2008-04
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Siegen<br />
Heutige Spandauer Straße, hier steht das Gebäude,<br />
in dem später die Landeszentralbank untergebracht war<br />
handenen Bäckereien und Geschäften in langen Schlangen<br />
anstehen, manchmal letzten Endes vergebens! Zum Glück<br />
gab es von der NSV, der Frauenschaft und dem DRK Küchen<br />
und Ausgabestellen, wo man warmes Essen, warme<br />
Getränke, belegte Brote usw. bekam. Wir waren ja sowieso<br />
– infolge der jahrelangen knappen Lebensmittelzuteilungen<br />
auf Karten – schon unterernährt und hatten natürlich immer<br />
Hunger. Hinzu kam die kalte Witterung; es hatte schon<br />
leicht geschneit und es waren Minus-Temperaturen. Man<br />
fror. Zum Glück hatte ich noch warme Kleidung bei mir,<br />
was nicht für alle Menschen zutraf. Man bekam ja schon<br />
seit Jahren Kleidungsstücke nur auf Zuteilungskarten. Dasselbe<br />
galt für Schuhe: 1 Paar Schuhe für ein Jahr! Vielleicht<br />
haben damals viele Menschen – zu allem anderen Kummer<br />
– gefroren und auch oft kalte und nasse Füße bekommen.<br />
Abends trafen wir uns, weil wir beide oft verschiedene<br />
Dinge erledigen mussten, müde und erschöpft in unserer<br />
gemeinsamen Unterkunft, innerlich angefüllt vom Kummer<br />
vieler Menschen und mit den Bildern der vielen zertrümmerten<br />
Häuser.<br />
Am Heiligen Abend hörten wir am Radio der Hausbesitzerin<br />
gemeinsam der Goebbels-Rede zu – das Übliche:<br />
große laute Worte mit Pathos, Aufforderung zum Durchhalten<br />
und immer wieder Siegesversprechungen!<br />
Kein Weihnachtsbaum, keine<br />
Weihnachtskerzen, keine Weihnachtsgeschenke!<br />
Keine Weihnachtsstimmung!<br />
Aber ein „Geschenk“<br />
erhielten wir am Morgen<br />
des 2. Weihnachtsfeiertages: Unser<br />
jüngerer Bruder, von dem wir schon<br />
seit Wochen keine Nachricht mehr<br />
„aus dem Westen“ erhalten hatten,<br />
stand auf unseren Haustrümmern<br />
und wartete auf uns. Ihm war in<br />
seinem militärischen Unterstand<br />
am späten Heiligabend von seinem<br />
Vorgesetzten die Nachricht von<br />
unserem Unglück überbracht und<br />
14 Tage Bomben-Heimaturlaub erteilt<br />
worden. Von unserer ältesten<br />
Schwester, die mit Ehemann und<br />
einem Säugling in Hinterpommern<br />
lebte, erhielten wir noch eine Antwort<br />
auf unsere Unglücksnachricht,<br />
3 Fotos aus Familienbesitz Else Piegemann<br />
ehe sie selbst von der Ostfront überrollt wurden, zum Glück<br />
ohne größeren Schaden. Im Januar 1946 kehrten die drei als<br />
Vertriebene in den Kreis Siegen zurück.<br />
Mich bewegte später die Frage, warum wir wohl an<br />
Heiligabend nicht zum Gottesdienst gegangen waren, der<br />
wirklich noch in einer Kirche stattgefunden hat. Heute<br />
möchte ich einmal alle Schwierigkeiten aufzählen, mit denen<br />
wir damals zu kämpfen hatten: unendliche Traurigkeit,<br />
kein „Zuhause“, Hunger, Erschöpfung, Scheu vor Kälte<br />
und Nässe, Angst vor wiederholtem Alarm und etwaigem<br />
erneutem Luftangriff, keinerlei Fahrmöglichkeiten, dazu<br />
noch demolierte Straßen, teilweise mit Schutt bedeckt, und<br />
anbefohlene vollständige Verdunkelung, nachtschwarze<br />
Dunkelheit auf den Straßen, die wir uns bei der heutigen<br />
übergrellen Weihnachtsbeleuchtung überhaupt nicht mehr<br />
vorstellen können.<br />
Ein anderes „Geschenk“ tauchte für uns in Gestalt<br />
eines früheren Arbeitskollegen auf, der als sehr praktischer<br />
Handwerker in diesen Tagen in wenigen Stunden aus den<br />
zerfetzten Resten unserer eigenen guten Mahagoni- und<br />
Nussbaummöbel einige Kisten zimmerte, die wir dann auf<br />
einem – mit seiner Hilfe zauberhaft irgendwie herbei organisiertem<br />
– LKW bei mehreren Verwandten und Bekannten<br />
in Siegerländer Dörfern unterbringen konnten. Nach vielen<br />
Monaten konnten wir sie wohlbehalten zurückholen. Doch<br />
das war wirklich sehr viel später; wir mussten ja erst wieder<br />
ein sicheres Dach über dem Kopf haben und etwas zuversichtlicher<br />
in die Zukunft blicken.<br />
Meine so gute, menschenfreundliche Mitschülerin wurde<br />
später die Ehefrau meines Bruders; und wir konnten<br />
dann später zwei eigene Wohnhäuser auf das ehemalige<br />
Trümmergrundstück bauen.<br />
Der jüngere Bruder ist 1946 in einem russischen Gefangenenlazarett<br />
gestorben.•<br />
Kein Feinstaubfilt er<br />
nöti g !<br />
DIREKT VOM HERSTELLER<br />
durchblick 4/<strong>2008</strong> 7