28.03.2019 Aufrufe

Berliner Kurier 27.03.2019

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

*<br />

SEITE5<br />

BERLINER KURIER, Mittwoch, 27.März2019<br />

Heimtücke mit 604 PS<br />

Berlin – Die Todesraser<br />

vom Kudamm –nun müssen<br />

sie doch lebenslang<br />

hinter Gitter. Am Dienstag<br />

wurden sie erneut wegen<br />

Mordes verurteilt.<br />

Maximilian Warshitsky (m.), der Sohn<br />

des getöteten Arztes, warNebenkläger<br />

im Prozess. Er hält das Urteil für<br />

angemessen und gerecht.<br />

Als das Urteil an diesem<br />

Dienstagmittag verkündet<br />

wird, fängt Hamdi H. an, sarkastisch<br />

zu lachen. Er<br />

klatscht in die Hände, schüttelt<br />

den Kopf. Sein Mitangeklagter<br />

Marvin N. dagegen<br />

starrt vor sich hin –und kaut<br />

Kaugummi. Es bleibt dabei:<br />

Hamdi H. und Marvin N., die<br />

sogenannten Kudamm-Raser,<br />

haben sich des gemeinschaftlichen<br />

Mordes, der gefährlichen<br />

Körperverletzung<br />

und der Gefährdung des<br />

Straßenverkehrs schuldig<br />

gemacht. Das heißt, die 30<br />

und 27 Jahre alten Männer<br />

müssen lebenslänglich hinter<br />

Gitter. Das verkündet<br />

Matthias Schertz, der Vorsitzende<br />

Richter.<br />

Hamdi H. und Marvin N.<br />

hatten in der Nacht zum 1.<br />

Februar 2016 bei einem illegalen<br />

Straßenrennen auf<br />

dem Kudamm und der Tauentzienstraße<br />

einen unbeteiligten<br />

Autofahrer getötet.<br />

Es ist das zweite Mordurteil<br />

in diesem Fall. Eine erste Entscheidung<br />

hatte der Bundesgerichtshof<br />

(BGH) aufgehoben<br />

–weil er das Urteil nicht<br />

für ausreichend begründet<br />

hielt. Eine Verurteilung wegen<br />

Mordes schloss der BGH<br />

jedoch nicht aus. Er regten sogar<br />

an, das Mordmerkmal der<br />

Heimtücke zu prüfen.<br />

Und das tat die neue<br />

Schwurgerichtskammer.<br />

Nach Angaben von Schertz<br />

hätten die Angeklagten drei<br />

Mordmerkmale verwirklicht:<br />

Sie töteten heimtückisch,<br />

mit gemeingefährlichen<br />

Mitteln –ihren hochmotorisierten<br />

Fahrzeugen.<br />

Und es war Mord aus niedrigen<br />

Beweggründen: „für eine<br />

„kurzzeitige Befriedigung<br />

des Raser-Egos“.<br />

Nach seinen Angaben hätten<br />

sich die Angeklagten an<br />

einer Ampel am Adenauerplatz<br />

zu einem Stechen verabredet.<br />

Was dann folgte,<br />

Der Jeep des getöteten Arztes<br />

flog 70 Meter weit.Die Straße<br />

wirkte wie nach einem Terroranschlag,<br />

so der Richter.<br />

schildert der Richter so:<br />

Hamdi H. verlor mit seinem<br />

224-PS-starken Audi das<br />

Rennen bis zur nächsten roten<br />

Ampel. Auch bei der von<br />

ihm geforderten Revanche<br />

über die 270 Meter bis zum<br />

nächsten Rot blieb er hinter<br />

dem Mercedes von Marvin<br />

N., einem 380-PS-Wagen, zurück.<br />

Nur dass Hamdi H. die<br />

rote Ampel ignorierte, einfach<br />

weiter Gas gab. Marvin<br />

N. ließ sich das nicht gefallen,<br />

er wollte seiner Beifahrerin<br />

und auch den Freunden,<br />

die in der Nähe des KaDeWe<br />

warteten, imponieren.<br />

Hinterder Kurve an der Gedächtniskirche<br />

hätten die Angeklagten<br />

die 250 Meter entfernte<br />

roteAmpel an der Tauentzienstraße/Ecke<br />

Nürnberger<br />

Straße gesehen. 90 Meter<br />

vor dem tödlichenCrashhabe<br />

Marvin N. erkannt, dasserseinen<br />

Wagen noch stoppen<br />

könnte. Docherhabedas Rennen<br />

gewinnen wollen. Esist<br />

der Zeitpunkt, an dem die Angeklagten<br />

nach Überzeugung<br />

der Kammer den Tötungsvorsatz<br />

trafen. Sie gaben Gas, rasten<br />

mit ihren Wagen auf die<br />

rote Ampel zu. Wissend, dass<br />

der querende Verkehr Grün<br />

hatte.Dabeiblendeten sie laut<br />

Schertz jedes Risiko aus.<br />

„Ihnen war ein Unfall egal,<br />

ein Menschenleben egal, ihr<br />

eigenes Leben egal. Hauptsache,<br />

die Motorhaube liegt<br />

vorn“, so der Richter. Mit<br />

Tempo 140 preschte Marvin<br />

N. in die Kreuzung. Die Tachonadel<br />

des Audis von<br />

Hamdi H. stand bei 160, als<br />

der Wagen in den Jeep eines<br />

69-Jährigen krachte.<br />

Der Arzt im Ruhestand sei<br />

arglos gewesen, als er mit seinem<br />

Jeep bei Grün auf die<br />

Tauentzienstraßehabeeinbiegen<br />

wollen, sagt Schertz. Der<br />

Audivon Hamdi H. sei in diesem<br />

Moment zu einem „Projektil<br />

mit unglaublicher Zerstörungskraft“<br />

geworden. Der<br />

69-Jährigehabe keine Chance<br />

gehabt. SeinJeep sei70Meter<br />

weitgeschleudert worden.<br />

„Klar, dass die Angeklagten<br />

den Tod des Mannes nicht<br />

wollten“, sagt Schertz. Sie<br />

konnten jedoch nicht darauf<br />

vertrauen, dass alles gut gehen<br />

werde. Sie handelten<br />

hochgefährlich und damit mit<br />

bedingtem Tötungsvorsatz.<br />

„Und die Gefährlichkeit in<br />

diesem Fall ist kaum noch zu<br />

toppen.“ Schließlich habe<br />

man es nicht mit einer einsamen<br />

Dorfstraße, sondern mit<br />

der „Hauptschlagader der<br />

Hauptstadt“ zu tun. Laut<br />

Schertz ist es Zufall, dass es<br />

nur einen Toten gegeben habe.<br />

Die Situation sei von den<br />

Angeklagten nicht mehr beherrschbar,<br />

die Anzahl der<br />

Menschen, die sterben könnten,<br />

nicht absehbar gewesen.<br />

Innensenator Andreas Geisel<br />

begrüßt das Urteil. „Menschen,<br />

die unsere Straßen<br />

rücksichtslos für ihre selbstsüchtigen<br />

Zwecke missbrauchen,<br />

müssen die ganze Härte<br />

des Rechtsstaats zu spüren<br />

bekommen“, sagt der SPD-<br />

Politiker. Wenn das Auto zur<br />

Waffe werde, müsse der<br />

Staat einschreiten. Noch ist<br />

das Urteil nicht rechtskräftig.<br />

Die Verteidiger haben sofort<br />

Revision eingelegt. Damit<br />

muss erneut der BGH entscheiden.<br />

Katrin Bischoff

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!