RE KW 24
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ETAPPE 1<br />
FERNPASS BIS NASSE<strong>RE</strong>ITH<br />
Römer, Ritter, Rosenkränze<br />
Unterwegs auf dem Starkenberger Panoramaweg (1): Vom Fernpass nach Nassereith<br />
Vor 567 Jahren segnete der letzte männliche Repräsentant der<br />
Familie das Zeitliche, aber ihre Spuren prägen heute noch die Bezirke<br />
Imst und Landeck: die Starkenberger. Das lässt sich besonders<br />
eindrucksvoll auf Schusters Rappen erleben: Der Starkenberger<br />
Panoramaweg verbindet über sieben Etappen mit insgesamt<br />
53 Kilometern den Fernpass mit Landeck. Die RUNDSCHAU<br />
hat ihn für ihre Leser abgewandert.<br />
Von Jürgen Gerrmann<br />
Passionierte Wanderer benötigen<br />
dazu natürlich weit weniger als die<br />
„offiziell“ angegebenen sieben Tages-<br />
Etappen. Aber auf diesem Weg geht<br />
es ohnehin nicht ums „Tempobolzen“.<br />
Sondern um das Erlebnis: Viel<br />
eindrucksvoller ist es nämlich, sich in<br />
die vielen Kultur- und Naturschönheiten<br />
zu vertiefen, die da im Tiroler<br />
Oberland auf einen warten. Und die<br />
haben beileibe nicht nur mit den alten<br />
Rittersleut' zu tun.<br />
Los geht’s am Fernpass. Wobei es<br />
angesichts der schlechten Parkmöglichkeiten<br />
dort am besten ist, wenn<br />
man mit dem Bus anreist. Positiver<br />
Nebeneffekt: Man macht dadurch<br />
die Verkehrslawine nicht noch größer.<br />
EIN HAUCH VON KANADA.<br />
Wie dem auch sei: Die meisten dürfte<br />
es überraschen, welch herrliche<br />
Natur da auf einen wartet (auch wenn<br />
der Transit-Lärm sich natürlich nicht<br />
komplett ausblenden lässt). Gleich<br />
zu Beginn kann man zum Beispiel<br />
durch den größten Bestand der Spirke<br />
von ganz Österreich spazieren. Dieser<br />
deutsche Name von Pinus mugo<br />
uncinata dürfte nicht allzu vielen<br />
bekannt sein. Viel besser kann man<br />
sich unter der „aufrecht wachsenden<br />
Latsche“ etwas vorstellen. Und die<br />
kommt in Österreich nur in Tirol<br />
und Vorarlberg vor. Der Mensch profitiert<br />
übrigens nicht nur durch ihren<br />
urwüchsigen Anblick von ihr: Sie<br />
hält auch instabile Felshänge fest und<br />
erfüllt dadurch eine ganz wichtige<br />
Schutzfunktion. Überhaupt: Blickt<br />
man auf die erhabenen Berge mit ihren<br />
schroffen Felswänden, die mächtigen<br />
Bäume und den munter dahinfließenden<br />
Gurglbach, so hat man<br />
schon auf den ersten Kilometern den<br />
RUNDSCHAU Seite 16<br />
Eindruck, als sei man in Kanada.<br />
Entstanden ist diese herrliche Szenerie<br />
indes durch eine Katastrophe:<br />
Vor 4100 Jahren (also in der Frühbronzezeit)<br />
stürzte rund eine Milliarde<br />
Kubikmeter Fels vom Kreuzjoch, 15<br />
Kilometer nördlich und südlich kann<br />
man heute noch dieses Gestein finden,<br />
das der Loisach ihren ursprünglichen<br />
Weg zum Inn versperrte und<br />
sie ins heute Bayerische umleitete.<br />
Auch Blind-, Fernstein-, Mitter- und<br />
Weißensee wurden dadurch geboren.<br />
Was heute so anmutig erscheint, hat<br />
seinen Ursprung mithin in einem<br />
Unheil, das sich in grauer Vorzeit in<br />
einer der für Erdbeben anfälligsten<br />
Gegenden Mitteleuropas ereignete.<br />
VON DER OSTSEE NACH<br />
OBERITALIEN. Und dennoch<br />
wollten die Menschen seit eh und<br />
je dieses Hindernis, das die Natur<br />
dort aufgeschüttet hatte, überwinden.<br />
Bernstein soll schon darüber<br />
transportiert worden sein, als sich<br />
von den Römern noch keine Rede<br />
war. Die Archäologen haben Spuren<br />
gefunden, die beweisen, dass Waren<br />
zwischen der Ostsee, Oberitalien, ja<br />
sogar Griechenland über diese Pfade<br />
transportiert wurden.<br />
Die Römer freilich sorgten für Perfektion.<br />
General Drusus der Ältere,<br />
ein Adoptivsohn von Kaiser Augustus,<br />
machte sich 15 vor Christus daran,<br />
die Pfade der Kelten, Räter und<br />
Etrusker für eines der wichtigsten<br />
Infrastrukturprojekte dieser Zeit umzuwandeln<br />
und auszubauen. Damit<br />
fertig war man indes erst 60 Jahre<br />
später – als Drusus' Sohn Claudius<br />
die Kaiserwürde innehatte. Daher<br />
hieß diese bedeutende Straße denn<br />
auch Via Claudia Augusta. Keine<br />
andere Trasse aus dieser Zeit in den<br />
Zentralalpen ist auch heute noch<br />
unter ihrem ursprünglichen Namen<br />
AUSSERFERNER<br />
SEIT 1922<br />
NACHRICHTEN<br />
Der Frühling erwacht am Starkenberger Panoramaweg.<br />
bekannt. Schon allein daraus lässt<br />
sich die Bedeutung der Fernpassroute<br />
bereits in der Antike ablesen.<br />
IN ALTEN RÖMERSPU<strong>RE</strong>N.<br />
Das Konzept der Römer hat übrigens<br />
den Westen Tirols bis heute nachhaltig<br />
geprägt. Nicht nur wegen des<br />
Verlaufs. Sondern auch durch das<br />
System der Siedlungen – wie „in opido<br />
Humiste“, wie Imst damals hieß,<br />
(eine Tagesreise) und Raststationen<br />
(nach acht Meilen jeweils eine). Letztere<br />
waren quasi „Keimzellen“ für<br />
Orte wie Dormitz, Biberwier und<br />
Bichlbach, die Jahrhunderte später<br />
an diesen verkehrstechnisch wichtigen<br />
Punkten entstanden.<br />
Ein ganz besonderes Erlebnis ist<br />
es, buchstäblich in den Spuren der<br />
alten Römer zu wandeln. Zwischen<br />
Fernpass und Fernstein haben sich<br />
die Räder der buchstäblich unzähligen<br />
Wagen, die einst über diese Straße<br />
rollten, in den Fels eingeschliffen.<br />
Zuweilen kursiert ja das Gerücht,<br />
die Spurbreite der modernen Eisenbahnen<br />
gehe auf die römischen<br />
Karren zurück, die auch über die Via<br />
Claudia rumpelten. Klingt prima,<br />
stimmt aber nicht: Es gab nämlich<br />
keine einheitliche Breite, man bewegte<br />
sich in der Regel so um die<br />
eineinhalb Meter. Für so etwas wie<br />
eine Normbreite bestand ja keinerlei<br />
Notwendigkeit.<br />
RS-Fotos: Gerrmann<br />
DER „FAHRBERG“. Gefahren<br />
wurde indes schon seit uralter Zeit<br />
auf dieser Route. Denn sie besaß<br />
und besitzt schließlich drei große<br />
Pluspunkte: Der Winter macht ihr<br />
weniger zu schaffen als anderen<br />
Verbindungen, Hochwassergefahr<br />
besteht auch so gut wie nicht – und<br />
auch die Steigung ist relativ moderat.<br />
Und so hieß der Pass in einer<br />
vom letzten Stauferherrscher Konradin<br />
1263 (im Alter von elf Jahren)<br />
unterzeichneten Urkunde denn<br />
auch „Mons Vern“. Wissenschaftler<br />
vermuten, dass der Name vom<br />
mittelhochdeutschen Wort für die<br />
verschiedensten Fortbewegungsarten<br />
stammt, also quasi „Fahrberg“<br />
bedeute.<br />
Ob dem so ist, steht nicht hundertprozentig<br />
fest. Aber sicher ist<br />
eins: Heute stimmt der Name ganz<br />
bestimmt.<br />
Auch die Transitlawine ist übrigens<br />
keine Erfindung des Automobilzeitalters.<br />
Schon mittelalterliche Quellen<br />
berichten über Beschwerden der<br />
Gemeinde Imst darüber, dass die<br />
Handelsleute „halbe Tage“ lang an<br />
der Zollstelle an der Burg Fernstein<br />
warten mussten, bis es endlich weiterging.<br />
Das war im Jahre 1312!<br />
Herzog Sigmund ordnete 1451<br />
einen Ausbau der Burganlage im<br />
gro-ßen Stil an. Ihm ist also das<br />
12./13. Juni 2019