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Berliner Zeitung 15.10.2019

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16 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 239 · D ienstag, 15. Oktober 2019<br />

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Wissenschaft<br />

Noch ist das Herz etwasogroß wie eine Kirsche. Aber alles ist da: Blutgefäße, Gewebe, Zellen, Kammern. Ein israelischer Forscher zeigt den Prototyp. DPA/ILIA YEFIMOVICH (2)<br />

Herz aus dem Drucker<br />

Israelische Forscher stellen Organe per 3D-Drucker her.Diese könnten eines Tages Transplantationen überflüssig machen. Ein Besuch im Labor in TelAviv<br />

VonFranziska Knupper<br />

Wenn Assaf und sein<br />

Kollege Paolo gleichzeitig<br />

im Raum sind,<br />

ist das Labor proppevoll.<br />

Viel Platz haben die beiden Wissenschaftler<br />

nicht. Das kleine Zimmer<br />

teilen sie sich mit Reagenzgläsern,<br />

Kühlschränken, Petrischalen,<br />

Kabeln in jeder Form und Farbe und<br />

zwei großen 3D-Druckern. „So ein<br />

Ding kostet um einiges mehr als ein<br />

Auto“, sagt Paolo, der in der Forschergruppe<br />

der George S. Wise Faculty<br />

of Life Sciences an der Universität<br />

TelAviv für die beiden Maschinen<br />

verantwortlich ist. Mit ihnen ist<br />

den israelischen Wissenschaftlernso<br />

etwas wie eine Revolution gelungen:<br />

In diesem vollgestopften Laborraum<br />

wurde das erste von Menschenhand<br />

gemachte Herz geboren.<br />

Zellen müssen zusammenarbeiten<br />

Vorsichtig dreht Laborleiter Assaf<br />

Shapira einen Prototyp, der in Glas<br />

eingefasst wurde,zwischen Daumen<br />

und Zeigefinger. Noch ist das Organ<br />

etwa so groß wie eine Kirsche. Aber<br />

alles ist da: Blutgefäße,Gewebe,Zellen,<br />

Kammern, Pumpe. „Nur eben<br />

bisher ganz klein“, sagt Assaf Shapira.<br />

PerBiopsie wurde Patienten zunächst<br />

eine Schicht Fettgewebe entnommen<br />

und in zelluläre und nicht<br />

zelluläre Bestandteile getrennt. Die<br />

Fettzellen wurden zu Stammzellen<br />

umprogrammiert, diese differenzierten<br />

sich wiederum in Herzzellen.<br />

Der Rest –das sogenannte extrazelluläreMaterial<br />

–wirddann zu einem<br />

sogenannten Hydrogel verarbeitet.<br />

„Das Ganze nennt man auch Biotinte“,<br />

erklärtPaolo und hält ein grünes<br />

Ventil ins Neonlicht: „Und die<br />

kommt dann hier raus“. Bereits seit<br />

neun Jahren gibt es das Labor um Tal<br />

Dvrir und Assaf Shapira. Mit dem<br />

Boom um 3D-Drucker vor etwa fünf<br />

Jahren änderte sich jedoch einiges.<br />

„Wissenschaft und Technik entwickeln<br />

sich ja nicht linear,sondernexponentiell“,<br />

sagt Assaf Shapira. „Das<br />

heißt, eine Erfindung baut auf der<br />

nächsten auf und das Tempo beschleunigt<br />

sich damit zusehends.“<br />

Aber er äußert sich vorsichtig, was<br />

die möglichen Ergebnisse betrifft. Er<br />

glaube zwar an das Projekt, wisse<br />

aber auch, dass noch einige Hürden<br />

zu überwinden seien, bis man wirklich<br />

von funktionierenden Organen<br />

aus dem 3D-Drucker sprechen<br />

könne.<br />

„Wir haben lediglich auf dem aufgebaut,<br />

was unsere Kollegen überall<br />

in der Welt schon erforscht haben“,<br />

sagt Assaf Shapira. Denn Versuche,<br />

Organe und Gewebe per 3D-Drucker<br />

herzustellen, gibt es an verschiedenen<br />

Orten der Welt. Erst jüngst zeigten<br />

Wissenschaftler der University of<br />

Washington und der Rice University<br />

in Texas, dass sich auch eine Lunge<br />

gut ausdrucken lässt. In Israel konzentriert<br />

sich der Großteil der Forschung<br />

auf Haut und Knorpelgewebe.„Dasliegt<br />

vorallem daran, dass<br />

wir nicht gerade ein friedlicher Ort<br />

sind. Die Nachfrage an kosmetischer<br />

Chirurgie nach Militäreinsätzen ist<br />

sehr hoch“, sagt Assaf Shapira.<br />

In puncto Herz ist das größte<br />

Problem jedoch nicht die Drucktechnik,<br />

wie er erklärt. Es reicht leider<br />

nicht, die Zellen an der richtigen<br />

Stelle zu positionieren. Sie müssen<br />

auch so zusammenarbeiten, dass sie<br />

Organfunktionen übernehmen können.<br />

Denn auch wenn das Mini-Herz<br />

eigentlich über alles verfügt, was es<br />

3D-Drucker in der Medizin.<br />

Bereits heute entstehen in<br />

der Medizin in großem Stil<br />

genau an Patienten angepasste<br />

Zahnkronen, Hörgeräte<br />

und Knochenimplantate<br />

per 3D-Druck. Auch chirurgische<br />

Instrumente und sogar<br />

Tabletten werden auf diese<br />

Weise hergestellt.<br />

EINE WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION<br />

zum Schlagen braucht, können sich<br />

die Zellen noch nicht synchron zusammenziehen.<br />

Außerdem muss<br />

das Herz noch um einiges an Größe<br />

zulegen. Es soll wachsen und Proteine<br />

bilden, die Blutgefäße müssen<br />

sich verdichten, damit auch genug<br />

Sauerstoff ins Gewebe vordringen<br />

Bioprinter. Hierbeihandelt<br />

es sich um 3D-Drucker fürorganische<br />

Substanzen. Das<br />

Forschungsfeldheißt Tissue<br />

Engineering.Forscher können<br />

erste ErfolgeanPatienten vorweisen.<br />

Schottische Forscher<br />

stellten etwafür einjunges<br />

Mädchen,das an einer Fehlbildung<br />

litt,ein neues Ohr her.<br />

Organe aus dem Drucker.<br />

US-Forscherstellten in diesem<br />

Jahrein 3D-Organ vor, dasdie<br />

Lungenachahmtund tatsächlich<br />

in der Lagewäre, das Blut<br />

mit Sauerstoff zu versorgen.<br />

Indische und US-Forscher entwickeln<br />

Lebergewebe,das Patienten<br />

mit Leberversagen implantiertwerden<br />

könnte.<br />

Mit diesem 3D-Drucker wird das Herz aus menschlichem Gewebe hergestellt.<br />

kann. „Hohle oder flache Strukturen<br />

wie etwa die Haut, die Blase oder<br />

eine Vene besitzen lediglich eine<br />

dünne Oberfläche, die versorgt werden<br />

muss“, sagt Assaf Shapira. „Organe<br />

wie Herz und Leber hingegen<br />

sind voluminös,und wir haben noch<br />

nicht genau verstanden, wie wir in<br />

die Mitte des Herzens vordringen<br />

und sie konstant mit genügend Sauerstoff<br />

versorgen können.“ Gelingt<br />

das aber nicht, sterben die Zellen im<br />

Inneren des Gewebes ab. „Oh, es<br />

sind hier schon einige Herzen gestorben“,<br />

fügt Assaf hinzu. „Bestimmt<br />

an die hundert.“<br />

Um das zu verhindern, muss ein<br />

Bioreaktor her. Der kommt aus<br />

Deutschland. In diesem Tank soll das<br />

Herz reifen. Nährstoffe zirkulieren in<br />

ihm frei wie Fischfutter in einem<br />

Aquarium. Etwa zwei Wochen nach<br />

dem Drucken sollten die Zellen dann<br />

beginnen, „miteinander zu sprechen“,<br />

wie Assaf Shapira es ausdrückt.<br />

Sie organisieren sich selbst.<br />

Immerhin sind es Herzzellen, die<br />

wissen, was zu tun ist. „Na ja, ein<br />

Herz ist schon toll, aber nicht so<br />

komplex wie eine Leber. Letztendlich<br />

ist es nur eine Pumpe“, sagt der<br />

Wissenschaftler.Man könne sie auch<br />

mechanisch –also zum Beispiel aus<br />

Plastik – herstellen, fügt er hinzu.<br />

DasProblem dabei sei allerdings die<br />

Immunreaktion des Patienten.<br />

Damit spricht der Biologe eines<br />

der größten Probleme bei Organtransplantationen<br />

an: Besteht das<br />

Gewebe nicht aus dem Zellmaterial<br />

des Patienten selbst, kommt es oft zu<br />

einer Abwehrreaktion des Körpers.<br />

Das fremde Organ wird abgestoßen.<br />

Patienten sind ihr Leben lang auf<br />

Medikamente angewiesen. Manchmal<br />

scheitert eine Transplantation<br />

auch ganz. DasHerzaus TelAviv hingegen<br />

wärekomplett kompatibel mit<br />

dem Empfänger, weil es aus dessen<br />

Gewebe geschaffen wurde. Esgliche<br />

dem eigenen Herzen auch in Form<br />

und Struktur. Mithilfe der Computertomographie<br />

wollen die Forscher<br />

personalisierte Formen entwerfen,<br />

die perfekt auf die Größe und das Alter<br />

des Patienten angepasst sind.<br />

Die Hoffnung, dass auf diese<br />

Weise der chronische Mangel an<br />

Spenderorganen behoben werden<br />

könnte, treibt Forscher weltweit an.<br />

Patienten warten nicht selten sechs<br />

bis acht Jahre auf ein Spenderorgan.<br />

Viele sterben, bevor eines zur Verfügung<br />

steht. Die Spendebereitschaft<br />

in der Bevölkerung ist zurückgegangen.<br />

Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation<br />

(DSO) zählte im<br />

gesamten Jahr 2017 nur 797 Spender.<br />

Dies war die geringste Zahl seit<br />

zwanzig Jahren.<br />

Weniger Tierversuche<br />

Wenn es nach Professor Tal Dvrir,<br />

dem Leiter der TelAviver Studie geht,<br />

liegt die Lösung auf der Hand: Bereits<br />

in etwa zehn Jahren würden Krankenhäuser<br />

eigene Drucker haben und<br />

problemlos Organe, Haut und Adern<br />

drucken, wenn Bedarf bestehe, sagt<br />

er. Vielleicht sei es im nächsten Jahr<br />

schon so weit, dass man die Herzen<br />

aus dem Bioreaktor in Tierversuchen<br />

testen kann. Aber auch das soll bald<br />

der Vergangenheit angehören –mithilfe<br />

der In-Vitro-Technologie. Denn<br />

könne man erst Systeme aus menschlichen<br />

Zellen entwickeln, eigneten<br />

sich diese auch besser für Versuche<br />

als Tiere, so TalDvrir.<br />

Mehr Ersatzorgane,weniger Tierversuche<br />

–die Arbeit von Assaf Shapira<br />

und Tal Dvir ist wichtig. Und<br />

eine ganz so ferne oder gar utopische<br />

Vision ist sie auch nicht mehr:„Jede<br />

wissenschaftliche Innovation klingt<br />

am Anfang erstmal nach Science Fiction“,<br />

der Assaf Shapira. „Aber ich<br />

hoffe –nein, ich glaube –, dass ich<br />

diese Dinge noch in meiner Lebenszeit<br />

erleben werde.“<br />

Soziale Ungleichheit gab es schon in der Bronzezeit<br />

Forscher untersuchten in der Nähe von Augsburg das Zusammenleben von Menschen vor etwa 4000 Jahren. Sie fanden heraus: Reichtum wurde schon damals vererbt<br />

Eine wohlhabende Kernfamilie,<br />

die mit sozial niedriger gestellten<br />

Menschen unter einem Dach lebt:<br />

Schon vor 4000 Jahren herrschte offenbar<br />

soziale Ungleichheit, die sich<br />

innerhalb eines Haushalts über Generationen<br />

hielt. Das berichtet ein<br />

Forscherteam im Fachblatt Science.<br />

Ausgrabungen im Lechtal südlich<br />

vonAugsburgzeichnen das Bild einer<br />

Gesellschaft mit komplexer Sozialstruktur,inder<br />

Besitz und Status vererbt<br />

wurden. Ein Team, zu dem Forscher<br />

aus Jena, Tübingen und München<br />

gehörten, analysierte Reste aus<br />

bronzezeitlichen Gräberfeldern im<br />

Lechtal. Als Bronzezeit wird für Mitteleuropa<br />

der Zeitraum zwischen<br />

2200 bis 800 vorChristus bezeichnet.<br />

DieWissenschaftler untersuchten<br />

nicht nur die Grabbeigaben, sondern<br />

auch genetische Daten von 104 Individuen,<br />

um die Verwandtschaftsverhältnisse<br />

festzustellen. Daraus gewannen<br />

sie einen tiefen Einblick in<br />

das Zusammenleben jener Zeit.<br />

„Reichtum korrelierte entweder mit<br />

biologischer Verwandtschaft oder<br />

Herkunft aus der Ferne. Die Kernfamilie<br />

vererbte ihren Besitz und Status<br />

weiter“, erklärtPhilipp Stockhammer<br />

von der Universität München. „Aber<br />

in jedem Bauernhof haben wir auch<br />

arm ausgestattete Personen lokaler<br />

Herkunft gefunden.“ Solche komplexen<br />

Strukturen des Zusammenlebens<br />

sind aus dem alten Rom oder dem<br />

klassischen Griechenland bekannt.<br />

Die Menschen im Lechtal lebten jedoch<br />

mehr als 1500 Jahrefrüher.„Das<br />

zeigt erstmals, wie lang die Geschichte<br />

sozialer Ungleichheit in Familienstrukturen<br />

zurückreicht.“<br />

Dass sich in der Bronzezeit hierarchische<br />

Strukturen ausbildeten, ist<br />

nicht neu. Die Archäologen überraschte<br />

allerdings, dass diese Hierarchien<br />

innerhalb eines Haushalts existierten<br />

und das über Generationen<br />

hinweg. Sie konnten den Status der<br />

Verstorbenen an den Grabbeigaben<br />

ablesen. Für sozial höher gestellte<br />

Männer waren das vor allem Waffen<br />

wie Dolche,Äxte oder Pfeilspitzen, für<br />

Frauen aufwendiger Kopfschmuck<br />

oder große Beinringe. Solche Beigaben<br />

erhielten nur eng verwandten Familienmitglieder<br />

sowie Frauen, die<br />

aus 400 bis 600 Kilometern Entfernung<br />

in die Familien kamen.<br />

Bereits früher hatten die Forscher<br />

gezeigt, dass die Mehrheit der Frauen<br />

im Lechtal aus der Fremde stammte<br />

und beimWissenstransfer vermutlich<br />

eine entscheidende Rolle spielte. Die<br />

aktuelle Untersuchung passt zu diesem<br />

Befund. Die genetischen Analysen<br />

erbrachten Stammbäume, die<br />

vier bis fünf Generationen umfassten<br />

und nur männlicheVerwandtschaftslinien<br />

enthielten. Die Archäologen<br />

folgern, dass die weiblichen Nachkommen<br />

den Hofverlassen mussten,<br />

wenn sie das Erwachsenenalter erreichten.<br />

Bei den Müttern der Söhne<br />

handelte es sich ausschließlich um<br />

zugezogene Frauen. Die Bauernhöfe<br />

wurden über die männlichen Linien<br />

vererbt. Das System blieb über 700<br />

Jahrestabil.<br />

Neben den reich bestatteten Mitgliedern<br />

der Kernfamilie fanden die<br />

Wissenschaftler auch arm bestattete,<br />

nicht verwandte einheimische Mitglieder<br />

in den Haushalten. „Wir können<br />

leider nicht sagen, ob es sich bei<br />

diesen Individuen um Knechte und<br />

Mägde oder vielleicht sogar eine Art<br />

von Sklaven gehandelt hat“, sagte<br />

eine Forscherin. (dpa/fwt)

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