29.11.2017 Aufrufe

2008-04

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Leserseite<br />

Ladefläche zu und sah unten im Meisterbüro auf dem<br />

Monitor Zahlenkolonnen laufen.<br />

„Ich ziehe jetzt vor, mache Platz für einen anderen Lkw<br />

und dann koche ich Kaffee.“ „Das Abladen ging aber flott“,<br />

stellte ich fest. Timmy nickte. „Die Warterei dauert immer<br />

länger als das Abladen.“ Er parkte den Wagen im Hof und<br />

wir stiegen beide aus. Ich kletterte vorsichtig die Tritte herunter.<br />

Meinen Waschbeutel hatte ich vorher auf den Boden<br />

des Fahrerhauses gestellt, denn bis auf den Sitz hätte ich<br />

von der Erde aus nicht reichen können.<br />

Mein Sohn holte Wasser und während er die Plane<br />

schloss, blubberte die Kaffeemaschine. „Buh, ist der stark!“<br />

sagte ich. „Ich hab schon weniger Kaffeemehl genommen<br />

als sonst.“ Er füllte noch den Kaffee in die Thermoskanne,<br />

verstaute alles sicher und drehte den Zündschlüssel.<br />

Auf der E 40 erkundigte Timmy sich über Funk: „Hallo,<br />

Kollegen! Wie ist das Hermsdorfer Kreuz? Ich ...“ „In welche<br />

Richtung?“, fragte prompt jemand. „Nach Dresden.“<br />

„Und wo bist du jetzt?“ „Erfurt Ost aufgefahren.“ „Als ich<br />

vorhin durchs Kreuz fuhr, war alles frei.“ „Danke!“ Die<br />

Stimme erzählte weiter. „Bei Jena, auf deiner Gegenbahn,<br />

ist ein schwerer Unfall gewesen. Der Stau ist schon weg,<br />

aber Neugierige fahren noch langsam. Lass dich nicht ärgern.<br />

Gute Fahrt.“ „Wenn wir gut durchkommen, sind wir<br />

um halb eins, vielleicht sogar schon um zwölf, in Dresden.“<br />

„Meinst du, dass es trotz des Unfalls möglich ist?“<br />

„Da ist der Unfall!“ „Ach du meinte Güte!“ Das Heck<br />

eines Tiefladers steckte bis zur vorderen Achse unter einem<br />

Doppelstockbus. Von unserem hohen Sitz konnten wir gut die<br />

Unfallstelle einsehen. „So wie es da aussieht, hat es aber nur<br />

Blechschaden gegeben.“ Die ineinander verkeilten Blechriesen<br />

ließen mich an sich beißende Ungeheuer denken.<br />

Die Autobahn verlief zwischen saftig grünen Wiesen,<br />

durch die sich Bäche schlängelten, Felder und Waldstücke.<br />

Als ich den Förderturm einer Zeche, genau wie im Ruhrgebiet,<br />

entdeckte, glaubte ich meinen Augen nicht trauen zu<br />

können. Industrie, in dieser herrlichen Landschaft! Weiter<br />

hinten sah ich nun auch große Fabrikhallen, auf deren Dächern<br />

sich die Sonne spiegelte. Wir lieferten ja Rohmaterial,<br />

doch das hatte ich vergessen. Für mich war es ein Ausflug.<br />

Die E 40, Hauptverbindung zwischen Ost und West, war<br />

frei; die Stadt nicht. Timmy rutschte auf dem Sitz hin und<br />

her und sagte: „Hoffentlich können wir vor der Mittagspause<br />

abladen, damit wir nicht so viel Zeit verlieren.“ Kurz vor<br />

eins waren wir da. Timmy parkte am Straßenrand.<br />

„Hoffentlich ist der Lademeister nicht weg.“ Mit den<br />

Frachtpapieren in der Hand sprang er vom Wagen und verschwand<br />

im Pförtnerhaus. Ein Gabelstapler sirrte heran.<br />

Timmy hob die Plane an einer Stelle, und der Stapler schob<br />

seine Greifer unter eine Gitterbox von 85 x 125 cm, zog sie<br />

vor, fasste nach, setzte zurück und rumpelte mit ihr davon.<br />

Timmy kletterte zu mir in das Fahrerhaus. „War das schon<br />

alles?“, fragte ich. „Ja, die kriegen immer so Kleinzeug.“<br />

„Sah ja richtig mickerig aus gegen die Rohre und Bleche,<br />

die bei der anderen Firma abgeladen wurden.“<br />

Weiter ging’s nach Radebeul, vorbei an Fachwerkhäusern,<br />

umgeben von Blumengärten, Liguster- oder Hainbuchenhecken<br />

und einem Schild „Radfahrerparadies“. Ha!<br />

Rad fahren neben einem solchen Brummer? Was sollte da<br />

Paradiesisches dran sein? Und die Straßen aus Katzenkopfpflaster,<br />

stückweiser Teerdecke mit kreisrunden Löchern<br />

und tief liegenden Gullys. An der Kreuzung wurde die Straße<br />

enger statt breiter und durch spitzwinklige Einmündung<br />

schlecht einsehbar. „Das ist die Hauptstraße?“, fragte ich.<br />

Timmy nickte. Wir durften geradeaus weiter, doch an der<br />

nächsten Kreuzung mussten wir wegen Bauarbeiten links<br />

abbiegen und mit dem riesigen Lkw durch Altstadtgassen<br />

fahren. Wegen der gewölbten Straße neigte sich der Auflieger<br />

zur Seite und das Gestänge der Plane kratzte fast die<br />

Dachrinne eines Hauses. Über eine großzügig angelegte<br />

Zufahrt erreichten wir dann die Anlieferfirma, brauchten<br />

diesmal nicht auf das Abladen zu warten. Trotzdem war es<br />

aber für unseren nächsten Kunden schon sehr spät. Timmy<br />

rief dort an, gab durch, wo wir zurzeit standen und bat, dass<br />

man auf ihn warten möge.<br />

„Geschafft“, sagte Timmy erleichtert, als er sich wieder<br />

hinter sein Lenkrad setzte. „Nur noch Chemnitz.“ „Chemnitz?<br />

Warum hast du da nicht morgens abgeladen?“ „Öfter<br />

ist von hier was zu dem Werk dort mitzunehmen. Heute habe<br />

ich allerdings nichts bekommen.“ „Wenn du das gewusst hättest!“<br />

„Ich wäre genauso gefahren. Die Bleche für Chemnitz<br />

und das andere Material ließen sich nur so packen.“<br />

Wieder auf die E 40, aber Richtung Westen. Der Heimweg<br />

begann, obwohl wir noch bei einem Kunden anliefern<br />

mussten. „Hallo, Kollegen! Ich bin gerade Dresden-Altstadt<br />

aufgefahren. Wie sieht die E 40 Richtung Chemnitz aus?“<br />

„Oh Junge! Da hast du was vor dir. An der Großbaustelle<br />

Chemnitz-Nord haben sich auf der provisorischen Fahrspur<br />

zwei Personenwagen geküsst. Kein Blut, aber der Verkehr<br />

staut in alle Richtungen. Der Abschleppwagen steckt auch<br />

fest.“ „Dank dir und bleib sauber.“<br />

„Können wir da nicht drumrum?“ fragte ich. „Schlecht.<br />

Wenn wir ausfahren, müssen wir zu viel über Landstraßen<br />

und das dauert auch. Ich lasse mal den Funk eingeschaltet.<br />

Vielleicht erfahren wir was.“ Im Schneckentempo kamen<br />

wir voran, in Chemnitz war dadurch bereits Feierabendverkehr.<br />

Bergab auf eine Ampel zu, stehen – anfahren;<br />

stehen – anfahren. Bergauf genauso. Ich sorgte mich, dass<br />

die Bremsen unser Gewicht nicht halten könnten. Endlich<br />

erreichten wir uns Ziel. Timmy zog seinen Overal über und<br />

kletterte auf die Ladefläche. Ein Deckenkran rasselte heran,<br />

ließ seinen Haken herunter und nahm einige Bleche<br />

von der Ladefläche. Sie schaukelten beim Straffziehen der<br />

Drahseile und ich erwartete, dass sie fallen würden. Aber<br />

es passierte nichts. Langsam leerte sich der Laster. Timmy<br />

legte Kanthölzer und Spanngurte zusammen, schob das<br />

Verdeck zu und klemmte sich hinter sein Steuerrad. „So,<br />

jetzt geht’s nach Hause.“ „Bis du nicht müde?“ „Nein, ich<br />

bin richtig froh.“ Er log nicht. Man merkte ihm die Erleichterung<br />

an. Irgendwie hatte er Feierabend. „Und was ist<br />

36 durchblick 4/<strong>2008</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!