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Berliner Zeitung 08.06.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 131 · 8 ./9./10. Juni 2019 – S eite 26 *<br />

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Sport<br />

Auf die<br />

leichte Art<br />

Die deutsche Ausnahmespielerin Dzsenifer Marozsan<br />

will in ihrer Wahlheimat Frankreich endlich auch bei<br />

einer WM ihre Extraklasse unter Beweis stellen<br />

VonFrank Hellmann, Rennes<br />

Die ehemalige Bundestrainerin Sylvia Neid ist überzeugt, dass sie das Zeug zur „totalen Super-Granate“ hat: Dzsenifer Marozsan.<br />

GETTY IMAGES/HITIJ<br />

Kürzlich, auf dem Sportplatz<br />

von US Pont-Péan,<br />

tief in der bretonischen<br />

Provinz: Frederic Boué<br />

hatte für seinen Sohn Sacha einen<br />

Platz in der ersten Reihe ergattert,<br />

um beste Sicht zu haben. Wann<br />

kommt schon mal ein zweifacher<br />

Weltmeister aus dem Frauenfußball<br />

vorbei? Gut, Stade Rennes hat unlängst<br />

das französische Männer-Pokalfinale<br />

gegen ParisSt. Germain gewonnen,<br />

aber die meisten hier aus<br />

dem Großraum der Hauptstadt der<br />

Bretagne gehen nicht regelmäßig ins<br />

Stadion des Erstligisten. Stattdessen<br />

haben sie sich vorgenommen der<br />

Frauen-WM 2019 beizuwohnen,<br />

weil ausgerechnet ihre Sportanlage<br />

der 4400-Einwohner-Ortschaft aus<br />

dem Department Ille-et-Vilaine als<br />

offizielle Trainingsstätte dient. Die<br />

erste öffentliche Einheit absolvierten<br />

die deutschen Fußballerinnen.<br />

Ziemlich früh wollte der Filius wissen,<br />

wer denn diese Spielerin mit<br />

dem harten Schuss sei. Die sopräzise<br />

die Bälle nach rechts und links<br />

verteilt. Überhaupt: Spielt diese Frau<br />

nicht wie ein Mann?<br />

Was der Familie Boué rasch an<br />

Dzsenifer Marozsan auffiel, hat der<br />

Präsident von Olympique Lyon,<br />

Jean-Michel Aulas, kürzlich so formuliert:„Sie<br />

ist vermutlich diejenige,<br />

die bezüglich der Technik die größtmögliche<br />

Annäherung zu den besten<br />

Männern der Welt geschafft hat.“<br />

Underist beileibe nicht der Einzige,<br />

der so denkt, wenn er Deutschlands<br />

bester Spielerin zusieht. Das Fachmagazin<br />

Kicker hat die 90-fache Nationalspielerin<br />

die „Spiel-Figur“ genannt<br />

– das trifft es ziemlich gut.<br />

Kaum jemand lässt im Frauenfußball<br />

das scheinbar Schwierige so<br />

leicht aussehen wie die Tochter des<br />

viermaligen ungarischen Nationalspielers<br />

Janos Marozsan, der einst<br />

für den 1. FC Saarbrücken spielte.<br />

Seine Tochter soll dafür sorgen, dass<br />

das Auftaktspiel der DFB-Frauen gegen<br />

China am Sonnabend (15<br />

Uhr/ARD) ein Erfolg wird.<br />

Wenn das Team die Aufgabe abarbeitet,<br />

wie die Taktgeberin zuvor die<br />

Presserunde, dann wäre schon viel<br />

gewonnen. Die 27-Jährige antwortete<br />

mit Ruhe und Geduld. Undneuerdings<br />

auch mit Mut. Auf die Frage,<br />

ob denn ihr Verein Lyon oder das<br />

deutsche Team besser sei, scherzte<br />

sie: „Wenn ich für Deutschland<br />

spiele,gewinnen wir.“<br />

Die Spielführerbinde als Bürde<br />

DieZeiten liegen nicht lange zurück,<br />

da trat sie öffentlich deutlich zurückhaltender<br />

auf. Deswegen war es<br />

auch keine gute Idee, dass sie unter<br />

Steffi Jones die Kapitänsbinde tragen<br />

musste. Einerseits war die in Budapest<br />

geborene Dirigentin darüber<br />

unendlich stolz, andererseits belastete<br />

die sensible Persönlichkeit diese<br />

Bürde über Gebühr.<br />

Es gehört zuden großen Stärken<br />

von Martina Voss-Tecklenburg, dass<br />

die Bundestrainerin in ihrer Nummer<br />

zehn erst einmal nur den fußballerischen<br />

Fixpunkt sieht.„JedenTagbiete<br />

ich zum lieben Gott: Bitte lass die gute<br />

Form von Dzsenifer noch ein paar<br />

Wochen anhalten“, sagte sie vor der<br />

Abreise nach Rennes und drückte<br />

ihre Überzeugung aus, dass eine voll<br />

austrainierte „Maro“, eine sehr, sehr<br />

gute WM spielt“. Nichts sehnlicher<br />

Yao<br />

CHINA<br />

DEUTSCHLAND<br />

Hendrich<br />

Huth<br />

Leupolz<br />

Shanshan Wang<br />

Ying Wang<br />

Doorsoun<br />

Marozsan<br />

Tan<br />

Wu<br />

wünscht sich die Spielmacherin ja<br />

selbst, nachdem sie 2011 wegen eines<br />

Innenbandrisses die Heim-WM absagen<br />

musste und 2015 beim Training<br />

auf kanadischem Kunstrasen so böse<br />

umknickte, dass sie nie richtig ins<br />

Turnier fand. Der Gewinn der U20-<br />

WM in 2010 ist insofernkein richtiger<br />

Trost,„weil das mit dem A-Team ja etwas<br />

anderes ist“.<br />

Schult<br />

Popp<br />

Peng<br />

Gu<br />

Hegering<br />

Däbritz<br />

Yang<br />

Lin<br />

Gwinn<br />

Simon<br />

Shuang Wang<br />

Liu<br />

Voraussichtliche Aufstellungt; Schiedsrichterin: Beaudoin (Kanada)<br />

BLZ/TIEDGE<br />

Das anstehende Turnier sei „etwas<br />

ganz, ganz Besonderes, weil jeder<br />

weiß, dass Frankreich für mich<br />

nach drei Jahren ein Stück Heimat<br />

geworden ist“. Arbeitgeber, Umfeld<br />

und Lebensgefühl bilden in der<br />

Hauptstadt der Region Auvergne-<br />

Rhône-Alpes eine perfekte Symbiose,und<br />

folglich würde es die Taktgeberin<br />

„überragend“ finden, die<br />

letzte WM-Woche mit Halbfinals<br />

und Finale in Lyon zu bestreiten.<br />

Wiesehr speziell Klubbesitzer Aulas<br />

bei Olympique die Frauen unterstützt,<br />

war beim Empfang nach dem<br />

Champions-League-Triumph in ihrerHeimatstadt<br />

Budapest zu besichtigen,<br />

als sich tags darauf sogar die<br />

Profi-Männer zur Verbeugung versammelten.<br />

Marozsan sagte: „Ein<br />

unvergesslicher Moment.“ Ihre Elternsind<br />

danach zwar in Ungarngeblieben,<br />

wollen aber mit dem Bruder<br />

ab der K.-o.-Runde nach Frankreich<br />

kommen.<br />

Der Name Marozsan hat sich<br />

mittlerweile in ihrer Wahlheimat herumgesprochen<br />

–nach dem Training<br />

riefen viele Kinder nach der Titelsammlerin<br />

mit den tätowierten Armen.<br />

„Mein Bekanntheitsgrad ist<br />

enorm viel größer als in Deutschland“,<br />

erklärte die Nummer zehn,<br />

„das macht mich stolz.“ Die erneute<br />

Auszeichnung zur besten Spielerin<br />

der„D1 Féminine“ hat ihrePopularität<br />

weiter gesteigert.<br />

Warnung vorChina<br />

Eine Ehre, die sich vergangenen<br />

Sommer nicht ansatzweise abzeichnete,<br />

als sie zeitweise ums Überleben<br />

kämpfte. Eine beidseitige Lungenembolie<br />

durch die andauernde<br />

Einnahme der Antibabypille ließen<br />

vorübergehend den Leistungssport<br />

zur völligen Nebensache werden.<br />

Heutzutage trifft sie auf jeder Reise<br />

persönliche Vorsorge. „Ich trage<br />

Thrombosestrümpfe, manchmal<br />

auch eine spezielle Hose. Ich trinke<br />

sehr viel, und bei langen Flügen versuche<br />

ich auch, mich zu bewegen.“<br />

Marozsan weiß, dass sie für ihre<br />

Mannschaft die große Hoffnungsträgerin<br />

gibt, aber sie setzt sich mit ihrer<br />

Vorgeschichte nicht mehr selbst so<br />

immens unter Druck. „Ich versuche<br />

mein Bestes zu geben.“ Besonders<br />

gut gelungen ist ihr das beispielsweise<br />

im EM-Halbfinale 2013 gegen<br />

Schweden (1:0), als sie in Göteborg<br />

das Siegtor erzielte –ein Meilenstein<br />

auf dem Weg zum bislang letzten<br />

EM-Titel. Oder im Finale des Olympischen<br />

Fußballturniers 2016, als sie<br />

in Rio de Janeiro wieder gegen<br />

Schweden (2:1) als Torschützin brillierte.<br />

„In vier Jahren ist sie eine totale<br />

Super-Granate“, schwärmte damals<br />

Bundestrainerin Silvia Neid bei<br />

ihrem vergoldeten Abschied.<br />

Voss-Tecklenburg hat nicht viel<br />

weniger Wertschätzung für die Technikerin<br />

übrig. Dass sie ineinem offensiv<br />

ausgerichteten System möglichst<br />

viele Ballkontakte haben soll,<br />

„kommt mir zugute“, glaubt Marozsan.<br />

Auch zum ersten WM-Gegner<br />

hatte sie am Donnerstag noch etwas<br />

zu sagen, schließlich hatte sie voreiner<br />

Wocheimfranzösischen Fernsehen<br />

das Testspiel des WM-Gastgebers<br />

gegen China (2:1) angesehen.<br />

Die Chinesinnen seien „eine sehr<br />

starke kompakte Mannschaft, die<br />

richtig kicken kann“. Das Ensemble<br />

aus dem Reich der Mitte müssen<br />

man „auseinanderziehen“. Sie muss<br />

dafür die Bälle nur wieder so stilvoll<br />

verteilen wie auf dem Trainingsplatz<br />

vonPont-Péan.<br />

Frank Hellmann<br />

begeistertsich für<br />

Marozsans Schusstechnik.

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