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Berliner Zeitung 13.09.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 213 · F reitag, 13. September 2019 3<br />

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Seite 3<br />

Abbaden<br />

Flugshow im Sommerbad Wilmersdorf<br />

BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK<br />

Ich weiß, was ich im Sommer getan<br />

habe. Wir waren jung, betrunken, bereit,<br />

in dieser heißen Julinacht das Gesetz<br />

zu brechen, Hausfriedensbruch zu<br />

begehen, fast zwanzig Jahreist das her.<br />

Es hatte sich herumgesprochen, dass es<br />

da ein Loch gab im Zaun, einen geheimen<br />

Zugang zum kleinstädtischen Freibad. Bevor<br />

wir auseinandergehen würden in die Welt<br />

der Erwachsenen, wollten wir ein letztes Mal<br />

als Jugendliche zusammen sein. So wie Generationen<br />

von Schulabgängern vor uns<br />

auch, die Freibadeinbruch auf ihren Erledigungslisten<br />

notiert hatten. Zu erledigen, bevor<br />

das Leben zur Dauerschleife aus Verantwortung<br />

und Konsequenz verkommt.<br />

DasLoch war tatsächlich da, über uns ein<br />

schief lachender Mond, sonst niemand. Kein<br />

Wachschutz, und auch nicht der dicke Bademeister,<br />

der uns die deutsche Verbotssprache<br />

gelehrthatte:„Das seitliche Einspringen,<br />

das Hineinstoßen oder Werfen anderer Personen<br />

in das Schwimmbecken ist untersagt.“<br />

In dieser Nacht stießen wir die Badeordnung<br />

um, stiegen unbeaufsichtigt über die<br />

Absperrkette vor dem Fünfmeterturm,<br />

sprangen ins Viereck. Das Wasser spritzte,<br />

das Bier schäumte, wir tauchten Händchen<br />

haltend den Kachelgrund entlang, schworen<br />

uns Dinge, die wir niemals halten sollten.<br />

Flaschen und Kippen warfen wir später in<br />

den Mülleimer.Wir waren ja anständige Einbrecher,keine<br />

Polizeimeldung wert.<br />

Das Freibad bietet viel mehr als Erholung und Unterhaltung,<br />

es ist ein demokratischer Ort. An den Kassenhäuschen gibt es keine<br />

Klassenunterschiede. In den Umkleidekabinen haben alle Menschen das<br />

gleiche Recht auf Föhn und Fußpilz. Und trotzdem sollen wir uns<br />

fürchten? Ein Badeausflug zum Ende der Sommersaison<br />

DASMENSCHENKINO Wolken, Wind, Wasser,<br />

das war das WWW unserer analogen Freibadjugend,<br />

niemand flog damals billig in<br />

den Urlaub.Erst kamen wir in Begleitung unserer<br />

Elternund Großeltern, lernten, uns wie<br />

Frösche zu bewegen. Bald schlüpften wir allein<br />

durchs Drehkreuz, mit den besten<br />

Freunden, der ersten größeren Liebe im<br />

Arm. Gefühle waren tief wie das Meer. Im<br />

Freibad gab es häufig Stau auf der Rutsche.<br />

Wir pumpten Wasserpistolen und Muskeln<br />

auf, am Kiosk wurden wir zu Meistern<br />

im aktiven Anstehen. Wenn ihr ins Becken<br />

pinkelt, erzählen wir den Schwimmbadanfängern,<br />

werdesich dasWasser rotverfärben.<br />

Alles über Lichtschutzfaktor 8war lächerlich.<br />

Die Sommerferien dehnten sich wie Kaugummi<br />

und hatten nach sechs Wochen immer<br />

noch Geschmack. Vier Colakracher explodierten<br />

im Mund. Arschbombenalarm.<br />

Ein Freibad ist wie Menschenkino, alle<br />

Genres sind erlaubt. Doch mit den Jahren<br />

ändert sich die Rolle, man ist Zuschauer,<br />

nicht mehr Hauptdarsteller, man entdeckt<br />

das Nichtstun als Kulturtechnik. DerWasserkreislauf<br />

schließt sich, wenn die eigenen Kinder<br />

begreifen, dass Baden mehr sein kann als<br />

Körperpflege. Dass ins Becken mehr Spielzeug<br />

passt als in eine Wanne.<br />

Die Kinder von heute gehen freitags für<br />

den Umweltschutz auf die Straße,sind einerseits<br />

gegen Plastikmüll, andererseits schleppen<br />

sie am Wochenende aufblasbare Flamingos<br />

ins Schwimmbad, parken angeknabberte<br />

Plastikdonuts achtlos im Wasser wie<br />

Papa den SUV auf dem Fahrradweg.<br />

DasFreibad bietet viel mehr als Erholung<br />

und Unterhaltung, es ist ein demokratischer<br />

Ort. An den Kassenhäuschen gibt es keine<br />

Klassenunterschiede. Inden Umkleidekabinen<br />

haben alle ein Recht auf Föhn und Fußpilz.<br />

Alle Menschen sind gleich imWasser.Im<br />

Leitbild der <strong>Berliner</strong> Bäder-Betriebe steht<br />

zuerst: „Wir bieten ein wohnortnahes und<br />

abwechslungsreiches Angebot für die Bevölkerung<br />

in ihrer gesamten Vielfalt.“<br />

Handtuch gelegt an Decke,Schwimmflügel<br />

gefühlt auf Beinschlag wird man zum<br />

Zeugen von Tattootrends und Bräunungsgraden,<br />

Kritiker von Baucheinzugskünsten.<br />

Man kann leichte oder leichteste Bademode<br />

aus drei Jahrzehnten studieren, sich fragen,<br />

ob da einer noch schwimmt oder schon Erste<br />

Hilfe braucht. Man sieht Paare daran scheitern,<br />

Zärtlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren.<br />

Man spürt die Angst auf dem<br />

Zehnmeterturm, wenn dieWasseroberfläche<br />

auf die Größe einer Blauen Mauritius zusammenschrumpft.<br />

Und irgendwo steht immer<br />

ein Halbstarker an der Schwelle zur Vollidiotie.<br />

Weil er es muss, weil er es gerade im<br />

Schwimmbad am besten kann. DiePubertät<br />

ein feuchter Schrei nach Liebe.<br />

DIE RETTUNGSSCHWIMMERIN Das Sommerbad<br />

Wilmersdorf wurde 1956 auf dem<br />

Gelände eines abgerissenen Gaswerks angelegt.<br />

Das Wiesengrün ist satt, ein Ring aus<br />

Bäumen spendet Schatten, man kann hier<br />

die Großstadtseele an einem wolkenlosen<br />

Himmel baumeln lassen. In Eingangsbereich<br />

klebt ein ausgeschnittenes Zitat von<br />

Mark Twain:„Sommer ist die Zeit, das zu tun,<br />

wozu es im Winter zu kalt war.“ An diesem<br />

Vormittag ist der Herbst schon nah. BisEnde<br />

September dauerthier das Abbaden.<br />

Fünf Mädchen haben sich im Sitzkreis arrangiert,<br />

picken Weintrauben aus einer Tupperdose.Eine<br />

Frau baut eine Kopfklappliege<br />

auf, das Xaus Kondensstreifen über Berlin<br />

sieht nur so aus wie ein durchkreuzter Urlaubsplan.<br />

„Ich wäre lieber auf einer Insel“,<br />

sagt ein Mann. „Aber hier ist es auch schön.“<br />

VonPaul Linke<br />

Es gibt keine Studie, die<br />

mehr Migration mit<br />

mehr Gewalt in Verbindung<br />

bringt. Keinen<br />

Beweis für mehr Kriminalität<br />

in deutschen<br />

Schwimmbädern.<br />

Er liegt auf einem Sitzkissen eines Erdnusslockenherstellers,Schriftzug:<br />

„Lock dich aus.“<br />

Es gibt drei Becken, für große Schwimmer,<br />

kleine Plantscher, Springer vom Brett<br />

und Turm.Hier taucht ein Kopf auf, dorttauchen<br />

zwei unter, ein Kraulen und Kräuseln,<br />

Kinder lachen. Es riecht nach Sonnencreme,<br />

Chlor, Pommes, Gummischlangen kosten<br />

fünfzig Cent am Snackpoint. „Im Sommer<br />

machen wir immer Schaschlik“, erklärt ein<br />

Badegast einem anderen. „Mit Mayonnaise,<br />

Zitronensaft, so wirddas Fleisch zart.“<br />

Auch in diesem Sommer gab es meist nur<br />

negative Meldungen: „Schwimmbad evakuiert:<br />

Gefährliche Chemikalie bedroht Badegäste“<br />

(Nordrhein-Westfalen), „Wegen Kabelbrands:<br />

Rund 350 Menschen verlassen<br />

Schwimmbad“ (Rheinland-Pfalz), „Erneuter<br />

Einbruch in den Schwimmbadkiosk“ (Baden-Württemberg).<br />

Immer wieder gab es auch Schlagzeilen,<br />

die mit „Tatort Schwimmbad“ begannen<br />

und mit rassistischen Debatten endeten, wie<br />

nach den Vorfällen im Düsseldorfer Rheinbad<br />

Ende Juni. AfD-Bundessprecher Jörg<br />

Meuthen schrieb von „aggressiven Migranten“<br />

auf Facebook, „friedliche Badegäste“<br />

seien bedroht worden. DiePolizei stellte später<br />

fest: „nichts Strafrelevantes“.<br />

Doch Fakes verfingen mehr als Fakten.<br />

DieFolgen des Klimawandels im Schwimmbad:<br />

aus Spaß wurde Angst. Derrechtspopulistischen<br />

AfD ist es egal, dass es keine Untersuchung<br />

gibt, die mehr Migration mit mehr<br />

Gewalt in Verbindung bringt, dass Kriminalität<br />

in Schwimmbädern nicht zugenommen<br />

hat, wie eine Recherche der ARD ergab.<br />

Rettungsschwimmerin Barbara Stubbe,<br />

65, Lichtschutzfaktor 50, Sonnenbrille, kurz<br />

in Blau und Rot bekleidet, sagt am Beckenrand:„Wir<br />

wollen, dass auch mal positiv über<br />

Schwimmbäder berichtet wird.“ Sanierungsbedarf,<br />

Schließungen, Personalmangel,<br />

schon klar. Aber wann bitteschön stand<br />

schon mal in der <strong>Zeitung</strong>, dass eine Familie<br />

einfach mal nur einen glücklichen Tagim<br />

Schwimmbad verbracht hat?<br />

Stubbe hat die Aufsicht über das Kinderbecken<br />

in Wilmersdorf. Mit vierzehn wurde<br />

sie zum ersten Mal DDR-Meisterin im Rückenschwimmen,<br />

mit sechzehn gewann sie<br />

Staffelgold bei den Europameisterschaften<br />

in Barcelona, mit achtzehn hörte sie auf,<br />

studierte SportinLeipzig, wurde Schwimmtrainerin.<br />

Ihr Leben war immer nah am<br />

Wasser gebaut. „Man braucht Gefühl“, sagt<br />

sie, „man schwimmt nicht gegen das Wasser,das<br />

Wasser ist mein Freund.“<br />

DasSchwimmbad sei wie ein Familienbetrieb.<br />

Nette Kollegen, mit denen sie lachen<br />

kann, freundliche Gäste, mit denen es sich<br />

plaudern lässt. Stubbe korrigiert auch mal<br />

die Kraultechnik. Man schwimmt ja ruhiger<br />

als früher,achtet mehr auf eine stromlinienförmige<br />

Haltung, weniger auf die Kraft. Auf<br />

Freunde prügelt man nicht ein. Stubbe wird<br />

das alles vermissen, wenn sie bald in Rente<br />

geht. Es ist ihr letzter Sommer im Freibad.<br />

Es gab auch mal Probleme.Serben, Kroaten,<br />

arabische Großfamilien, deutsche Kleingeister.<br />

Studien beweisen, dass Hitze und<br />

nicht Herkunft mit Aggression zusammenhängt.<br />

Seit Jahren sei es ruhig, sagt Stubbe.<br />

„Die Leute haben verstanden, dass sie nicht<br />

alles machen können, dass sie nur Gäste hier<br />

sind.“ Sie haben trotzdem eine direkte<br />

Durchwahl in die nächste Polizeistation.<br />

Und ja, manchmal finden sie morgens leere<br />

Flaschen am Beckenrand. Es gibt keine Löcher,aber<br />

ein paar Schwachstellen im Zaun.<br />

Was Stubbe wirklich Sorgen macht: „Es<br />

gibt zu viele Kinder, die nicht schwimmen<br />

können.“ Sieahnt die nächste Frage.Nein, in<br />

über zwanzig Jahren sei nichts passiert, nur<br />

ein paar aufgeschürfte Knie.Aber das ist eher<br />

keine Meldung wert. Auch nicht, dass ein<br />

Schwimmbadbesuch nicht gefährlicher sein<br />

muss als ein Spaziergang im Park,dasWarten<br />

auf den Bus. Unterschied: Da kommt keiner<br />

angerannt, wenn das Herz mal stehenbleibt.<br />

DIE SCHWIMMAKTIVISTIN Bianca Tchinda<br />

lernte das Schwimmen im Fluss, als sie vier<br />

Jahrealt war.Dumusst schneller sein als die<br />

Fische, sagte ihr Vater. Sie war zumindest<br />

schneller als andereKinder,nahm in Niedersachsen<br />

an Meisterschaften teil. Mit vierzehn<br />

hatte sie aber andere Pläne, nicht die<br />

Disziplin, die es braucht, um Leistungssportlerin<br />

zu werden. Beharrlich ist sie aber<br />

schon, man nennt sie Schwimmaktivistin.<br />

Tchinda, 55, trägt ein Kopftuch aus modischen<br />

Gründen, wir sitzen auf Holzbänken.<br />

Die ersten Frühschwimmer kommen um<br />

kurznach zehn ins Sommerbad Mariendorf,<br />

einem„Paradies der Großstadt“, wie Tchinda<br />

sagt. Gleich wird sie eine Badekappe aufsetzen.<br />

Mindestens zwölf Kilometer schwimmt<br />

sie pro Woche, sie zählt Kacheln, bevor die<br />

nächste Wende kommt. „Schwimmen“, sagt<br />

sie,„ist eine Lebenseinstellung.“<br />

Tchinda hat den Verband der <strong>Berliner</strong> Bäderbesucher<br />

gegründet, der sich für die Bedürfnisse<br />

der nicht im Verein organisierten<br />

Schwimmer einsetzt. Es geht um jede freie<br />

Bahn, um defekte Drehkreuze oder veränderte<br />

Schließzeiten. Tchinda bloggt und<br />

twittert, sie geht in Archive, sucht, findet im<br />

Tempelhofer Pohlezettel den Preis für eine<br />

Einzelkarte: Mariendorf 1955, 40 Pfennige –<br />

heute 5,50 Euro. ImLeitbild der <strong>Berliner</strong> Bäder-Betriebe<br />

steht zuletzt: „Wir sind ein Unternehmen<br />

der Daseinsvorsorge.Wirtschaftlichkeit<br />

und Kostenbewusstsein sind für uns<br />

Richtschnur unserer Auftragserfüllung.“<br />

Richtig aktiv wurde Tchinda, nachdem<br />

die Bäder-Betriebe eine ihrer Anfragen mit<br />

einer Lüge beantwortet hatten. Das ärgerte<br />

sie.Und der Ärger trieb sie an. „InBerlin gibt<br />

es tausend Gründe, etwas nicht zu machen,<br />

statt die Gründe aus dem Wegzuschaffen<br />

und einfach mal anzufangen.“ Aus dem Interessenverband<br />

soll ein Förderverein werden,<br />

der Bäder stundenweise oder komplett<br />

übernehmen könnte.<br />

Die Menschen, so sieht Tchinda das, sollen<br />

sich mehr identifizieren mit ihren Kiezbädern,<br />

sollen selbst anpacken, wenn einer<br />

Wand die Farbe fehlt oder einer Grünanlage<br />

das Wasser. Sie sollen teilhaben an der Gestaltung<br />

dieser demokratischen Orte, zumal<br />

in einer Stadt wie Berlin, wo das Wetteifern<br />

zweier Systeme die größte Badelandschaft<br />

Europas entstehen ließ. Die gute Nachricht<br />

ist: Dernächste Sommer kommt bestimmt.<br />

Dann kann man in der Stadt bleiben,<br />

muss keine Angst haben voreinem Tagesurlaub<br />

im Schwimmbad. Man darf auch mal<br />

seitlich ins Becken einspringen, wenn der<br />

Bademeister nicht hinschaut. Aber nach<br />

zwei Portionen Pommes sollte man besser<br />

nicht ins Wasser gehen. Nicht mal außerhalb<br />

der gesetzlichen Öffnungszeiten.

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