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Berliner Zeitung 07.12.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 286 · F reitag, 7. Dezember 2018 5 *<br />

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Politik<br />

Entmachtung kurz vor dem Amtsantritt<br />

Im US-Bundesstaat Wisconsin legen die Republikaner dem neuen demokratischen Gouverneur Fesseln an<br />

VonKarlDoemens, Washington<br />

Als die US-Demokraten vor<br />

einem Monat ihre Erfolge<br />

bei den Zwischenwahlen<br />

feierten, freuten sie sich<br />

besonders über Wisconsin. Seit acht<br />

Jahren wirdder Bundesstaat im Mittleren<br />

Westen von einem knallhart<br />

konservativen Republikaner regiert.<br />

Sein demokratischer Herausforderer<br />

Tony Evers hatte im Wahlkampf eine<br />

Stärkung der Krankenversicherung,<br />

Steuersenkungen für Geringverdiener<br />

und eine Überprüfung der umstrittenen<br />

Milliarden-Subventionsgeschenke<br />

für den taiwanesischen<br />

Elektronikhersteller Foxconn in Aussicht<br />

gestellt.<br />

Nach Stunden des Zitterns war<br />

die Sensation perfekt: Eine ungewöhnlich<br />

hohe Wahlbeteiligung beförderte<br />

nicht nur den 67-jährigen<br />

Evers mit 31 000 StimmenVorsprung<br />

ins Gouverneursamt, sondern verschaffte<br />

seiner Partei auch das wichtige<br />

Amt des Generalstaatsanwalts<br />

und sämtliche Kabinettsposten. Die<br />

Demokraten in Wisconsin sind so<br />

starkwie seit 28 Jahren nicht mehr.<br />

Ihre zentralen Wahlversprechen<br />

werden sie trotzdem nicht umsetzen<br />

können –jedenfalls nicht auf absehbare<br />

Zeit. Der Grund: In einer neunstündigen<br />

Nacht- und Nebelaktion<br />

hat das republikanisch dominierte<br />

Landesparlament am Mittwoch die<br />

Befugnisse des neuen Gouverneurs<br />

drastisch beschnitten, noch bevor<br />

dieser am 7. Januar offiziell vereidigt<br />

wird. Zugleich besetzten die Abgeordneten<br />

auf einen Schlag 82 vakante<br />

Posten in der Verwaltung mit<br />

republikanischen Parteigängern. Die<br />

künftige Regierung kann bis auf weiteres<br />

nun weder den Arbeitszwang<br />

für Bezieher staatlicher Gesundheitsleistungen<br />

aufheben, noch die<br />

Foxconn-Subventionen verändern<br />

oder eine Klage des Bundesstaats gegen<br />

Obamacare zurückziehen. „Sie<br />

werden mit Schande in die Geschichtsbücher<br />

eingehen!“, rief Gordon<br />

Hintz, der demokratische Fraktionschef<br />

im Abgeordnetenhaus,<br />

den Republikanernzu.<br />

Eine Schwachstelle im System<br />

Während der nächtlichen Abstimmung<br />

kam es im Kapitol von Wisconsin<br />

zu massiven Protesten. „Nein<br />

zur Machtergreifung“, stand auf Plakaten<br />

einiger Demonstranten. Andere<br />

skandierten: „Schützt unsere<br />

Wahlrechte!“ Auch landesweit sorgt<br />

der Coup für Aufregung und Empörung.<br />

„Die Republikaner sind bereit,<br />

das System zu manipulieren, um die<br />

Macht, die sie bei Wahlen verloren<br />

haben, zu behalten“, wettert Eric<br />

Holder, der Ex-Justizminister von<br />

Barack Obama. Die linksliberale<br />

Zeitschrift The Nation schlägt Alarm:<br />

„Das ist ein radikaler Anschlag auf<br />

unsereDemokratie.“<br />

So unerhört die Last-Minute-Intervention<br />

des Parlaments in Madison<br />

erscheint – einzigartig ist sie<br />

Am Wahlabend konnte sich Tony Eversnoch freuen über seinen überraschenden Sieg. AP<br />

nicht. Schon vor zwei Jahren hatten<br />

die Republikaner in North Carolina<br />

in letzter Minute die Befugnisse des<br />

neuen demokratischen Gouverneurs<br />

beschränkt. Und inMichigan<br />

wollen die Republikaner der neuen<br />

Demokraten-Regierung die Zuständigkeit<br />

für die Kontrolle der Parteienfinanzierung<br />

entziehen. DieArgumente<br />

sind überall ähnlich: Ein linker<br />

Gouverneur verkörperenicht die<br />

wahren Wertedes Bundesstaats.<br />

Tatsächlich besitzen die Republikaner<br />

im Parlament von Wisconsin<br />

weiter eine Mehrheit. Ob diese jedoch<br />

repräsentativ für die Bevölkerung<br />

ist, erscheint zweifelhaft. Die<br />

Republikaner haben in der Vergangenheit<br />

nämlich den Zuschnitt der<br />

Wahlbezirke so manipuliert, dass<br />

ihrePartei in den meisten Distrikten<br />

eine sichereMehrheit hat. Dieses sogenannte<br />

Gerrymandering steht seit<br />

langem in der Kritik. Bei einer Gouverneurswahl<br />

fällt der Effekt weg.<br />

Wenn das Parlament nun durch die<br />

Hintertür die Befugnisse des direkt<br />

gewählten Regierungschefs beschneidet,<br />

beleuchtet das eine problematische<br />

Schwachstelle des<br />

Wahlsystems.<br />

„Machthungrige Politiker haben<br />

weitreichende Änderungen unserer<br />

Gesetzedurchgepeitscht, um ihreeigene<br />

Macht auszubauen und den<br />

Wunsch der Bürger von Wisconsin,<br />

die eine Veränderung wollten, zu<br />

überstimmen“, beklagt sich Wahlsieger<br />

Evers. Seinen noch vier Wochen<br />

amtierenden Amtsvorgänger<br />

Scott Walker hat er aufgefordert, den<br />

Coup durch sein Veto zu verhindern.<br />

Doch der hartgesottene Republikaner<br />

denkt gar nicht daran.<br />

Politische Kastration<br />

Damit sind Evers die Hände gebunden.<br />

Er verliert seinen Einfluss auf<br />

die staatliche Wirtschaftsförderung,<br />

kann wichtige Personalfragen nicht<br />

entscheiden und nicht einmal das<br />

angekündigteWaffenverbot im Kapitol<br />

umsetzen. Politisch besonders<br />

schmerzhaft ist, dass sein Generalstaatsanwalt<br />

weiter die Klage mehrerer<br />

Bundesstaaten gegen das Gesundheitssystem<br />

Obamacaremittragen<br />

muss, das die Demokraten in<br />

Wisconsin ausbauen wollen. Statt eigene<br />

Initiativen umzusetzen, dürfte<br />

Evers vor allem damit beschäftigt<br />

sein, konservative Gesetzesvorhaben<br />

des Parlaments auszubremsen.<br />

Wehrlos hinnehmen will er die politische<br />

Kastration nicht. Er bereitet<br />

eine Klage vor. DieFolge kann man in<br />

North Carolina besichtigen, wo ein<br />

ähnlicher Streit seit zwei Jahren für<br />

Kompetenzchaos und Stillstand<br />

sorgt. Selbst der Verdacht von Unregelmäßigkeiten<br />

bei den Midterms<br />

kann dortnicht aufgeklärtwerden.<br />

KarlDoemens sieht eklatante<br />

Schwächen im amerikanischen<br />

Wahlsystem.<br />

Bunt und<br />

gefährlich<br />

Warentest: Jedes vierte Produkt für Kinder ist mangelhaft<br />

VonTimot Szent-Ivanyi<br />

Katarina Barley ist überrascht:<br />

„Und das gibt es so zu kaufen?“<br />

Ungläubig schaut die Verbraucherschutzministerin<br />

auf eine kleine Plastikdose,<br />

die gestaltet ist wie eine<br />

Büchse für Softdrinks. Sie enthält<br />

bunten„Kinderschleim“ zum Spielen<br />

–nicht zum Essen. Aber selbst dann,<br />

wenn Kinder den Schleim nur durch<br />

die Finger glibbernlassen, ist er hochgefährlich:<br />

Wie der Chef der Stiftung<br />

Warentest, Hubertus Primus,der Ministerin<br />

erklärt, gibt der Stoff so viel<br />

Bor ab, dass das Produkt gar nicht<br />

hätte verkauft werden dürfen. Aber<br />

nicht nur dieser Schleim ist ein Gesundheitsrisiko.<br />

Die Warentester haben<br />

ermittelt, dass gerade Produkte<br />

für Kinder überproportional oft<br />

schwere Sicherheitsmängel haben.<br />

„Alle Produkte, mit<br />

denen Kinder in<br />

Kontakt kommen,<br />

müssen besser<br />

geschützt werden.“<br />

Katarina Barley<br />

Barley sprach am Donnerstag voneinem<br />

erschreckenden Ergebnis und<br />

kündigte an, sich für eine Verschärfung<br />

derVorschriften einzusetzen.<br />

Um einen Überblick zu bekommen,<br />

hat die Stiftung Warentest alle<br />

eigenen Tests von Kinderprodukten<br />

aus den Jahren 2017 und 2018 ausgewertet:<br />

Von 278 Produkten aus 15<br />

Untersuchungen haben danach 79<br />

schwerwiegende Sicherheitsprobleme.<br />

Das ist ein Anteil von 28Prozent.<br />

Beispiel Kinderhochstühle: Die<br />

Warentester ermittelten bei einer<br />

Untersuchung, dass jeder zweite<br />

Stuhl zu viele Schadstoffe enthielt<br />

oder unsicher war. Esbesteht bei-<br />

spielsweise die Gefahr, dass Kinder<br />

durch den Sitz nach unten rutschen<br />

und dabei mit dem Kopf hängen<br />

bleiben. Bei einem aktuellen Test<br />

von Kindermatratzen fiel die Hälfte<br />

der Produkte durch, weil sie zu weich<br />

waren. Dann besteht die Gefahr,<br />

dass Babys ersticken. Zwar gibt es<br />

eine entsprechende Sicherheitsnorm<br />

der EU, sie wurde laut Primus<br />

aber von vielen Herstellern bei der<br />

Entwicklung nicht beachtet.<br />

Eine besondere Gefahr geht von<br />

technischen Spielzeugen aus.<br />

Smarte Teddys oder Roboter,die sich<br />

mit dem Smartphone verbinden<br />

können, entpuppten sich bei Tests<br />

als mangelhaft, weil die Verbindung<br />

zum Handy ungesichertwar.„Mitihnen<br />

kann sich jeder Smartphone-Besitzer<br />

verbinden und das Kind abhören,<br />

ausfragen oder bedrohen“, kritisierte<br />

Primus.<br />

Für ein Fünftel der schlechten Bewertungen<br />

sind laut Warentester gefährliche<br />

Schadstoffe verantwortlich.<br />

So wurden immer wieder krebserzeugende<br />

Stoffe in Babyspielzeug, Buggys,<br />

Kinderlaufrädern, Buntstiften,<br />

Kinderwagen oder Autokindersitzen<br />

gefunden. Als negatives Beispiel<br />

nannte er den Kindergriff an einem<br />

über 1000 Euro teuren Kinderwagen,<br />

der ein vermutlich krebserzeugendes<br />

Flammschutzmittel enthielt. DerGehalt<br />

habe den Grenzwert für Spielzeuge<br />

um ein Vielfaches überschritten,<br />

berichtete Primus. Zwar sei ein<br />

Kinderwagen kein Spielzeug, räumte<br />

er ein. Primus forderte aber, dass<br />

künftig auch alle Materialen an Kinderwagen,<br />

die Kinder berühren oder<br />

an denen sie lutschen können, die<br />

gleichen Anforderungen wie Spielzeug<br />

erfüllen sollten.<br />

Dem schloss sich Barley an. Die<br />

europäische Spielzeugrichtlinie gewähre<br />

zwar einen guten Schutz für<br />

Spielzeug, das reiche aber nicht. „Alle<br />

Produkte, mit denen Kinder in Kontakt<br />

kommen, müssen besser geschützt<br />

werden“, forderte sie. Die<br />

SPD-Politikerin sprach sich zudem für<br />

höhere Bußgelder bei Verstößen gegen<br />

die Sicherheitsvorschriften aus.<br />

MIT IHRER HILFE RETTET<br />

ÄRZTE OHNE GRENZEN LEBEN.<br />

WIE DAS DER KLEINEN ALLERE FREDERICA AUS DEM TSCHAD: Das Mädchen ist plötzlich schwach und<br />

nicht mehr ansprechbar. Sie schläft zwar unter einem Moskitonetz. Dennoch zeigt der Schnelltest,<br />

dass sie Malaria hat. Die von Mücken übertragene Krankheit ist hier eine der häufigsten Todesursachen<br />

bei kleinen Kindern. ärzte ohne grenzen behandelt die Zweijährige, bis sie wieder gesund<br />

ist und nach Hause kann. Wir hören nicht auf zu helfen. Hören Sie nicht auf zu spenden.<br />

Spendenkonto:<br />

Bank für Sozialwirtschaft<br />

IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00<br />

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TSCHAD © Sebastian Bolesch

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