Berliner Kurier 09.06.2019
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S<br />
eit Tagen schien<br />
die Sonne. Ausgerechnet<br />
in dieser<br />
Nacht aber:<br />
ein kleines Wunder.<br />
Nach Monaten<br />
ungewöhnlicher<br />
Trockenheit,<br />
nach einemWinter ohne<br />
Schnee und einem Frühling<br />
mit nur einem richtigen Regentag<br />
imApril fällt endlich<br />
wieder Niederschlag. DerMai<br />
ist zwarkühl, bleibtaberlange<br />
trocken. Erst am Ende kommt<br />
Regen. An diesem Tag hängt<br />
der Himmel tief über der<br />
Landschaft, am Mittag noch<br />
ziehen dicke Dunstschwaden<br />
überdie Felder.<br />
Nicht nur Landwirte haben<br />
solchen Regen herbeigesehnt;<br />
nach dem Dürresommer<br />
2018 weiß auch jeder<br />
Laie, wie sehr die Natur vor<br />
allem im Nordosten<br />
Deutschlands nach Feuchtigkeit<br />
dürstet. Unablässig<br />
fällt an diesem Tag der Regen,<br />
und die Natur sieht aus<br />
wie frisch gewaschen: sattgrün<br />
und lebendig.<br />
Hinter demÖrtchen Klausdorf<br />
bei Treuenbrietzen<br />
führt ein schmaler Weg in einen<br />
dichten Wald, doch keine<br />
300 Meter weiter ist die<br />
schöne grüne Welt zu Ende.<br />
Schlagartig öffnet sich die<br />
Landschaft, nun geht es einen<br />
leichten Hügel hinauf –<br />
von dort oben bietet sich ein<br />
schauriges Bild: ringsum eine<br />
Einöde. Eine riesige verkohlte<br />
Brache, auf der fast<br />
nichts mehr wächst.<br />
„Hier standen überall Bäume“,<br />
sagt Wolfgang Seehaus.<br />
„Richtig dichter Wald.“ Seehaus<br />
ist 64 Jahre alt, Rentner<br />
und ehrenamtlicher Chef<br />
der Waldgenossenschaft<br />
Bardenitz, der hier große<br />
Flächen gehören. Der Wald<br />
ist weg, vernichtet vor neun<br />
Monaten bei dem mit Abstand<br />
verheerendsten Waldbrand<br />
in Brandenburg seit<br />
1983. Die Flammen fraßen<br />
350 Hektar –immerhin eine<br />
Fläche, fast so groß wie das<br />
Tempelhofer Feld in Berlin.<br />
Für einen Waldbrand ist<br />
das gewaltig: 2017 verbrannten<br />
395 Hektar – wohlgemerkt<br />
im gesamten Bundesgebiet.<br />
Hauptleidtragende des Feuers<br />
bei Treuenbrietzen sind<br />
die 80 Waldbesitzer der Genossenschaft,<br />
die sich verbündet<br />
haben, weil ihre Einzelflächen<br />
oft so klein sind,<br />
dass sie die kaum allein bewirtschaften<br />
können. Sie besitzen<br />
628 Hektar –davon<br />
hat sich das Feuer 100 Hektar<br />
geholt. Die Flammen wüteten<br />
drei Tage, bis die Feuerwehrleute<br />
sie niedergekämpft<br />
hatten. Die kümmerlichen<br />
Reste, die das Feuer<br />
übrig ließ, wurden gefällt.<br />
Neben dem Weg türmt sich<br />
ein Stapel Baumstämme.<br />
Überall liegen abgebrochene,<br />
verkohlte Äste. Nur noch<br />
ein Dutzend Bäume steht auf<br />
der riesigen Fläche. Vor uns<br />
eine Kiefer: stolz, gerade und<br />
sehr hoch. Aber mit weggebrannten<br />
Ästen und nicht einer<br />
einzigen Nadel in der<br />
dürren Krone. Ein Baumskelett<br />
in einer unwirklichen<br />
Landschaft.<br />
Das Ganze ist ein wirtschaftliches<br />
Desaster für die<br />
betroffenen Waldbesitzer.<br />
Die großen Fragen sind nun:<br />
Wie soll es hier weitergehen?<br />
Wer bezahlt das alles?<br />
Kann die Katastrophe nicht<br />
auch genutzt werden, um<br />
hier den Wald der Zukunft<br />
zu schaffen? Kann hier exemplarisch<br />
aufgezeigt werden,<br />
dass man Wirtschaftswälder<br />
zukunftsfester machen<br />
kann –angesichts des<br />
Klimawandels. Denn nun<br />
wird es wohl öfter längere<br />
Dürren geben, und die Waldbrandgefahr<br />
ist in diesem<br />
Jahr bereits seit April bedrohlich<br />
hoch.<br />
Neue Wälder braucht das<br />
Land. Genau das ist das Ziel<br />
„Mischwälder<br />
müssen viel<br />
aufwendiger<br />
gepflegt werden.“<br />
Wolfgang Seehaus,<br />
Vorsitzender der<br />
Waldgenossenschaft<br />
Bardenitz<br />
des Landesbetriebs Forst –<br />
und der Feuerwald ist das<br />
Freilandlabor. „Wir haben<br />
einen Vorschlag erarbeitet,<br />
wie die Flächen langfristig<br />
im Idealfall gestaltet werden<br />
sollten“, sagt Karin Heintz,<br />
die Chefin der Oberförsterei.<br />
„Bislang standen hier zu 100<br />
Prozent Kiefern, aber wir<br />
wollen einen guten Mischwald<br />
mit 40 Prozent Laubbäumen.“<br />
Dass Handlungsbedarf besteht,<br />
ist klar, denn Brandenburg<br />
gehört europaweit zu<br />
den Regionen mit der höchsten<br />
Waldbrandgefahr. Das<br />
liegt an den sandigen, trockenen<br />
Böden, und daran,<br />
dass nicht übermäßig viel<br />
Regen fällt –vor allem aber<br />
daran, dass zu 70 Prozent<br />
Kiefern in den Wäldern stehen.<br />
JOURNAL 19<br />
Der Wald bei Klausdorf ist<br />
ein Musterbeispiel dafür,<br />
was seit vielen Jahrzehnten<br />
in den Wirtschaftswäldern<br />
schiefläuft, denn die vielen<br />
Kiefern kommen zwar gut<br />
klar mit den nährstoffarmen<br />
Böden, doch bei Gluthitze<br />
brennen sie wie Zunder. In<br />
Brandenburg sehen die Wälder<br />
aus wie Armeen voller<br />
Soldaten, die dicht gedrängt<br />
stehen. Da ist klar, was passiert,<br />
wenn ein Feuer durch<br />
einen solchen industrialisierten<br />
Forst fegt.<br />
Wie dramatisch das Feuer<br />
war, wird auch daran deutlich,<br />
wie präzise die Erinnerungen<br />
der Beteiligten sind.<br />
„23. August um 12.38 Uhr<br />
ging die erste Meldung ein:<br />
Es brennt“, erzählt Karin<br />
Heintz. „Das vergisst man<br />
nicht.“<br />
Drei Dörfer mussten evakuiert<br />
werden, 600 Bewohner<br />
bangten um ihr Hab und<br />
Gut. Dazu kam, dass es an<br />
drei Stellen fast gleichzeitig<br />
brannte. Alle gehen von<br />
Brandstiftung aus, aber es<br />
konnte nie bewiesen werden.<br />
Das erste Feuer brach an einer<br />
Straße aus. „Das Feuer<br />
lief durch die Wälder“, erzählt<br />
Försterin Karin Heintz.<br />
„Dann kam starker Wind auf<br />
und trieb die Flammen mit<br />
Tempo 80 vor sich her.“ Das<br />
Feuer übersprang eine breite<br />
Schneise, dort befinden sich<br />
eine Bundesstraße, Zuggleise<br />
und ein Fahrradweg. „Keiner<br />
hat geglaubt, dass das<br />
Feuer da rüber kommt“, sagt<br />
sie.<br />
Oft riskierten Feuerwehrleute<br />
ihr Leben, um die<br />
Flammen von den Häusern<br />
fernzuhalten. Am Ende gelang<br />
es, die Dörfer zu retten.<br />
„Aber der wirtschaftliche<br />
Schaden allein in den Wäldern<br />
hier wird auf fünf Millionen<br />
Euro geschätzt“, sagt<br />
Heintz.<br />
Auch neun Monate später<br />
riecht es am Boden noch<br />
leicht geräuchert –selbst bei<br />
Regen. Der düstere Himmel,<br />
der Dunst und der Matsch<br />
lassen das Areal aussehen<br />
wie ein Schlachtfeld. Wolfgang<br />
Seehaus steht im Regen<br />
und sagt: „Ach, hätte es doch<br />
damals geregnet, als es<br />
brannte, dann wäre die Katastrophe<br />
nicht ganz so verheerend<br />
gewesen.“<br />
Den Plan für den Wald der<br />
Zukunft hat der Landesbetrieb<br />
Forst erstellt, hausintern<br />
trägt er den Namen<br />
„Einmal Pizza mit allem“.<br />
Karin Heintz entrollt einen<br />
Plan, der ein halbwegs rundes<br />
Areal zeigt, das kunterbunt<br />
ist und tatsächlich an<br />
eine Pizza erinnert. Doch die<br />
roten Flecken sind keine Salamischeiben,<br />
sondern die