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Berliner Zeitung 08.06.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 131 · 8 ./9./10. Juni 2019<br />

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Berlin bewegt sich<br />

Ente mit Bremsklotz<br />

Rückkehr zu den Rollschuhen nach 40 Jahren: Beim Schnuppertraining findet sich die Autorin unter Kindern und Jugendlichen wieder<br />

VonSusanne Rost<br />

Der Stopper am Vorderfuß ist zum Bremsen da, natürlich. Aber das Bremsen will gelernt sein, zunächst holpertesziemlich. THOMAS UHLEMANN (2)<br />

Das Mädchen im weißen<br />

Kleid kommt nicht weit.<br />

Es rollt ein paar Meter<br />

ungelenk durch die<br />

Halle, dann stürzt es. Immer wieder<br />

fällt es auf das Parkett. Ohne<br />

Schmerzenslaut rappelt sich die<br />

Kleine hoch auf die weißen Rollschuhe,<br />

streicht ihr langes Haar zurück<br />

und versucht es erneut. „Sie ist<br />

noch ganz neu hier“, sagt Ingrid<br />

Jung-Fringel. Die Jugendwartin des<br />

Vereins Neuköllner Sportfreunde<br />

1907 (NSF) ist meinem Blick gefolgt.<br />

So viel Gewicht an den Füßen<br />

Auch ich bin ganz neu hier in der<br />

Turnhalle in der Oderstraße. Länger<br />

als ein paar Minuten stand ich zuletzt<br />

Ende der 70er-Jahre auf Rollschuhen.<br />

Anders als die Kleine im<br />

Kleid habe ich heute mit meinen fast<br />

50 Jahren durchaus Angst davor, auf<br />

den dicken Rollen die Kontrolle zu<br />

verlieren. Das kommt nicht von ungefähr:<br />

Vor ein paar Jahren war ich<br />

bei einem Schnuppertraining für Erwachsene<br />

beim Weddinger Eislaufund<br />

Rollsportclub (WERC). Eine<br />

Frau brach sich dortein Handgelenk<br />

und wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus<br />

gebracht. Das Schnuppertraining<br />

war vorbei. Und doch: Ich<br />

will es noch mal versuchen.<br />

WERCund NSF sind zwei vonvier<br />

Vereinen in Berlin, die Rollkunstlauf<br />

anbieten –zumeist für Kinder und<br />

Jugendliche; Trainingszeiten für erwachsene<br />

Anfänger sind eher selten.<br />

Aber vielleicht bestimmt die Nachfrage<br />

das Angebot? Jedenfalls hat<br />

NSF-Jugendwartin Ingrid Jung-Fringel<br />

keinen Moment gezögert, mir ein<br />

Schnuppertraining zu ermöglichen.<br />

Sechs Stunden nach unserem Telefonat<br />

stehe ich in der Turnhalle im<br />

Werner-Seelenbinder-Sportpark. Er<br />

liegt gleich neben dem Eisstadion, in<br />

dem ich imWinter regelmäßig meine<br />

Runden drehe. Beim Anziehen fühlen<br />

sich die geliehenen Rollschuhe<br />

noch genauso an wie meine Schlittschuhe.Was<br />

kein Wunder ist, da der<br />

Schuh selbst vergleichbar ist.<br />

Aber schon der erste Schritt auf<br />

den acht dicken Rollen kommt mir<br />

völlig ungewohnt vor. So viel Gewicht<br />

an den Füßen! Und die Geschwindigkeit,<br />

die die Schuhe mit<br />

mir auf dem Parkett entwickeln! Wie<br />

bremst man hier? Vorne ist zwar ein<br />

dicker Stopper. Aber ich traue mich<br />

nicht, mein Gewicht darauf zu verlagern,<br />

weil ich mich dann vornüber<br />

kippen sehe. Also lasse ich mich lieber<br />

ausrollen.<br />

DasBremsen ist das erste,das mir<br />

Ingrid Jung-Fringel zeigt. Normalerweise<br />

kümmertsie sich montags um<br />

diese Zeit zusammen mit Tonvan de<br />

Weijer, der als junger Mann einmal<br />

WM-Fünfter im Rollkunstlauf war,<br />

um Kinder und Jugendliche. Drei<br />

Dutzend Mädchen, aber auch ein<br />

paar Jungs laufen sich gerade in einer<br />

großen Acht warm.<br />

Manbremst am besten mit einem<br />

Fuß, erklärt mir Ingrid Jung-Fringel,<br />

das Bein wirdnach hinten gestreckt,<br />

sodass der Stopper über den Boden<br />

schleift, wodurch sich die Geschwindigkeit<br />

reduziert. Im Stand richtet<br />

die Trainerin mein Bein im korrekten<br />

Winkel aus. Ich versuche, mir die<br />

Haltung einzuprägen. Dann nehme<br />

ich Fahrtauf, strecke das rechte Bein<br />

nach hinten, setze den Stopper auf.<br />

Er hoppelt über das Parkett, aber ich<br />

werde langsamer und komme bald<br />

zum Stehen. Nach ein paar Versuchen<br />

gelingt das Stoppen geschmeidiger.<br />

Vielleicht ist der Winkel nun<br />

besser, jedenfalls gleitet das Bremsbein<br />

sanfter über den Boden. Nun<br />

wagt die Trainerin mit mir die ersten<br />

richtigen Schritte: „Stell’ dir vor, du<br />

ZUSCHAUEN, WETTKÄMPFEN, AUSPROBIEREN<br />

<strong>Berliner</strong> Meisterschaften: Wererst einmal zusehen möchte, dem bietet sich an diesem Wochenende<br />

eine erstklassigeGelegenheit. In der RollsportanlageimPoststadion (Lehrter Str.<br />

59, Tiergarten) ermitteln die vier Vereine ihre Besten. 140 Teilnehmer gehen an den Start, die<br />

Wettbewerbe beginnen am Samstag um 10 Uhr,amSonntag um 9Uhr.Eintritt ist frei.<br />

Neuköllner Sportfreunde: Vorrangig Kinder und Jugendliche trainieren beispielsweise in der<br />

Bezirkssporthalle in der Oderstraße. Mehr Infos: www.nsf-rollkunstlaufen.de<br />

Olympischer Sportclub Berlin: Die 50 Mitglieder,zumeist Kinder und Jugendliche, trainieren<br />

in einer Halle und AußenlageinSchöneberg.Mehr Infos: www.osc-rollkunstlaufen.de<br />

Rollschuhparadies Berlin: Laut der nicht ganz aktuellen Internetseite bietet der Verein Probestunden<br />

am jeweils zweiten Dienstag eines Monats. Mehr Infos: www.rollschuhparadies.de<br />

Weddinger Eislauf- und Rollsportclub: Vier- bis siebenjährigeKinder sind bei einem Probetraining<br />

willkommen. Der Verein bietet auch eine Laufzeit für erfahrene Erwachsene. Mehr Infos:<br />

www.werc-berlin.de<br />

Trainerin Ingrid Jung-Fringel (rechts) erklärtder Autorin das Übersetzen.<br />

bist eine Ente“, ermuntertmich Ingrid<br />

–unbemerkt sind wir beim Du<br />

angekommen. Also watschele ich<br />

los: Das Gewicht ganz bewusst erst<br />

auf das eine Bein, dann aufs andere.<br />

Es klappt ganz gut, die Eislaufvorkenntnisse<br />

sind von Nutzen, relativ<br />

rasch lässt die Trainerin meine Hand<br />

los.<br />

In der Kurve merke ich: Der eine<br />

Rollschuh weicht nach rechts aus,<br />

obwohl ich nach links will, ich arbeite<br />

dagegen an. Die Trainerin hat<br />

eine Erklärung parat: Die Leihschuhe<br />

passen sich mit der Zeit an<br />

ihren Hauptnutzer an; dass „meine“<br />

Schuhe schon seit längerer Zeit in<br />

Gebrauch sind, davon zeugen<br />

Schrammen. Schließlich ist ein solches<br />

Paar auch teuer:330 Euro muss<br />

man dafür ausgeben, erzählt die<br />

Trainerin, viel Geld für den Verein.<br />

„Ein Sponsor wäretoll“, sagt sie.<br />

Im nächsten Moment rollt ein<br />

Mädchen an ihr vorbei. „Bauch fest<br />

und lächeln“, ruft ihr die Trainerin<br />

zu. Die Kinder sind inzwischen bei<br />

schwierigeren Figuren angekommen.<br />

Eines der Mädchen streckt sogar<br />

ihr Bein über dem Kopf in die<br />

Höhe und fasst den Stopper mit den<br />

Händen.<br />

Auf der Tribüne sitzen einige<br />

Mütter und Väter, die das Training<br />

beobachten. Darüber sieht man verglaste<br />

Trainingsräume im Obergeschoss.<br />

Links sind Boxer zugange,<br />

ihre Springseile wirbeln durch die<br />

Luft. Nebenan verbiegen sich Tänzerinnen.<br />

Ballett gehörtbeim NSF zum<br />

Rollkunstlauf, immer mittwochs<br />

geht es an die Stange, werden Haltung<br />

und Grazie geschult.<br />

Elegant sind meine Bewegungen<br />

auf den Rollschuhen nur bedingt. Als<br />

der Fotograf ein Foto im Stand machen<br />

will, zuppelt die Trainerin minutenlang<br />

an mir herum –und am<br />

Ende, als auch der letzte Finger in<br />

der richtigen Position ist, fühle ich<br />

mich doch tatsächlich ein bisschen<br />

wie ein Ballerina, allerdings eine<br />

konstruierte auf dicken Rollen.<br />

Doch genug gestanden: Ich will<br />

noch das Übersetzen probieren, also<br />

jene Kurventechnik, bei der die<br />

Beine überkreuzt werden. Ingrid<br />

nimmt mich an die Hand, führtmich<br />

zu einer blauen Linie und stellt sich<br />

neben mich. AlsVorübung überkreuzenwir<br />

die Füße aus dem Stand. Der<br />

eine Fußkommt vornerüber,der anderezieht<br />

nach. Hand in Hand arbeiten<br />

wir uns die blaue Linie entlang,<br />

erst in die eine, dann in die andere<br />

Richtung. Nungeht es auf einen imaginären<br />

Kreis, zuerst vorwärts, dann<br />

auch rückwärts.Ingrid nimmt meine<br />

Hand, sie empfiehlt mir, die Hüfte<br />

zum Kreismittelpunkt auszurichten.<br />

Dann geht es ganz langsam los.<br />

Lächeln läge so nahe<br />

„Arme etwas mehr strecken, die<br />

Schulter tief“, korrigiert sie. Als<br />

meine Schritte sicherer werden, lässt<br />

die Trainerin meine Hand los. „Lächeln!“,<br />

ruft sie mir hinterher. Und<br />

ich wunderemich, dass ich das nicht<br />

von selbst tue, soviel Spaß macht<br />

mir das Rollschuhlaufen.<br />

Vermutlich ist es gut, dass die<br />

90 Minuten der Schnupperstunde<br />

kurz darauf vorbei sind. Als ich die<br />

Schuhe ausziehe,merke ich, dass ich<br />

mich doch angestrengt habe. Auch<br />

das Mädchen im weißen Kleid hat<br />

bis zum Schluss durchgehalten. Gerade<br />

weint es auf dem Arm seiner<br />

Mutter. Obesdaran liegt, dass die<br />

Laufzeit um ist? Oder an der Blase,<br />

die sich die Kleine gelaufen hat? Ihre<br />

kopftuchtragende Mutter fragt jedenfalls,obesetwas<br />

größereSchuhe<br />

für das Mädchen gibt. Undobesam<br />

nächsten Tagwiederkommen darf.<br />

Vonder Rolle<br />

Tempo ist alles: Beim Rollerderby<br />

treten Teams an. MELIKA GEWEHR<br />

Mit Karacho<br />

Auf Rollschuhen kann man nicht<br />

nur Kringel drehen, das zeigt ein<br />

Blick auf die Internetseite des Inlineund<br />

Rollsportverbandes Berlin. Acht<br />

Disziplinen sind dort aufgelistet, bei<br />

zweien geht es um Geschwindigkeit:<br />

Beim Speedskaten steckt das<br />

schon im Namen, auf Distanzen zwischen<br />

500 Meternund 20 Kilometern<br />

messen sich die Athleten, der Sportclub<br />

Charlottenburgbietet Trainings<br />

für Kinder und Erwachsene.<br />

Rollerderbyist dagegen ein vorallem<br />

von Frauen ausgeübter Teamsport,<br />

zwei Teams treten auf einer<br />

ovalen Bahn gegeneinander an. Die<br />

Punktemacherin muss versuchen,<br />

möglichst viele ihre Gegnerinnen zu<br />

überrunden. In Berlin gibt es zwei<br />

Teams: die Frauen des „Starlight Excess“<br />

vomTSC und die Bear City Roller<br />

vomSportclub Lurich 02. (ost.)<br />

Geht auch ohne Eis: Rollhockey<br />

wird mit einem Ball gespielt. IMAGO<br />

Mit Ball<br />

Einem Ball hinterherzujagen, um<br />

ihn mit einem Schläger in ein Tor<br />

oder mit einem Wurf in einen Korb<br />

zu befördern –auch das kann man<br />

auf Rollschuhen. Die „Berlin Bravehaerts“<br />

und die „Berlin Buffalos“<br />

spielen beispielsweise Skater-Hockey,<br />

also Hockey auf Inlinern; die<br />

Rollhockey-Teams des OSC und des<br />

SCCsind dagegen auf konventionellen<br />

Rollschuhen unterwegs. Ein halbes<br />

Dutzend <strong>Berliner</strong> Vereine bietet<br />

diese dem Eishockey verwandten<br />

Sportarten an.<br />

Auch Basketball kann man auf<br />

Rollschuhen spielen, beim TSC Berlin<br />

gibt es ein Team, dem sich auch<br />

„Inline Skate Sisters“ vom Verein<br />

Vorspiel und die „Linoleum Riders“<br />

von TUangeschlossen haben. Trainiertwirdmittwochs<br />

in der Neuköllner<br />

Karl-Weise-Grundschule. (ost.)<br />

Gut aussehen: Die Roller-Disco<br />

beginnt mit einem Tanzkurs. IMAGO<br />

Mit Glitter<br />

Die Roller-Disco hat es Michel<br />

Schüler angetan. Seit mehr als<br />

zehn Jahren tourt erdurch die Stadt<br />

und durch die Welt, um das Tanzen<br />

auf Rollschuhen wieder populär zu<br />

machen. So bietet er Trainingsstunden<br />

in Neukölln (Silbersteinstr.46) an<br />

–montags um 20 Uhr für Anfänger,<br />

donnerstags um 19.30 Uhrfür Fortgeschrittene.Zudem<br />

gastiertermit seinen<br />

Leihrollschuhen beispielsweise<br />

im Neuköllner Huxleys und im Kreuzberger<br />

Statthaus Böcklerpark.<br />

Im Musikclub SO36 gibt es jeden<br />

dritten Montag im Monat –also am<br />

17. Juni –eine Roller-Skate-Disco.Ab<br />

17 Uhr für Kinder, ab20Uhr für Erwachsene.<br />

Leih-Rollschuhe kosten<br />

zwei Euro pro halber Stunde, der<br />

Eintritt beträgt für Erwachsene fünf<br />

Euro,ein kleiner Tanzkurs zu Beginn<br />

des Abends istinklusive. (ost.)<br />

Mehr Infos: www.irvb.org,www.scc-skating.de/<br />

http://bearcityrollerderby.com<br />

MehrInfos im Internet: rollhockey.osc-berlin.de,<br />

www.bishl.de; www.tsc-berlin.de/inline-skating<br />

Mehr InfosimInternet: www.so36.com,<br />

www.facebook.com/Rollers.Inc

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