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Der Alzheimer und sein Lappen<br />
Gesellschaft<br />
Natürlich sind wir gute Autofahrer, wir fahren sicher,<br />
erkennen gefährliche Situationen früh genug,<br />
passen selbstverständlich die Fahrgeschwindigkeit<br />
der Verkehrssituation an, können die Abstände zum nächsten<br />
Verkehrsteilnehmer genau abschätzen und reagieren in<br />
schwierigen Situationen schnell, sicher und mit Übersicht.<br />
So beurteilt natürlich auch der Demenzkranke seine Fähigkeiten<br />
als Autofahrer und Verkehrsteilnehmer. Das Auto ist<br />
ein wichtiges Glied in unserem sozialen Gefüge, und wer<br />
will schon auf sein geliebtes Auto verzichten? Wann soll<br />
man freiwillig seinen Führerschein der zuständigen Polizeibehörde<br />
im Alter, wenn man dann schon seine Defizite bemerkt,<br />
abgeben? Dazu gehört schon eine ordentliche Portion<br />
von Charakterstärke. Logische, verstandesmäßige Argumente<br />
sind hier sinnlos, niemand wird einsichtig und verzichtet<br />
auf sein Auto und seinen Führerschein. Freunde haben nichts<br />
zu sagen, der Hausarzt hält sowieso zur Ehefrau des Klienten<br />
und die Kinder sind auch nur scharf auf sein Auto. Ist alles<br />
richtig. Aber wie soll man seinem Ehemann beibringen, seinen<br />
Führerschein, bevor etwas Schlimmes passiert, freiwillig<br />
den zuständigen Behörden abzugeben? Im richtigen Leben<br />
ist eben vieles sehr kompliziert.<br />
Das alles sind Tatsachen, die die komplizierter werdende<br />
Situation im Straßenverkehr kennzeichnen. Auch viele andere<br />
Menschen, nicht nur Alzheimerkranke, sind hier oft überfordert.<br />
Es sollen nur einige Probleme aufgezeichnet werden, die,<br />
zugegeben, nicht nur Alzheimerkranke betreffen. Wie lange<br />
können wir, da wir doch alle gute, erfahrene Autofahrer<br />
sind, unseren Führerschein behalten, wann sollen wir den<br />
„Lappen“ freiwillig abgeben?<br />
Beispielhaft, auch etwas zur Aufmunterung und zum<br />
Schmunzeln, eine Geschichte aus dem wahren Leben. Altenburg<br />
ist eine schöne Stadt in Thüringen,<br />
verträumt, mit teilweise noch sehr imposanter<br />
Bausubstanz aus früheren Jahren. Aus dieser<br />
Gegend stammt mein Vater, hier leben noch<br />
Verwandte. Also: mein Onkel, ein wirklich guter<br />
Autofahrer mit viel Erfahrung von mehreren<br />
100 000 gefahrenen Kilometern, litt leider an einer<br />
Demenz. Er besaß noch seinen Führerschein,<br />
fuhr aber eigentlich nur noch samstags eine kurze<br />
Strecke auf den Markt zum Brötchenholen.<br />
Hierbei schaffte er es aber einmal tatsächlich, an<br />
drei hintereinander am Straßenrand geparkten<br />
PKWs, klack, klack, klack, die Seitenspiegel<br />
abzufahren ohne es selber zu bemerken. Der<br />
Führerschein war hiermit also weg! Die kommenden<br />
Wochen waren schwierig, aber irgendwie<br />
kam man dann doch ohne Führerschein und<br />
Auto zurecht. Aber: die Geschichte ist noch nicht<br />
zu Ende. Und das Ende war wirklich glücklich.<br />
Eines Tages kamen tatsächlich zwei Polizisten, strahlend,<br />
als würden sie gerade einen Orden verleihen: Wir<br />
wollen Ihnen gratulieren und Sie beglückwünschen. Die<br />
Polizeidirektion in der Landeszentrale hat entschieden,<br />
Ihnen Ihren Führerschein zurückzugeben. Glückwunsch!<br />
Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Man muss nicht<br />
eben auch alles verstehen. Das Geschenk wurde natürlich<br />
abgelehnt. Man sieht, wie wertvoll schon mal ein solcher<br />
Lappen sein kann und wie gewissenhaft doch manche Behörden<br />
arbeiten. Immer für den Bürger da sein!<br />
Damit ist aber das Problem, wann soll man im Alter den<br />
Führerschein freiwillig den Behörden zurückgeben, nicht gelöst.<br />
Der Staat kann nicht eine pauschale Verordnung erlassen,<br />
obwohl der Staat ja offiziell die Fahrerlaubnis nach bestandener<br />
Prüfung ausgestellt hat. Das eigene Gewissen ist in<br />
der Demenz praktisch ausgeschaltet, also muss die Familie<br />
das Problem selbst lösen. Aus Verantwortungsgefühl heraus<br />
und Sorge um den Großvater sollte es die Familie schaffen.<br />
Wird also wieder ein öffentliches Problem von den Behörden<br />
auf die Allgemeinheit abgewälzt? Aber wie soll es sonst gehen?<br />
Wann gebe ich meinen Führerschein ab?<br />
Zum Schluss noch einige mildernde Sätze, auch wenn das<br />
Thema bis ins Mark geht. Der Ehemann und Vater hat früher<br />
seine Familie sicher durch ganz Europa gefahren. Dennoch,<br />
jetzt muss die Familie das Problem lösen, sie wird in diesem<br />
Thema von der Politik ganz allein gelassen. Wie will man<br />
einem Dementen das große Einmaleins erklären? Und alle<br />
stehen da, ratlos, hilflos und hoffnungslos. Die Ehefrau, die<br />
sich die ganzen Jahre über absolut auf ihn verlassen konnte,<br />
die Kinder, denen sein Rat immer geholfen hatte, die Enkel,<br />
denen er oft genug einen Fünfer heimlich zugesteckt hatte.<br />
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