Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Omas gegen rechts<br />
Plattform für zivilgesellschaftlichen Protest<br />
Zappe am Fernseher.<br />
Finde keine Sendung,<br />
die ich mir ansehen möchte.<br />
Ausmachen?<br />
Noch NDR.<br />
Zwei ältere Damen<br />
im Interview.<br />
Einblendung, Bilder von<br />
Demonstranten.<br />
Manche mit Plakaten<br />
„Omas gegen rechts“.<br />
Was ist das?<br />
Fühle mich angesprochen.<br />
Finde es gut.<br />
Nur zwei Minuten und<br />
die Sendung ist zu Ende.<br />
Schade.<br />
Jetzt möchte ich aber wirklich mehr wissen über die<br />
rebellierenden Omas. Ich lese mich durch die vielen<br />
angebotenen Beiträge auf Google. Nun weiß ich, dass<br />
2017 in Österreich Frauen über 60 diese Bewegung gegründet<br />
haben. Sie gingen gegen die Regierungsbeteiligung der<br />
FPÖ auf die Straße. Ihr Erkennungszeichen war ein Button,<br />
selbst gehäkelte Mützen und natürlich entsprechende<br />
Schilder. Eine auch äußerlich auffällige Protestbewegung<br />
der „Alten“ für die „Jungen“. Aufrütteln, auf Missstände<br />
aufmerksam machen, war und ist ihr Motto.<br />
In Deutschland gibt es bereits 47 Gruppen mit gleicher<br />
Zielsetzung. Meine Suche, in Siegen eine entsprechende<br />
Gruppe zu finden, war leider vergeblich. Schade. Ich<br />
würde mich gerne dem Protest anschließen. Es erschreckt<br />
mich, dass rechtes Gedankengut und Aufrufe zu Gewalt<br />
scheinbar wieder gesellschaftsfähig werden. Als junger<br />
Mensch habe ich oft mit meiner Mutter über den Krieg<br />
und ihr Leben in Deutschland während dieser Zeit gesprochen.<br />
Eine Zeit, die von Angst, Hunger und Vorsicht<br />
vor den „Braunen“ geprägt war. „Ich<br />
wünsche dir, dass Du so etwas niemals<br />
erleben musst“, sagte sie oft und blickte<br />
dann nachdenklich vor sich hin. Nein,<br />
das möchte ich nicht erleben und meine<br />
Kinder und Enkelkinder würde ich<br />
gern davor beschützen.<br />
Ich lebe gern hier und bin dankbar,<br />
dass Deutschland mein Heimatland ist.<br />
Und deshalb ist es mir wichtig, dass es<br />
auch für die nachfolgenden Generationen<br />
das bleibt, was es heute ist – ein freies<br />
demokratisches EU-Land, in dem die Mehrheit<br />
Foto freigegeben durch: Sabine Mairiedl<br />
Gesellschaft<br />
Omas gegen rechts in München.<br />
der Menschen dem Nationalismus, der uns Jahrhunderte<br />
lang immer wieder in Kriege getrieben hat, widerstehen. Wir<br />
leben in Westeuropa seit 74 Jahren im Frieden, dass das so<br />
bleibt, dafür würde ich gerne demonstrieren, aufstehen und<br />
auf die Straße gehen, gemäß den Leitsprüchen „Nicht meckern,<br />
sondern machen!“ und „Alt sein, heißt nicht stumm<br />
sein!“. Ich scheue mich nicht, bei diesen Aktionen Verspottung<br />
und Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Das macht nichts,<br />
es ist den Einsatz gegen den zunehmenden Populismus wert.<br />
Es erschreckt mich, wie heute wieder mit Worten gezündelt<br />
wird, wie Anschläge gegen Menschen verübt werden, die hier<br />
Schutz suchen. Ich will, dass in meiner Heimat nie wieder<br />
faschistisches Gedankengut salonfähig wird, welches wir, so<br />
dachte ich lange Zeit, überwunden hätten. Ich habe großen<br />
Respekt vor jedem, der seine Stimme erhebt und mit seinem<br />
Einsatz versucht, unsere Welt lebenswerter zu machen.<br />
Bei den Omas gegen Rechts müssen in meiner Vorstellung<br />
nicht nur Omas sein. Ich würde mir wünschen, dass<br />
sich auch Opas, Nicht-Großeltern, Eltern und<br />
vielleicht auch Kinder engagieren könnten,<br />
sozusagen nach einem Motto „Menschen<br />
gegen Rechts“. Gern wäre ich<br />
dabei, aber Gießen, Köln oder Dortmund<br />
sind mir zu weit für Gruppentreffen.<br />
Vielleicht kann dieser Artikel<br />
ja der Auslöser für die Neugründung<br />
einer „Rebellionsgruppe“ in<br />
Siegen sein, ein Zusammenschluss<br />
von Omas und Opas gegen Menschenverachtung<br />
und gegen Extremismus.<br />
Ich würde mich freuen. <br />
db<br />
Lebenslang Lernen<br />
Viele ältere Menschen werden einsam, sie verlieren die<br />
Zuversicht und fürchten, ihren bisherigen Platz in der<br />
Gesellschaft, ihre Unabhängigkeit nicht behalten zu<br />
können. Bis weit in die Mittelschicht hinein ist Verunsicherung<br />
um die individuelle Zukunft verbreitet.<br />
„Helfen und sich helfen lassen“, so lautete die Empfehlung<br />
von Franz Müntefering (1) , verbunden mit der Forderung „Wir<br />
müssen aufeinander achten!“. Damit skizzierte der ehemalige<br />
Vizekanzler die wünschenswerte Grundhaltung älterer Menschen<br />
(2) . Und weil der Staat weder Gemeinschaftssinn noch<br />
Nachbarschaftshilfe oder Nächstenliebe gesetzlich vorschreiben<br />
könne, sollten ältere Menschen bereit sein sich zu engagieren<br />
und das Gemeinwesen mitgestalten. Ihr Anteil an der<br />
Gesamtbevölkerung sei hoch wie nie zuvor, die Lebenserwartung<br />
steige noch und im Übrigen sei ratsam, das Alter nach<br />
der Formel der drei „L“ zu gestalten (Laufen, Lernen, Lachen).<br />
Der 79-jährige Müntefering hat recht, doch das Sprechen<br />
von dem „Alter“ ist ungenau. Denn diese Lebensphase kann<br />
mehrere Abschnitte umfassen; sie gehen fließend ineinander<br />
über, sind mit jeweils sehr unterschiedlichen Herausforderungen<br />
und entsprechenden Entwicklungsschritten verbunden:<br />
Nach Beendigung der aktiven Berufs- und Familienarbeit<br />
beginnt die dritte Lebensphase. Die körperliche, geistige<br />
und psychische Leistungsfähigkeit des alternden Menschen<br />
ist kaum eingeschränkt. Er steht vor einer Neuordnung seines<br />
Lebens, möchte weiter am Leben der Gesellschaft teilnehmen,<br />
Neues lernen und das Gelernte umsetzen.<br />
Aber die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements<br />
setzt intensive Bildungsarbeit voraus, denn bevor jemand<br />
sich für andere einsetzt, muss er sich mit der eigenen<br />
Lebenssituation auseinandersetzen, muss die Lebensumstände<br />
anderer kennen lernen und einschätzen können.<br />
Der Übergang zum vierten Lebensalter zeigt Bildungsbedürfnisse,<br />
die eher nach innen gerichtet sind; es wird z.B.<br />
die Beantwortung von Fragen gesucht, die vielleicht die<br />
Philosophie oder Theologie geben kann.<br />
Der Kommentar von Erich Kerkhoff<br />
Hier sind Angebote<br />
erforderlich, die<br />
nicht nur Wissen<br />
vermitteln, sondern<br />
Erkennen und Einsehen<br />
ermöglichen. Es<br />
geht buchstäblich um<br />
Selbstbildung, um die<br />
Reifung des Selbst.<br />
Bildungsbedürfnisse<br />
im fünften Lebensalter<br />
haben eher mit dem Unbekannten<br />
zu tun, mit<br />
dem Ende des eigenen<br />
Lebens. Die damit verbundene<br />
Unsicherheit<br />
Erich Kerkhoff<br />
kann nicht mit einem weiteren Wissenserwerb beantwortet<br />
werden, sondern mit der Erarbeitung einer Haltung, die als<br />
Weisheit, als vollkommene Lebensklugheit zu verstehen ist.<br />
Das heißt auch, dass innere Leere im hohen Lebensalter<br />
nicht unbedingt durch die bis dahin verdrängte Beschäftigung<br />
mit den letzten Dingen ausgeglichen werden kann.<br />
Dies gibt den Lebensphasen der Älteren, Alten und Hochbetagten<br />
ein je eigenes Gewicht, wir müssen die dann<br />
auftretenden Fragen hören und bearbeiten. Das heißt, Bildung<br />
als lebenslange Chance und Aufgabe wahrnehmen (3) .<br />
Über allem – und sicher auch von Franz Müntefering so gemeint<br />
– muss neben den von ihm empfohlenen drei „L“ ein<br />
weiteres stehen: „Die Vergreisung der Gesellschaft, die Langlebigkeit<br />
der Menschen fordert die Liebe heraus, eine neue<br />
Kultur des Humanen und der gegenseitigen Zuwendung“ (4) .<br />
Foto: Rita Petri<br />
Quellen: (1) Franz Müntefering ist seit 2016 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
der Senioren-Organisationen (BAGSO), vertritt über ihre 119 Mitgliedsorganisationen<br />
und damit viele Millionen ältere Menschen in Deutschland. Die BAGSO wirbt für ein<br />
möglichst gesundes, aktives und engagiertes Älterwerden. (2) Am 12. März im Hilchenbacher<br />
Gebrüder-Busch-Theater. (3) Bildung verstanden als Befähigung, vorhandene Kenntnisse und<br />
Fähigkeiten zu erweitern und zu vertiefen, um absehbaren Anforderungen gerecht werden zu<br />
können. (4) Leopold Rosenmayr, (1925 -3016) österr. Sozialforscher.<br />
60 durchblick 2/2019 2/2019 durchblick 61