Calluna_Sommer2018_Web
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••• die moderne Wirtschaftsgesellschaft« bereits<br />
»wichtige Schritte« gemacht worden, aber: »Eine ernsthafte<br />
Bekämpfung gravierender, systematischer, institutionalisierter<br />
und strafbarer Verletzungen des<br />
Tierschutzrechts, der organisierten Agrarkriminalität,<br />
findet dagegen noch nicht statt«. Bültes trauriges Fazit:<br />
»Wer eine Tierquälerei begeht, wird bestraft, wer sie<br />
tausendfach begeht, bleibt straflos und kann sogar mit<br />
staatlicher Subventionierung rechnen.«<br />
Agrarkriminalität – ein weitgehend<br />
unbeackertes Feld<br />
Hähne sind in den meisten<br />
Legehennenbetrieben unerwünscht<br />
und werden<br />
deshalb schon als<br />
Küken vergast oder<br />
geschreddert.<br />
In einem Interview mit der Zeitschrift Die Zeit, das<br />
erstmals am 11. Juni veröffentlicht wurde, nennt der<br />
Jurist die Gründe für das offensichtliche Versagen des<br />
deutschen Rechtstaates, wenn es um Tierquälerei im<br />
großen Stil geht. Viele Staatsanwälte seien nicht nur<br />
mit Arbeit überlastet, sondern beim Thema Tierschutz<br />
schlichtweg überfordert, während die Agrarunternehmen<br />
hoch spezialisierte Anwälte hätten. Er plädiert<br />
deshalb für eine Spezialisierung auch bei Staatsanwaltschaften<br />
und Kriminalpolizei. Als positives Beispiel<br />
nennt er die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die eine eigene<br />
Abteilung für Agrarkriminalität eingerichtet habe.<br />
Aus der Reihe von Fehlentscheidungen im Zusammenhang<br />
mit dem Tierschutzgesetz greift der Strafrechtsprofessor<br />
das 2016 vom Landgericht Münster<br />
gefällte Urteil zum Kükenschreddern auf, demzufolge<br />
es mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist, wenn Legehennenbetriebe<br />
männliche Küken vergasen oder<br />
schreddern, da ihre Aufzucht nicht wirtschaftlich sei.<br />
Für Bülte ist das Urteil »handwerklich grauenhaft<br />
falsch«, wie er in dem Zeit-Interview erklärte. Das<br />
nicht nur, weil das Urteil die Tatsache ausblende, dass<br />
der Tierschutz 2002 als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen<br />
worden sei, sondern auch weil im Tierschutzgesetz<br />
festgeschrieben sei, dass Tiere nicht ohne<br />
»vernünftigen Grund« getötet werden dürfen. Die wirtschaftlichen<br />
Interessen der Legehennenbetriebe als<br />
»vernünftigen Grund« anzuerkennen, wie es das Gericht<br />
getan habe, sei eine absurde Entscheidung. Statt<br />
strafbefreiend müsste sich dieser Grund vielmehr strafverschärfend<br />
auswirken, denn wer aus Habgier oder<br />
aus Gewinnstreben handele, werde dem Strafrecht zufolge<br />
härter bestraft. Für einen Legehennenbetrieb, der<br />
aus finanziellen Interessen männliche Küken töte, weil<br />
deren Aufzucht die Eier um einige Cent verteuern<br />
würde, solle dieses Recht offenbar nicht gelten.<br />
Während auf einschlägigen Seiten der Agrarlobby im<br />
Internet bereits von »Verunglimpfung eines gesamten<br />
Berufstandes« die Rede ist, lässt sich der Wirtschaftsstrafrechtler<br />
nicht einschüchtern. In seiner jüngsten<br />
Veröffentlichung in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift<br />
Strafverteidiger, die eine der führenden juristischen<br />
Publikationen für Wissenschaft und Praxis des Strafrechts<br />
ist, beschäftigt sich Bülte mit einem Satz, der<br />
auf Seite 87 des Koalitionsvertrags von CDU, CSU<br />
und SPD vom 7. Februar dieses Jahres zu lesen ist:<br />
»Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand<br />
effektiv ahnden.«<br />
Hintergrund dieser Willenserklärung ist eine Gerichtsentscheidung<br />
in Sachsen-Anhalt: Das Oberlandesgericht<br />
Naumburg hatte Tierschützer freigesprochen,<br />
die in eine Schweinemastanlage eingedrungen waren<br />
und dort Filmaufnahmen gemacht hatten, um die<br />
schlimmen Zustände dort zu dokumentieren. »Die<br />
Filmaufnahmen führten zu Kontrollen, und die Aufsichtsbehörde<br />
konstatierte, dass das Kreisveterinäramt<br />
die schwerwiegenden Rechtsverstöße systematisch geduldet<br />
und gedeckt hatte«, berichtet Bülte. Die Richter<br />
sahen den Einbruch »wegen wesentlichen Überwiegens<br />
des Interesses der Allgemeinheit am Tierschutz« in diesem<br />
Fall als gerechtfertigt an und sprachen den Angeklagten<br />
das Recht zu, »sich im Interesse der<br />
Allgemeinheit gegen die systematischen, massenhaften<br />
und staatlich tolerierten Verstöße zu wehren, indem sie<br />
die Taten dokumentierten und dabei das Hausrecht in<br />
der Industrieanlage störten.«<br />
Schutz vor kriminellen Tierschützern oder<br />
Schutz Krimineller vor Tierschützern?<br />
Da dieses Urteil im Zusammenhang mit dem Versagen<br />
der zuständigen Aufsichtsbehörden steht, sieht<br />
Bülte darin keinen Freibrief für künftige Stalleinbrüche.<br />
Die im Koalitionsvertrag erfolgte Ankündigung<br />
einer effektiven Ahnung sei daher überflüssig. Was<br />
beabsichtigt die Bundesregierung? »Sollen auch Menschen<br />
bestraft werden, die im Interesse des Tierschutzes<br />
als Verfassungsgut und in echter Gewissensnot<br />
handeln, um elementares Versagen des Staates und<br />
systematische Rechtsverstöße der Agrarwirtschaft aufzudecken?«,<br />
fragt sich Bülte. Oder anders ausgedrückt:<br />
Geht es hier um den »Schutz vor kriminellen Tierschützern«<br />
oder um den »Schutz Krimineller vor Tierschützern«?<br />
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42 <strong>Calluna</strong> I SOMMER 2018