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Eine Begegnung in der Toskana<br />

Rückkehr zur Heimat<br />

Treue zu sich selbst – Aufgeschlossenheit gegenüber anderen<br />

Foto wikipedia commons<br />

Das eher kleine Hotel am Ufer des Arno war ein<br />

altes wunderbares Gebäude mit historisch-romantischem<br />

Flair. Abends versammelten sich die Gäste,<br />

die das Gespräch mit anderen suchten, in einer Runde vor<br />

dem brennenden Kaminfeuer. Außer meiner Tochter und mir<br />

waren Gäste aus Skandinavien, England und Frankreich da.<br />

Unter ihnen fiel mir besonders ein altes englisches Ehepaar<br />

auf. Die Frau unterhielt sich mit mir und meiner Tochter in<br />

einem Englisch mit einem seltsam starken Akzent, so als ob<br />

ihre Muttersprache Deutsch sei und es sie eine gewisse Mühe<br />

koste, das Englische zur Verständigung zu benutzen. Da sie<br />

meine Tochter und mich Deutsch miteinander reden hörte,<br />

fragte ich mich, warum sie nicht ihre offensichtliche Muttersprache<br />

Deutsch in der Unterhaltung mit uns benutzte. Ich<br />

vermutete ein Geheimnis dahinter - oder zumindest eine Geschichte.<br />

Auf diese Geschichte sollte ich nicht lange warten<br />

müssen. Eines Abends erzählte sie aus ihrem früheren Leben.<br />

Es stellte sich heraus, dass sie Hamburgerin war, und sie<br />

lebte in dieser Stadt, bis die Nazis in Deutschland das Regiment<br />

übernahmen – und später die Juden verfolgten. Sie<br />

und auch ihr Mann stammten aus jüdischen Familien. Einzelheiten<br />

über die Judenverfolgung drangen gerüchteweise<br />

zu ihnen. Aber sie wollten es nicht glauben, dass in einem<br />

Kulturvolk wie Deutschland so etwas möglich sein könnte.<br />

Aber dann mussten sie leider erfahren, dass ihre Geschwister<br />

und andere Familienmitglieder in Konzentrationslagern<br />

der Nazis umgebracht worden waren. Angesichts dieser Tatsachen<br />

beschlossen sie zu fliehen. Ihr Mann hatte damals<br />

Geöffnet:<br />

jeden 3. Samstag im Monat<br />

von 13-16.30 Uhr<br />

Geschäftsbeziehungen nach England, und es gelang ihm<br />

dadurch, seine Frau und ihre Kinder dorthin zu holen, und<br />

seither lebte die Familie in diesem Land.<br />

Nach dem Ende der Naziherrschaft nahm der Mann seine<br />

Geschäftsbeziehungen in Deutschland wieder auf und bereiste<br />

dieses Land auch wieder im Rahmen seiner Geschäfte.<br />

„Aber ich“, sagte mir die alte Dame, „wollte nie wieder<br />

deutschen Boden betreten, und es ist mir einfach nicht mehr<br />

möglich, diese Sprache zu sprechen.“ Wir saßen an diesem<br />

Abend noch lange zusammen um das Kaminfeuer herum.<br />

Ich wartete auf meine Tochter, die von einem nahegelegenen<br />

Weingut, das sie zu einem Malkurs besuchte, zurückkommen<br />

wollte und sehr lange ausblieb. Ich bemerkte, dass die<br />

alte Dame neben mir immer unruhiger wurde und gelegentlich<br />

sogar zitterte. Endlich kam meine Tochter zurück.<br />

Die alte Dame schien, wie ich natürlich auch, erleichtert<br />

und erzählte mir sodann, dass sie sich große Sorgen um<br />

meine Tochter gemacht hatte, weil in den Wäldern der Umgebung<br />

seit Monaten ein Mörder sein Unwesen treibe, dem<br />

meine Tochter vielleicht hätte zum Opfer fallen können. Ich<br />

war natürlich entsetzt über diese Information. Aber vor allem<br />

war ich gerührt, wieviel Menschlichkeit und Mitgefühl die<br />

alte Dame sich bewahrt hatte – auch einer Angehörigen des<br />

Volkes gegenüber, von dem sie so viel Leid erdulden musste.<br />

Als das alte Ehepaar am nächsten Morgen zur Weiterreise<br />

aufbrach und sich von uns verabschiedete, war mir schwer<br />

ums Herz, als verließen mich liebe alte Freunde, die ich wohl<br />

nie mehr wiedersehen würde. <br />

Adelheid Knabe<br />

Repair Café Siegen<br />

Eine Idee macht Schule<br />

Was macht man mit einem Toaster,<br />

der defekt ist, mit einer Kaffeemaschine<br />

oder dem Mixer, der<br />

nicht mehr funktioniert? Einem<br />

kaputten CD-Player oder, wenn<br />

der Saum lose ist, eine Naht offen<br />

oder ein Knopf fehlt? Wenn etwas<br />

Hölzernes aus dem Leim gegangen<br />

oder beschädigt ist?<br />

Kommen Sie zu uns!<br />

Unsere ehrenamtlichen Experten<br />

freuen sich auf Sie. Während Sie im<br />

Bistro bei Kaffee und Kuchen warten<br />

gelingt die Reparatur meistens.<br />

Ein Projekt von<br />

ALTERAktiv Siegen-Wittgenstein e.V.<br />

und der ev. Martintigemeinde Siegen<br />

im Mehrgenerationenzentrum<br />

St. Johann-Str. 8 • 57074 Siegen<br />

Internet: https://alteraktiv-siegen.de<br />

Ich war 20, als Deutschland wiedervereinigt wurde. Die<br />

Welt lag uns zu Füßen! Ostblock war nicht mehr nur<br />

im Interzonenzug zu riechen, sondern ließ sich auch<br />

hautnah erleben. Studentenbuden am unsanierten Prenzlauer<br />

Berg in Berlin wurden zum Inbegriff des Aufbruchs:<br />

eine ganze Wohnung, für einen Appel und ein Ei zu mieten.<br />

Man konnte die Wände rot lackieren, wenn man wollte –<br />

alles war erlaubt. Geheizt wurde mit Kohle, gekocht ebenfalls,<br />

die Badewanne hatte einen eigenen kleinen Ofen.<br />

Das Interrail-Ticket der Bahn stand für ein ganzes Lebensgefühl:<br />

Raus aus der Wohlstandgesellschaft, mit Lust,<br />

Liebe und ohne Geld durch Italien tingeln, Straßenmusik<br />

machen, Vagabunden spielen – wir genossen unbeschwerte<br />

Freiheit. Wir brauchten keine Sicherheit.<br />

Mit das Schönste am Reisen ist bekanntlich das Nach-<br />

Hause-Kommen: in die Heimat, in der man sich auskennt,<br />

in die Familie, die einen versteht, in den gewohnten Alltag,<br />

in dem man mittrotten kann, ohne ständig neue Entscheidungen<br />

fällen zu müssen. Heimat ist da, wo man nicht aus<br />

dem Rahmen fällt, in eine Gemeinschaft eingebunden ist<br />

und das Gefühl hat, mit anderen in der gleichen Richtung<br />

unterwegs zu sein. Heimat ist entspannend: man muss sie<br />

nicht täglich neu erfinden.<br />

Gegenwärtig erlebt die Heimat eine neue Renaissance:<br />

In Zeiten, in denen das Leben eine ständige Netzwerk-Reise<br />

durch alle Kontinente und Kulturen zu sein scheint, fühlen<br />

sich Menschen zunehmend kulturell „entbettet“. Heimat – das<br />

bedeutete immer das Aufgehobensein in einer Gemeinschaft<br />

mit ähnlichen Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen, es<br />

bedeutete, seine Umgebung zu verstehen und zu wissen, wie<br />

man darin zu handeln hat. In der neuen Beliebigkeit verliert<br />

man leicht sein kulturelles Geländer, an welchem man seine<br />

Identität ausgerichtet hat. Zu viel Entscheidungsspielraum,<br />

Vielfalt und Entgrenzung kann unfassbar haltlos machen.<br />

EU-Müdigkeit, Brexit, neues Nationalgefühl – es gibt viele<br />

Versuche, der Befremdlichkeit des sich rasend schnell verändernden<br />

Lebens zu entgehen und an das alte Heimatgefühl<br />

anzuknüpfen. Nicht alle Menschen seien hip, jung, urban und<br />

weltoffen, mahnte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang<br />

Thierse und forderte eine „Beheimatungspolitik“.<br />

Meine jugendlichen Söhne träumen nicht mehr, wie ich<br />

einst, von einer Welt, die ihnen zu Füßen liegt, von Vagabundentum<br />

und Reise-Abenteuern: Sie träumen von einer<br />

heilen Familie, von Kindern, einem sicheren Nest und stabilem<br />

WLAN. Dann holen sie sich so viel von der Welt ins<br />

Haus, wie sie verarbeiten können.<br />

Heimat als stabiles Sediment des Daseins brauchte die<br />

Treue gegenüber sich selbst – seinen Lebensprinzipien und<br />

Werten – ebenso, wie die Aufgeschlossenheit gegenüber<br />

anderen: Bewahrenswertes lässt sich nur lebendig erhalten,<br />

wenn man es Wachstum und Veränderung aussetzt,<br />

den Grundlagen des Lebens. Oder wie der Schriftsteller<br />

Giuseppe Tomasi di Lampedusa es ausdrückte: „Wenn wir<br />

wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen,<br />

dass sich alles verändert.“<br />

Adele von Bünau<br />

2/2019 durchblick 29

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