar von Zedlitz ❍<br />

12 <strong>DIE</strong> <strong>KAUFMÄNNISCHE</strong> <strong>SCHULE</strong> 2/2005

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