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RE KW 24

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ETAPPE 1<br />

FERNPASS BIS NASSE<strong>RE</strong>ITH<br />

Römer, Ritter, Rosenkränze<br />

Unterwegs auf dem Starkenberger Panoramaweg (1): Vom Fernpass nach Nassereith<br />

Vor 567 Jahren segnete der letzte männliche Repräsentant der<br />

Familie das Zeitliche, aber ihre Spuren prägen heute noch die Bezirke<br />

Imst und Landeck: die Starkenberger. Das lässt sich besonders<br />

eindrucksvoll auf Schusters Rappen erleben: Der Starkenberger<br />

Panoramaweg verbindet über sieben Etappen mit insgesamt<br />

53 Kilometern den Fernpass mit Landeck. Die RUNDSCHAU<br />

hat ihn für ihre Leser abgewandert.<br />

Von Jürgen Gerrmann<br />

Passionierte Wanderer benötigen<br />

dazu natürlich weit weniger als die<br />

„offiziell“ angegebenen sieben Tages-<br />

Etappen. Aber auf diesem Weg geht<br />

es ohnehin nicht ums „Tempobolzen“.<br />

Sondern um das Erlebnis: Viel<br />

eindrucksvoller ist es nämlich, sich in<br />

die vielen Kultur- und Naturschönheiten<br />

zu vertiefen, die da im Tiroler<br />

Oberland auf einen warten. Und die<br />

haben beileibe nicht nur mit den alten<br />

Rittersleut' zu tun.<br />

Los geht’s am Fernpass. Wobei es<br />

angesichts der schlechten Parkmöglichkeiten<br />

dort am besten ist, wenn<br />

man mit dem Bus anreist. Positiver<br />

Nebeneffekt: Man macht dadurch<br />

die Verkehrslawine nicht noch größer.<br />

EIN HAUCH VON KANADA.<br />

Wie dem auch sei: Die meisten dürfte<br />

es überraschen, welch herrliche<br />

Natur da auf einen wartet (auch wenn<br />

der Transit-Lärm sich natürlich nicht<br />

komplett ausblenden lässt). Gleich<br />

zu Beginn kann man zum Beispiel<br />

durch den größten Bestand der Spirke<br />

von ganz Österreich spazieren. Dieser<br />

deutsche Name von Pinus mugo<br />

uncinata dürfte nicht allzu vielen<br />

bekannt sein. Viel besser kann man<br />

sich unter der „aufrecht wachsenden<br />

Latsche“ etwas vorstellen. Und die<br />

kommt in Österreich nur in Tirol<br />

und Vorarlberg vor. Der Mensch profitiert<br />

übrigens nicht nur durch ihren<br />

urwüchsigen Anblick von ihr: Sie<br />

hält auch instabile Felshänge fest und<br />

erfüllt dadurch eine ganz wichtige<br />

Schutzfunktion. Überhaupt: Blickt<br />

man auf die erhabenen Berge mit ihren<br />

schroffen Felswänden, die mächtigen<br />

Bäume und den munter dahinfließenden<br />

Gurglbach, so hat man<br />

schon auf den ersten Kilometern den<br />

RUNDSCHAU Seite 16<br />

Eindruck, als sei man in Kanada.<br />

Entstanden ist diese herrliche Szenerie<br />

indes durch eine Katastrophe:<br />

Vor 4100 Jahren (also in der Frühbronzezeit)<br />

stürzte rund eine Milliarde<br />

Kubikmeter Fels vom Kreuzjoch, 15<br />

Kilometer nördlich und südlich kann<br />

man heute noch dieses Gestein finden,<br />

das der Loisach ihren ursprünglichen<br />

Weg zum Inn versperrte und<br />

sie ins heute Bayerische umleitete.<br />

Auch Blind-, Fernstein-, Mitter- und<br />

Weißensee wurden dadurch geboren.<br />

Was heute so anmutig erscheint, hat<br />

seinen Ursprung mithin in einem<br />

Unheil, das sich in grauer Vorzeit in<br />

einer der für Erdbeben anfälligsten<br />

Gegenden Mitteleuropas ereignete.<br />

VON DER OSTSEE NACH<br />

OBERITALIEN. Und dennoch<br />

wollten die Menschen seit eh und<br />

je dieses Hindernis, das die Natur<br />

dort aufgeschüttet hatte, überwinden.<br />

Bernstein soll schon darüber<br />

transportiert worden sein, als sich<br />

von den Römern noch keine Rede<br />

war. Die Archäologen haben Spuren<br />

gefunden, die beweisen, dass Waren<br />

zwischen der Ostsee, Oberitalien, ja<br />

sogar Griechenland über diese Pfade<br />

transportiert wurden.<br />

Die Römer freilich sorgten für Perfektion.<br />

General Drusus der Ältere,<br />

ein Adoptivsohn von Kaiser Augustus,<br />

machte sich 15 vor Christus daran,<br />

die Pfade der Kelten, Räter und<br />

Etrusker für eines der wichtigsten<br />

Infrastrukturprojekte dieser Zeit umzuwandeln<br />

und auszubauen. Damit<br />

fertig war man indes erst 60 Jahre<br />

später – als Drusus' Sohn Claudius<br />

die Kaiserwürde innehatte. Daher<br />

hieß diese bedeutende Straße denn<br />

auch Via Claudia Augusta. Keine<br />

andere Trasse aus dieser Zeit in den<br />

Zentralalpen ist auch heute noch<br />

unter ihrem ursprünglichen Namen<br />

AUSSERFERNER<br />

SEIT 1922<br />

NACHRICHTEN<br />

Der Frühling erwacht am Starkenberger Panoramaweg.<br />

bekannt. Schon allein daraus lässt<br />

sich die Bedeutung der Fernpassroute<br />

bereits in der Antike ablesen.<br />

IN ALTEN RÖMERSPU<strong>RE</strong>N.<br />

Das Konzept der Römer hat übrigens<br />

den Westen Tirols bis heute nachhaltig<br />

geprägt. Nicht nur wegen des<br />

Verlaufs. Sondern auch durch das<br />

System der Siedlungen – wie „in opido<br />

Humiste“, wie Imst damals hieß,<br />

(eine Tagesreise) und Raststationen<br />

(nach acht Meilen jeweils eine). Letztere<br />

waren quasi „Keimzellen“ für<br />

Orte wie Dormitz, Biberwier und<br />

Bichlbach, die Jahrhunderte später<br />

an diesen verkehrstechnisch wichtigen<br />

Punkten entstanden.<br />

Ein ganz besonderes Erlebnis ist<br />

es, buchstäblich in den Spuren der<br />

alten Römer zu wandeln. Zwischen<br />

Fernpass und Fernstein haben sich<br />

die Räder der buchstäblich unzähligen<br />

Wagen, die einst über diese Straße<br />

rollten, in den Fels eingeschliffen.<br />

Zuweilen kursiert ja das Gerücht,<br />

die Spurbreite der modernen Eisenbahnen<br />

gehe auf die römischen<br />

Karren zurück, die auch über die Via<br />

Claudia rumpelten. Klingt prima,<br />

stimmt aber nicht: Es gab nämlich<br />

keine einheitliche Breite, man bewegte<br />

sich in der Regel so um die<br />

eineinhalb Meter. Für so etwas wie<br />

eine Normbreite bestand ja keinerlei<br />

Notwendigkeit.<br />

RS-Fotos: Gerrmann<br />

DER „FAHRBERG“. Gefahren<br />

wurde indes schon seit uralter Zeit<br />

auf dieser Route. Denn sie besaß<br />

und besitzt schließlich drei große<br />

Pluspunkte: Der Winter macht ihr<br />

weniger zu schaffen als anderen<br />

Verbindungen, Hochwassergefahr<br />

besteht auch so gut wie nicht – und<br />

auch die Steigung ist relativ moderat.<br />

Und so hieß der Pass in einer<br />

vom letzten Stauferherrscher Konradin<br />

1263 (im Alter von elf Jahren)<br />

unterzeichneten Urkunde denn<br />

auch „Mons Vern“. Wissenschaftler<br />

vermuten, dass der Name vom<br />

mittelhochdeutschen Wort für die<br />

verschiedensten Fortbewegungsarten<br />

stammt, also quasi „Fahrberg“<br />

bedeute.<br />

Ob dem so ist, steht nicht hundertprozentig<br />

fest. Aber sicher ist<br />

eins: Heute stimmt der Name ganz<br />

bestimmt.<br />

Auch die Transitlawine ist übrigens<br />

keine Erfindung des Automobilzeitalters.<br />

Schon mittelalterliche Quellen<br />

berichten über Beschwerden der<br />

Gemeinde Imst darüber, dass die<br />

Handelsleute „halbe Tage“ lang an<br />

der Zollstelle an der Burg Fernstein<br />

warten mussten, bis es endlich weiterging.<br />

Das war im Jahre 1312!<br />

Herzog Sigmund ordnete 1451<br />

einen Ausbau der Burganlage im<br />

gro-ßen Stil an. Ihm ist also das<br />

12./13. Juni 2019

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