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4** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 131 · 8 ./9./10. Juni 2019<br />
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Politik<br />
Komplizierte<br />
Gesetze statt<br />
Transparenz<br />
Ein Seehofer-Satz löst<br />
große Empörung aus<br />
SPD sollte Titel<br />
Volkspartei<br />
aufgeben<br />
Ostbeauftragter der Partei<br />
fordert radikalen Wechsel<br />
VonAndreas Niesmann<br />
Horst Seehofer hat es mal wieder<br />
geschafft: Der ganze Zorn der<br />
Netzgemeinde richtet sich gegen<br />
den Bundesinnenminister von der<br />
CSU. Der Grund dieses Mal: Ein 33-<br />
sekündiger Videoclip, veröffentlicht<br />
am Donnerstag auf dem Twitter-Account<br />
der ARD-Sendung „Bericht<br />
aus Berlin“. Seehofer redet in dem<br />
Video, das beim „Zweiten <strong>Berliner</strong><br />
Kongress für wehrhafte Demokratie“<br />
entstanden ist, über das sogenannte<br />
Migrationspaket. Dieses Gesetzespaket<br />
ist am Freitag vom Bundestag<br />
beschlossen worden. EinTeil des Pakets<br />
ist das „Datenaustauschgesetz“.<br />
Über dieses Gesetz sagt Seehofer,<br />
er habe es„ganz stillschweigend“ eingebracht,<br />
„weil es kompliziertist, das<br />
erregt nicht so“. Er habe in den letzten<br />
15 Monaten die Erfahrung gemacht,<br />
dass man Gesetze kompliziert machen<br />
müsse, „dann fällt es nicht so<br />
auf“. Seehofer sagt: „Wir machen<br />
nichts Illegales,wir machen Notwendiges.Aber<br />
auch Notwendiges wirdja<br />
oft unzulässig infrage gestellt.“ In<br />
welchem Gesamtzusammenhang<br />
Seehofer spricht, wird indem Video<br />
nicht klar.Auch lacht der CSU-Mann<br />
zwischendurch. Trotzdem fragt man<br />
sich: Formuliert der Innenminister<br />
seine Gesetze bewusst so kompliziert,<br />
dass sie niemand versteht?<br />
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer<br />
der SPD-Bundestagsfraktion,<br />
Carsten Schneider,griff Seehofer<br />
am Freitag im Bundestag frontal<br />
an. Die Äußerungen seien eine<br />
„Frechheit und Dreistigkeit“, hielt<br />
Schneider ihm vor. „Wir Sozialdemokraten<br />
haben uns verhöhnt gefühlt.“<br />
Bei dem Datenaustauschgesetz handele<br />
sich um ein regulär beratenes<br />
Gesetz, das gar nicht kompliziert sei,<br />
sagte Schneider. „Durch ihre Interviewäußerung<br />
haben sie Menschen<br />
verunsichertund Vertrauen zerstört“,<br />
so Schneider.<br />
Auch in den sozialen Medien<br />
schlug das Interview hohe Wellen.<br />
„Wer Demokratie so verachtet, sollte<br />
keine politische Verantwortung haben“,<br />
twitterte die Chefin der Grünen<br />
Jugend, Ricarda Lang. „Man hat<br />
den Eindruck, dass manche Minister<br />
mit ihren Videos die Wirkung von<br />
Rezo noch toppen wollen“, schrieb<br />
der frühere CDU-Generalsekretär<br />
Ruprecht Polenz. Auch YouTuber<br />
Rezo meldete sich. „Hat Seehofer da<br />
gerade gesagt, dass er und seine Homies<br />
Gesetzeabsichtlich komplizierter<br />
gestalten, weil deren Inhalt dann<br />
nicht so erregt und nicht so auffällt<br />
und ihre Gesetze ansonsten von der<br />
Bevölkerung unzulässig infrage gestellt<br />
werden?“, schrieb der YouTuber<br />
bei Twitter.<br />
Angesichts der großen Empörung<br />
bemühte sich Seehofer am Freitag<br />
um Schadenbegrenzung. Der Süddeutschen<br />
<strong>Zeitung</strong> sagte er, erhabe<br />
die Aussage „leicht ironisch“ formuliert.<br />
Das wichtige Datenaustauschgesetz,<br />
das „Missbrauch und Täuschung“<br />
verhindere, werde bislang<br />
in der Öffentlichkeit so gut wie gar<br />
nicht diskutiert. Dasempfinde er als<br />
„ziemlich schräg und unverhältnismäßig“<br />
und deshalb habe er seine<br />
Bemerkung gemacht.<br />
Macht Scherze, die nicht jeder versteht:<br />
Innenminister Horst Seehofer. DPA/KUMM<br />
372 mal Ja, 159 mal Nein, 111 Enthaltungen: Seehofers„Geordnete Rückkehr-Gesetz“ hat im Bundestag eine Mehrheit erhalten. DPA/CHRISTOPH SOEDER<br />
Lehnt sich Berlin gegen Seehofer auf?<br />
Der Bundestag hat das „Geordnete Rückkehr-Gesetz“ beschlossen. Doch es formiert sich Widerstand<br />
VonAnnika Leister<br />
Begleitet von einer hitzigen<br />
Debatte hat der Bundestag<br />
am Freitag sieben migrationspolitische<br />
Gesetze beschlossen,<br />
darunter das umstrittene<br />
„Geordnete Rückkehr-Gesetz“ von<br />
Innenminister Horst Seehofer<br />
(CSU). 372 von 652 Abgeordneten<br />
stimmten dafür – die gesamte<br />
Unions-Fraktion und die überwiegende<br />
Mehrheit der SPD-Fraktion<br />
sowie einige Liberale. 159 Abgeordnete<br />
stimmten mit Nein, 111 enthielten<br />
sich. Das „Geordnete Rückkehr-<br />
Gesetz“ sieht tiefgreifende Veränderungen<br />
im Asyl- und Aufenthaltsrecht<br />
vor, die Abschiebungen für den<br />
Staat leichter machen. „Menschen<br />
ohne Bleiberecht müssen unser<br />
Land verlassen“, sagte Horst Seehofer<br />
am Freitag.„Einer Pflicht zur Ausreise<br />
muss auch eine tatsächliche<br />
Ausreise folgen.“<br />
Ohne richterlichen Beschluss<br />
Für Berlin soll Seehofers Gesetz auch<br />
Rechtsklarheit im öffentlich geführten<br />
Streit zwischen Innensenator<br />
Andreas Geisel (SPD) und Sozialsenatorin<br />
Elke Breitenbach (Linke) in<br />
der Frage bringen, ob die Polizei bei<br />
Abschiebungen Flüchtlingsheime<br />
ohne richterlichen Beschluss betreten<br />
darf. Breitenbach lehnt das ab,<br />
Geisel befürwortet es. Seehofers Gesetz<br />
wirdder Polizei nun bundesweit<br />
erlauben, Wohnungen von Abschiebekandidaten<br />
ohne Beschluss<br />
zu betreten.<br />
Doch mit der Entscheidung im<br />
Bundestag ist das Rückkehr-Gesetz<br />
noch nicht in Kraft. Es muss noch<br />
durch den Bundesrat –und in mehreren<br />
Bundesländern wie in Berlin<br />
regt sich heftiger Widerstand. Denn<br />
für Grüne, Linke<br />
sowie Flüchtlings-<br />
und Menschenrechtsorganisationen<br />
ist<br />
Seehofers Gesetz<br />
ein absolutes<br />
No-Go. „Es kann<br />
nicht sein, dass<br />
die Grund- und<br />
Menschenrechte<br />
DPA/PUAL ZINKEN<br />
Andreas Geisel<br />
(SPD)<br />
hier verramscht<br />
werden, im Untergangsszenario der<br />
großen Koalition“, sagte der Linke-<br />
Bundestagsabgeordnete Jan Korte<br />
im Plenum. Das Deutsche Institut<br />
für Menschenrechte kritisierte, wie<br />
auch viele Abgeordnete,die Abhandlung<br />
des komplexen Gesetzespakets<br />
im Schnelldurchlauf: Eine „der<br />
Schwere der Grundrechtseingriffe<br />
angemessene parlamentarische Diskussion“<br />
sei so gar nicht möglich.<br />
Schon jetzt ist deswegen klar:<br />
Seehofers Gesetz wird im <strong>Berliner</strong><br />
Fall nicht für eine Einigung sorgen,<br />
sondern den Streit, den Breitenbach<br />
und Geisel gerade ausfechten, ausweiten<br />
und in Senat und Bundesrat<br />
tragen. Denn einige der von Seehofers<br />
Bundesgesetz angedachten Verschärfungen<br />
sind mit dem auf Willkommenskultur<br />
ausgerichteten Koalitionsvertrag<br />
des rot-rot-grünen<br />
Senats nicht vereinbar – wie zum<br />
Beispiel das Einführen einer Abschiebehaft.<br />
Sozialsenatorin Elke Breitenbach<br />
bleibt deswegen vorerst bei ihrer<br />
ElkeBreitenbach<br />
(Linke)<br />
BLZ/MARKUS WÄCHTER<br />
Meinung, dass<br />
das Betreten von<br />
Flüchtlingsheimen<br />
im Rahmen<br />
vonAbschiebungen<br />
nicht rechtens<br />
ist. „Das Gesetz<br />
muss jetzt<br />
erst mal verbindlich<br />
geklärt werden“,<br />
sagte ihre<br />
Sprecherin der<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> am Freitag. Breitenbach<br />
selbst teilte schriftlich mit, Seehofers<br />
Rückkehr-Gesetz trete<br />
Grundrechte mit Füßen. Jahrelange<br />
Fortschritte im Bereich Integration<br />
würden „mit einem Schlag zunichtegemacht“,<br />
so die Senatorin.<br />
Ähnlich kritische Äußerungen<br />
gibt es auch bei Breitenbachs Widersacher<br />
Innensenator Geisel. Zwar<br />
freut man sich in der Innenverwaltung<br />
über die Regelung zum Betreten<br />
von Flüchtlingsheimen in Geisels<br />
Sinne. Doch auch Geisel achte,<br />
was Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag<br />
festgelegt habe, sagte Geisels<br />
Sprecher der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>: „Mit<br />
uns wird eskeine Abschiebehaft geben,<br />
keine Abschiebungen aus Schulen,<br />
Jugendhilfeeinrichtungen oder<br />
Krankenhäusern.“<br />
Auch Justizsenator Dirk Behrendt<br />
(Grüne) teilte am Freitag gemeinsam<br />
mit seinen grünen Kollegen, dem<br />
Hamburger Justizsenator Till Steffens<br />
und dem thüringischen Justizminister<br />
Dieter Lauinger, mit, dass<br />
das „Geordnete Rückkehr-Gesetz“<br />
verfassungs-, europa- und völkerrechtliche<br />
Bedenken wecke. „Aus<br />
rechtspolitischer Sicht ist es abzulehnen“,<br />
so Behrendt. Man wolle<br />
nun darauf hinwirken, dass es an<br />
den Vermittlungsausschuss von<br />
Bundesrat und Bundestag überwiesen<br />
wird, um es „grundlegend zu<br />
überarbeiten“. Das muss aber erst<br />
einmal der Senat beschließen, laut<br />
Justizverwaltung soll das in der Sitzung<br />
am 25. Juni passieren. Fraglich<br />
ist dabei vor allem, wie die SPD sich<br />
positionieren wird. Danach muss<br />
auch der Bundesrat noch den Vermittlungsausschuss<br />
anrufen. Hier<br />
liegen die Mehrheiten dank des zwar<br />
grün regierten, aber in dieser Frage<br />
nach ersten Einschätzungen konservativ<br />
stimmenden Baden-Württembergs<br />
aufseiten von CDU und SPD.<br />
Ein unmögliches Vorhaben also?<br />
Nein, sagte Behrendts Sprecher:<br />
„Herausfordernd.“<br />
Annika Leister hofft, dass<br />
Seehofers Gesetz noch eingehend<br />
geprüft wird.<br />
Neue Regeln für Abschiebungen und Einwanderung<br />
Fachkräfte für den Arbeitsmarkt sind willkommen, gegen Ausreisepflichtige wird künftig härter vorgegangen<br />
VonRasmus Buchsteiner<br />
Qualifizierte anwerben, Zuwanderung<br />
steuern, Ausreisepflichtige<br />
schneller abschieben: Union<br />
und SPD haben am Freitag ein Gesetzespaket<br />
zu Migration und Asyl<br />
durch den Bundestag gebracht. Es<br />
handelt sich um sieben Einzelgesetze.<br />
Damit will die Koalition nun<br />
Handlungsfähigkeit beweisen. Was<br />
sind die wichtigsten Änderungen?<br />
Fachkräfteeinwanderungsgesetz:<br />
Damit werden die Hürden für die<br />
Zuwanderung insbesondere von<br />
Nicht-Akademikernaus Ländernaußerhalb<br />
der EU gesenkt. WerQualifikation<br />
und Sprachkenntnisse nachweist<br />
und sich selbst versorgen kann,<br />
darf künftig sechs Monate lang zur<br />
Jobsuche nach Deutschland kommen.<br />
Die bisherige Beschränkung<br />
auf Mangelberufe entfällt. Auch wird<br />
nicht mehr geprüft, ob Deutsche<br />
oder EU-Ausländer für den gleichen<br />
Job in Frage kommen. Regierung<br />
und Wirtschaft sollen außerhalb der<br />
EU aktiv um Qualifizierte werben.<br />
Ausreisepflichtige Personen in Tausend<br />
insgesamt und darunter:<br />
Geduldete<br />
Unmittelbar Ausreisepflichtige<br />
228,9 236,0<br />
204,4 207,5<br />
49,1 54,4 62,8 55,8<br />
155,3<br />
153,0<br />
166,1<br />
180,1<br />
Beschäftigungsduldung: Bei diesem<br />
Gesetz geht aus um Ausreisepflichtige,<br />
die in Deutschland aber geduldet<br />
werden, weil Rückführungen in<br />
ihre Herkunftsländer nicht möglich<br />
sind. 2018 waren das 180 000 Ausländer.<br />
Sie können die neu geschaffene<br />
Beschäftigungsduldung für 30 Monate<br />
erhalten, wenn sie bereits 18<br />
Monate oder länger ihren Lebensunterhalt<br />
selbst bestreiten konnten. Im<br />
Anschluss können sie ein dauerhaftes<br />
Aufenthaltsrecht erhalten. Voraussetzung<br />
ist eine Einreise nach<br />
Deutschland vordem 1. August 2018.<br />
Abschiebungen<br />
FreiwilligeAusreisen<br />
(gefördete Ausreise (REAG/GARP)<br />
54,1<br />
20,9<br />
37,2<br />
25,4<br />
29,6<br />
24,0 23,6<br />
16,0<br />
2015 2016 2017 2018 2015 2016 2017 2018<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: MEDIENDIENST INTEGRATION, AFP<br />
„Geordnete Rückkehr-Gesetz“: Ausländer,<br />
die bei der Beschaffung von<br />
Papieren für ihre Ausreise nicht helfen,<br />
sollen in Haft genommen werden<br />
können. Zudem sollen Abschiebehäftlinge<br />
in normalen Gefängnissen<br />
untergebracht werden<br />
können –räumlich getrennt von regulären<br />
Strafgefangenen. 240 000<br />
Menschen in Deutschland gelten als<br />
im Prinzip ausreisepflichtig, 180 000<br />
davon haben eine Duldung, die man<br />
bekommt, wenn Papiere fehlen, unzumutbare<br />
Bedingungen herrschen<br />
oder Menschen akut krank sind.<br />
Asylbewerberleistungsgesetz: Die<br />
Leistungen für Asylbewerber werden<br />
angepasst. Dabei wird zwischen einem<br />
„notwendigen Bedarf“, darunter<br />
Ernährung und Kleidung, und einem<br />
„notwendigen persönlichen<br />
Bedarf“ unterschieden, darunter<br />
Nahverkehrstickets,Telefon und Hygieneartikel.<br />
Angehoben werden sollen<br />
die Sätze für den „notwendigen<br />
persönlichen Bedarf“. Für Alleinstehende<br />
wären es 150 statt derzeit 135<br />
Euro, für Kinder zwischen 6und 13<br />
Jahren 97 statt derzeit 83 Euro. Für<br />
Asylbewerber in Sammelunterkünften<br />
soll ein um etwa zehn Prozent<br />
verminderter Satz gelten.<br />
Beschäftigungsförderungsgesetz für<br />
Ausländer: Ausländer sollen einen<br />
leichteren Zugang zu staatlicher<br />
Förderung erhalten, wenn sie eine<br />
Ausbildung machen oder eine berufsvorbereitende<br />
Maßnahme absolvieren.<br />
Dabei geht es insbesondere<br />
um Asylbewerber mit guter<br />
Bleibeperspektive. Sie sollen frühzeitig<br />
für die Arbeitsaufnahme gefördertwerden.<br />
(mit mdc.)<br />
VonAndreas Niesmann<br />
Der Ostbeauftragte des SPD-Parteivorstandes,<br />
Martin Dulig,<br />
fordertdie SPD auf, den Titel „Volkspartei“<br />
hinter sich zu lassen. „Der<br />
Begriff ‚Volkspartei‘ hängt uns mittlerweile<br />
wie ein Mühlstein um den<br />
Hals,der uns hinunter in die Vergangenheit<br />
zieht“, schreibt Dulig in einem<br />
noch nicht veröffentlichten<br />
Zehn-Punkte-Papier zur Parteierneuerung,<br />
das der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />
(Redaktionsnetzwerk Deutschland)<br />
vorliegt. „In Wahrheit ist der Begriff<br />
Volkspartei nur noch ein Sinn entleertes<br />
Etikett, von dem sich der<br />
Wähler nicht mehr beeindrucken<br />
lässt“, so Dulig weiter.ImBestreben,<br />
eineVolkspartei alter Prägung zu sein,<br />
sei die SPD inhaltlich beliebig und<br />
profillos geworden, so Dulig. Nunbestehe<br />
die Herausforderung darin, die<br />
SPD zu einer neuen „Gesellschaftspartei“<br />
weiterzuentwickeln, die auf<br />
die zentralen Zukunftsfragen „überzeugende<br />
Antworten statt lauer Kompromisse“<br />
finden müsse.<br />
Der 45-Jährige Dulig, der auch<br />
Vorsitzender der sächsischen<br />
Landes-SPD und Spitzenkandidat<br />
für die Landtagswahl im September<br />
ist, fordert eine grundlegende Neuorganisation<br />
der Partei. „Der gute<br />
alte Ortsverein wird sonicht mehr<br />
überlebensfähig sein“, schreibt er.<br />
„In seiner jetzigen<br />
Form entspricht<br />
er nicht<br />
mehr den Beteiligungs-<br />
und<br />
Kommunikationswünschen<br />
moderner politisch<br />
interessierter<br />
Menschen,<br />
die wir ansprechen<br />
wollen.“<br />
DPA/MONIKA SKOLIMOWSKA<br />
Martin<br />
Dulig<br />
Die SPD müsse Organisationsstrukturen<br />
über lokale Vereinsgrenzen<br />
hinweg aufbauen, außerdem eigene<br />
digitale Plattformen, um die<br />
Partei transparenter, basisdemokratischer<br />
und unabhängiger von Facebook,<br />
YouTube oder Instagram zu<br />
machen. Außerdem müsse die SPD<br />
jünger werden. „Die klassische ‚Ochsentour‘<br />
durch die Parteiinstanzen<br />
als das Maß aller Dinge muss ein<br />
Ende haben“, schreibt Dulig. Er fordertnicht<br />
nur eine Frauen-, sondern<br />
auch eine Jugendquote bei der Besetzung<br />
vonÄmtern.<br />
Außerdem wirbt der SPD-Politiker<br />
für eine neue Haltung seiner Parteifreunde.<br />
„Das wehleidige Lamento,<br />
dass die Menschen nicht<br />
würdigten, was wir für sie tun, muss<br />
aufhören“, schreibt er. Wenn Leistungen<br />
der SPD nicht gewürdigt<br />
würden, heiße das nur, dass die Partei<br />
sie nicht eindeutig genug kommuniziert<br />
habe. Darüber hinaus<br />
müsse die SPD wieder lernen, sich<br />
zuallererst als Diener für das Gemeinwohl<br />
zu verstehen und erst<br />
dann als ein Machtfaktorder Politik.<br />
Tipps vonGabriel und Dohnanyi<br />
Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel<br />
rät seiner Partei, sich nach dem<br />
Wahlsieg der Sozialdemokraten in<br />
Dänemarkderen Kurswechsel in der<br />
Migrationspolitik zum Vorbild zu<br />
nehmen. DerErfolgimNachbarland<br />
werfeunangenehme Fragen auf, denen<br />
sich die SPD seit Jahren konsequent<br />
verweigere, schrieb der Ex-Außenminister<br />
im Handelsblatt. Der<br />
frühere Hamburger Bürgermeister<br />
Klaus vonDohnanyi fordertdagegen<br />
eine „ehrlichere Debatte“ über den<br />
Klimaschutz. Eine Begrenzung des<br />
Klimawandels setze Verhaltensänderungen<br />
und Verzicht voraus,sagte<br />
der SPD-Politiker der Welt. Dies<br />
führezuKonflikten. „Wir Bürger und<br />
Verbraucher haben eine Lebensform<br />
entwickelt, die wohl unvereinbar mit<br />
den Zielen der Klimapolitik wird“,<br />
sagte der 90-Jährige.Das zu diskutieren,<br />
traue sich aber keiner. (mit dpa)