Berliner Zeitung 07.12.2018
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 286 · F reitag, 7. Dezember 2018 – S eite 20 *<br />
·························································································································································································································································································<br />
Sport<br />
Hand in Hand in die Zukunft: LeroySané und Serge Gnabry<br />
IMAGO<br />
Deutschland sucht die Superstars<br />
Was läuftfalsch in der Nationalmannschaft? Wiemussdie Talentförderung verändert werden? Die Branche diskutiert die wichtigsten Zukunftsfragen<br />
VonFrank Hellmann, Frankfurt<br />
Schon der Eingangsbereich<br />
zur DFB-Zentrale war am<br />
Mittwoch und Donnerstag<br />
zum erstmals ausgerichteten<br />
Leadership-Festival nicht mehr<br />
wiederzuerkennen. Draußen lag ein<br />
grüner Teppich, drinnen in den umgestalteten<br />
Räumlichkeiten an der<br />
Otto-Fleck-Schneise prangte das<br />
Leitmotiv für dieses Fachforum:„Wir<br />
wollen ein Gütesiegel und ein Impulsgeber<br />
für die nachhaltige Weiterentwicklung<br />
des Fußballs sein.“<br />
Dazu ein Konterfei des grinsenden<br />
DFB-Direktors Oliver Bierhoff,<br />
der die Bereiche Nationalteam und<br />
Akademie leitet. Darunter geht es<br />
nicht, wo das Aushängeschild ein<br />
historisch schlechtes Jahr hinter sich<br />
hat, erstmals in einer WM-Vorrunde<br />
gestrauchelt und in der Fifa-Weltrangliste<br />
auf Platz 16 abgerutscht ist.<br />
„Wir wollen zurück in die Weltspitze–das<br />
ist unser Anspruch in allen<br />
Bereichen“, formulierte Bierhoff,<br />
der Veranstaltungen wie diese als Pilotprojekte<br />
ansieht, um sich aus der<br />
Wirtschaft, von Sport- und Start-up-<br />
Unternehmen befruchten zu lassen.<br />
Denkanstöße für die Spitzenkräfte<br />
des deutschen Profifußballs schaden<br />
gewiss nicht. Warum sollen Ligavertreter<br />
nicht von Adidas-Chef Kasper<br />
Rorsted lernen, wenn dieser den<br />
Führungsanspruch seines global<br />
agierenden Konzerns spiegelt?<br />
Warumenglische Talente?<br />
Am Rande der Vorträge tauschte sich<br />
die halbe Bundesliga aus.Geschäftsführer<br />
wie Jörg Schmadtke (Wolfsburg),<br />
Michael Reschke (Stuttgart)<br />
oder Frank Baumann (Bremen) hatten<br />
zumeist die Leiter ihrer Nachwuchsleistungszentren<br />
im Schlepptau,<br />
was der richtige Ansatz ist. Der<br />
Reformwillen –auch um die internationale<br />
Konkurrenzfähigkeit zu bewahren<br />
–muss unten ansetzen. Bierhoff:<br />
„Wir müssen uns fragen,<br />
warum Bundesligisten vermehrt<br />
französische oder englische Jugendspieler<br />
verpflichten. Wirhaben noch<br />
gute deutsche Nachwuchsspieler,<br />
aber es schwächt sich ab.“<br />
Bierhoff verriet, dass mit dem<br />
Umzug seiner kompletten Direktion<br />
im Januar in den Frankfurter Stadtteil<br />
Niederrad weitreichende Reformpläne<br />
diskutiert werden sollen.<br />
Akademieleiter Tobias Haupt wird<br />
mit seinen Mitarbeitern bis zur Fertigstellung<br />
des Großprojekts im Juni<br />
2021 nicht nur offene Großraumbüros<br />
beziehen, sondern will sich für<br />
alle Vorschläge von der Basis empfänglich<br />
zeigen: „Der Think Tank<br />
muss die Themen aus der Praxis behandeln.“<br />
Die Innovationen müssten<br />
nicht so weit gehen wie im Krisenjahr<br />
2000, aber es brauche nach<br />
dem Krisenjahr 2018 wieder ein Umdenken,<br />
beteuertBierhoff.<br />
„Für die Zukunft stellen wir alles<br />
infrage, und da müssen wir bei den<br />
Inhalten im Kindesalter anfangen.<br />
Wir dürfen kein Tabu haben, und<br />
müssen die Dinge benennen –und<br />
dann sehen, was umsetzbar ist.“ So<br />
sollen die Kleinsten vielleicht nicht<br />
mehr Sieben-gegen-Sieben, sondern<br />
beispielsweise Drei-gegen-Dreispielen.<br />
Mit den in den Regional- und<br />
Landesverbänden sicherlich zunächst<br />
mit Argwohn beäugten Projekten<br />
soll im Grunde ein Ersatz für<br />
die aussterbende Spezies Straßenfußballer<br />
geschaffen werden. Undso<br />
beginnt die Renaissance vielleicht<br />
auf den Kleinspielfeldern.<br />
DasGesamtpaket will Bierhoff im<br />
Februar vorstellen. Sein Sportlicher<br />
Leiter Joti Chatzialexiou hat ein Bündel<br />
an Zukunftsmaßnahmen geschnürt,<br />
wie Talentförderung, aber<br />
auch Trainerausbildung noch verbessertwerden<br />
können. Zudem werden,<br />
das räumen die Macher selbstkritisch<br />
ein, sowohl im Verband als<br />
auch in den Nachwuchsleistungszentren<br />
zu viele gleichförmige Spielertypen<br />
herangezüchtet. Künftig<br />
soll wieder der individuelle Ansatz<br />
greifen. Offenkundig, dass auf gewissen<br />
Positionen ein Mangel besteht:<br />
etwa beim Mittelstürmer oder auf<br />
den Verteidigerpositionen.<br />
DerBundestrainer fehlt<br />
Umso wichtiger ist die Verzahnung<br />
zum Nachwuchsbereich. Eine<br />
Schlüsselrolle spielt dabei U21-Nationaltrainer<br />
Stefan Kuntz, der im<br />
Sommer mit der EM einen wichtigen<br />
Höhepunkt aus DFB-Sicht bestreitet.<br />
Kuntz kündigte an, mit Bundestrainer<br />
Joachim Löw den Austausch<br />
zu suchen, welche Akteure besser<br />
beim Nachwuchsturnier eingesetzt<br />
werden, um deren Leistungsfähigkeit<br />
für die EM 2020 zu überprüfen.<br />
„Bei den letzten Länderspielen<br />
waren sechs, sieben Spieler im Einsatz,<br />
die noch für die U21 spielberechtigt<br />
waren. DerUmbruch ist also<br />
in vollem Gange. Wir sollten nicht<br />
Spieler hochschieben, die noch<br />
nicht so weit sind“, betont Kuntz. Für<br />
ihn sei ein Talent wie Kai Havertz<br />
(Leverkusen) derzeit „die absolute<br />
Ausnahme“. Löwfehlte übrigens bei<br />
dieser Veranstaltung. Seine Präsenz<br />
sei „keine Pflicht“, erklärte Bierhoff –<br />
der Bundestrainer wird am Sonnabend<br />
im ZDF-Sportstudio über<br />
Pläne und Perspektiven mit der Nationalmannschaft<br />
sprechen. Löw<br />
glaubt, die Weichen bereits gestellt<br />
zu haben, um die DFB-Auswahl fit<br />
für die Zukunft zu machen. Viele<br />
Führungskräfte sagen jedoch: Das<br />
seiallenfalls der Anfang.<br />
„Zu Toni Kroos fehlt noch eine ganze Menge“<br />
In seinem zweiten Bundesligajahr hat Herthas Arne Maier bislang keine Minute verpasst. Ein Gespräch über Erwartungen, Vorbilder und das Spiel gegen Frankfurt<br />
Optisch hat sich Arne Maier, 19,<br />
in den vergangenen anderthalb<br />
Jahren wenig verändert. Er trägt wie<br />
bei seinem Profidebüt im Mai 2017<br />
noch eine feste Spange, die ihm wegen<br />
einer Fehlstellung seiner Zähne<br />
vor Rückenschmerzen schützt.<br />
Sportlich hat Herthas Mittelfeldmann<br />
den wohl schwersten Schritt<br />
zum Profi gemeistert: Stammspieler<br />
in der Bundesliga. Ein Gespräch<br />
über seinen rasanten Aufstieg, ein<br />
Trikot vonJulian Draxler und dieVergleiche<br />
mit Toni Kroos.<br />
Herr Maier, was hat sich seit Ihrem<br />
Bundesligadebüt verändert?<br />
Es ist sehr viel passiert. Ichbin erwachsener<br />
geworden. Im Vergleich<br />
zur vergangenen Saison habe ich<br />
bisher keine Minute verpasst. Im<br />
Vorjahr war ich noch der Junge, der<br />
in die Mannschaft gerutscht ist. Jetzt<br />
bin ich ein fester Bestandteil des<br />
Teams.Die Anerkennung ist anders.<br />
Es gibt Vergleiche mit Toni Kroos.<br />
Es ist schön, so etwas zu hören.<br />
Aber Fußball ist ein Mannschaftssport.<br />
Außerdem gibt es keine Garantien,<br />
dass das alles auch eintritt.<br />
Manmuss Tagfür Taghartarbeiten.<br />
Washaben Siesich eigentlich vonIhremersten<br />
Profigehalt gekauft?<br />
Ich habe meine ganze Familie<br />
zum Essen in den China Club am<br />
Brandenburger Toreingeladen. Ein<br />
Fahrservice holte meine Eltern zu<br />
Hause in Ludwigsfelde ab, damit sie<br />
etwas trinken konnten.<br />
Ihr Vater soll Ihr schärfster Kritiker<br />
sein.<br />
Das stimmt. Er sagt immer noch ab<br />
und zu etwas. Aber mittlerweile meckerternicht<br />
mehr so viel wie früher.<br />
Ihr Vorbild ist Julian Draxler von Paris<br />
St.Germain. Warum?<br />
Ich bewundere vor allem seine<br />
Ruhe am Ball. Damals, als er auf<br />
Schalke spielte, hat mir das sehr gefallen.<br />
Seitdem verfolge ich, was er<br />
macht. Ichhabe sogar ein Trikot von<br />
ihm zu Hause hängen.<br />
Ein Lieblingsspieler aus Gelsenkirchen?<br />
Darf man das als Herthaner?<br />
Ichhabe ja damals als Junge nicht<br />
so auf den Verein geachtet.<br />
Stimmt es, dass Sie als kleiner Junge<br />
selbst in der Ostkurve standen?<br />
Nicht in der Kurve, aber als ich bei<br />
Hertha in der Jugend spielte,war ich<br />
Hat den Blick<br />
immer oben:<br />
Arne Maier<br />
OTTMAR WINTER<br />
ab und zu im Stadion. Meistens hatten<br />
wir aber selbst Turniere anden<br />
Wochenenden.<br />
Ihr TeamkollegeValentino Lazarohat<br />
zuletzt gefordert, dass Siedas dreckige<br />
Spiel lernen sollten.<br />
Da hat er recht. Er hatte da eine<br />
Szene im Kopf, die zu mGegentor<br />
führte. Ich hätte den Gegenspieler<br />
damals vielleicht umhauen müssen.<br />
Wie würden Sie Ihren Spielstil bezeichnen?<br />
Bei mir geht es nicht um die<br />
Härte. Mein Spiel zeichnet sich<br />
durch Ruhe am Ball und Übersicht<br />
aus. Ich versuche, das Spiel zu machen<br />
und so oft wie möglich an den<br />
Ball zu kommen.<br />
Also doch wie Toni Kroos?<br />
Da fehlt noch eine ganzeMenge.<br />
Am Sonnabend geht es gegen Frankfurt,<br />
das ist ein besonders offensives<br />
und physisch starkes Team.<br />
Sie haben vor der Niederlage gegen<br />
Wolfsburg fast alles gewonnen.<br />
Besonders im Angriff haben sie eine<br />
überragende Qualität. Es wird ein<br />
spannendes Spiel.Wenn wir aber das<br />
abrufen, was wir können und was<br />
wir immer im Training zeigen, dann<br />
haben wir am Ende die Nase vorne.<br />
Erst recht, wenn SieIhr erstes Bundesligator<br />
erzielen.<br />
Das wird schon irgendwann fallen.<br />
Mir reicht es aber, wenn die<br />
Mannschaft gewinnt.<br />
Das Gespräch führten Patrick Berger<br />
und Sebastian Schmitt.