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REPORT 21<br />
Rentner<br />
und<br />
begeisterte<br />
Gartenfreunde:<br />
Winfried<br />
und<br />
Brigitte<br />
König.<br />
Manche finden den Ortwunderbar:<br />
Ein Graffiti an einer Hauswand.<br />
pro Tag. Die<br />
Zahl kommt<br />
von Volker<br />
Toparkus. Er<br />
hat sie mit<br />
Stolz erwähnt.<br />
Noch<br />
so ein Missverständnis.<br />
Ob noch jemand<br />
Platt<br />
spricht? Ich<br />
klingle bei<br />
Zühlsdorf, die<br />
sollen schon<br />
lange hier<br />
wohnen. Die<br />
Frau in der geblümten<br />
Kittelschütze, die mir<br />
aufmacht, winkt ab.<br />
„Wir sind 1945 aus Danzig gekommen.“<br />
Sie schickt mich zu<br />
Frau Stier. Die spricht noch<br />
Platt, sie unterrichtet diese Sprache<br />
an einer Schule in Parchim.<br />
Ehrenamtlich. Sie kommt aus<br />
der Gegend von Wismar.<br />
Frau Stier bringt mich zu Winfried<br />
König. Er rollt zwar das R,<br />
aber Platt kann er nicht. Er und<br />
seine Frau laden mich in ihren<br />
Garten ein, da gibt es eine Sitzgruppe<br />
aus Holz. Und Lübzer<br />
Bier, Lübz liegt in der Nachbarschaft.<br />
Winfried und Brigitte König<br />
sind Rentner, er erzählt, dass<br />
er früher als Kraftfahrer für die<br />
LPG „Befreites Land Rom“ gearbeitet,<br />
die Arbeiter von den Feldern<br />
in die Gaststätte gebracht<br />
hat. Jetzt weiß ich, für wen der<br />
große Saal dort bestimmt war.<br />
Fahren muss Winfried König<br />
noch immer. Zum Einkaufen<br />
nach Parchim, zur Ärztin nach<br />
Siggelkow, zum Friseur, zum Bäcker.<br />
„Wenn wir nicht mehr Auto<br />
fahren können, müssen wir in<br />
die Stadt ziehen“, sagt er und<br />
lacht. Seine Frau lacht auch. Vorstellen<br />
können sich das beide<br />
nicht. Und wie das Platt verschwand,<br />
können sie auch nicht<br />
sagen. Sie wissen nicht, ob der<br />
Lehrer ihren Eltern nahegelegt<br />
hat, mit den Kindern lieber<br />
Hochdeutsch zu sprechen wie<br />
bei uns in Westdeutschland. Das<br />
Platt war einfach weg irgendwann.<br />
Es ist jetzt abends um acht. Im<br />
„Römer“ bestelle ich das einzige<br />
Gericht, das als lokale Spezialität<br />
zu erkennen ist: Mecklenburger<br />
Rippenbraten gefüllt mit Backpflaumen<br />
und Äpfeln. Ein mächtiges<br />
Gericht. Kalorien für<br />
schwer arbeitende Bauern. Man<br />
isst es eigentlich im Winter,<br />
dann, wenn auf den Höfen geschlachtet<br />
wurde, lese ich später<br />
auf der Webseite meck-pommhits.de.<br />
Ich sitze draußen, direkt an der<br />
Bundesstraße, auf der jetzt mehr<br />
Verkehr ist. Pendler wahrscheinlich.<br />
Die Abendsonne<br />
sorgt für eine friedliche Stimmung.<br />
Auf der Wiese hinter der<br />
Gaststätte quaken Frösche. Ich<br />
traue mich später sogar, bei gekipptem<br />
Fenster zu schlafen. Im<br />
Neuköllner Norden unmöglich.<br />
Und auch hier ein Fehler.<br />
Morgens um fünf werde ich<br />
wach. Klar, es ist Montag. Die<br />
nächste Pendlerwelle. Im Gastraum<br />
machen sie mir um acht eine<br />
Kanne Tee in einer Thermoskanne.<br />
Auf den Fensterbänken<br />
stehen Orchideen, auf dem Boden<br />
liegen Dielen aus Laminat.<br />
Es riecht nach Mittagessen.<br />
Draußen vor der Tür lädt Fred<br />
Rzehorz schwarze Styroporbehälter<br />
in den Transporter: Essen<br />
auf Rädern für Rentner, heute<br />
Hähnchenkeule mit Rotkraut<br />
und Salzkartoffeln. Die Namen<br />
stehen auf den Behältern. Beliefert<br />
werden auch zwei Kindergärten<br />
und drei Schulen, außerdem<br />
die Schichtarbeiter der<br />
Brauerei in Lübz.<br />
Fred Rzehorz hat für die<br />
Brauerei 25 Jahre lang gearbeitet,<br />
zuletzt im Veranstaltungsservice.<br />
Seine Abfindung hat er<br />
dann 2010 in die Gaststätte investiert.<br />
Er ist jetzt der Chef hier,<br />
ein großer Mann, 55 Jahre alt,<br />
die Sonnenbrille hat er ins dunkle<br />
Haar geschoben. Er führt mich<br />
in den Saal, in dem einst die LPG-<br />
Mitarbeiter verpflegt wurden.<br />
Jetzt veranstaltet er hier an zwei<br />
Sonntagen im Monat Tanztee,<br />
Hochzeiten finden hier statt,<br />
zweimal im Jahr gibt es Line<br />
Dance. Mit dem Restaurant allein<br />
wäre es nicht zu machen.<br />
„20 Essen verkaufe ich an einem<br />
Sonntag.“ Dass die Leute aus<br />
dem Dorf zum Frühschoppen<br />
kamen, zu einem Feierabendbier,<br />
hat er als Wirt gar nicht<br />
mehr erlebt. In den drei Zimmern<br />
übernachten manchmal<br />
Radtouristen, auch wenn es in<br />
Rom keinen Radweg gibt,<br />
manchmal Handwerker.<br />
Im Eingang zur Gaststätte<br />
steht auf einer Tafel geschrieben,<br />
dass der „Römer“ eine Servicekraft<br />
sucht. Ob so jemand<br />
leicht zu finden ist? Fred Rzehorz<br />
schüttelt den Kopf. „Hartz<br />
IVmüsste man abschaffen“, sagt<br />
er. „Eine Grundrente von 300<br />
Euro einführen. Dann hätte ich<br />
welche.“ Am Nachbartisch warten<br />
vier junge Leute auf ihn.<br />
Gymnasiasten aus Parchim, es<br />
geht um den Abiball. „Es geht<br />
immer weiter“, sagt Fred Rzehorz.<br />
Als ich zurückradele zum<br />
Bahnhof, weiß ich, warum die<br />
Korn- und Mohnblumen nur am<br />
Rand der Felder wachsen. Dort<br />
kommt das Glyphosat nicht hin.<br />
Hatte ich nie drüber nachgedacht.<br />
Susanne Lenz (Text und Fotos)