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Berliner Zeitung 15.10.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 239 · D ienstag, 15. Oktober 2019 – S eite 18<br />

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Sport<br />

Sein Herz schlägt für den Adler:Das demonstriertIlkayGündogan nach einem seiner zwei Treffer für die deutsche Elf in der EM-Qualifikation gegen Estland nicht nur dem Teamkollegen Niklas Süle.<br />

AP/MEE<br />

Zum Umgang mit der Meinungsfreiheit<br />

An Ilkay Gündogan und einem Like auf Instagram zeigt sich, dass sich Fußballprofis gesellschaftlicher Verantwortung nicht entziehen können –ein Kommentar<br />

VonChristian Schwager<br />

Esgibt einen Begriff, der erst<br />

einmal komisch klingt, der<br />

aber eine wichtige Unterscheidung<br />

vornimmt: Fußball-Intelligenz.<br />

Die hat nicht<br />

zwangsläufig mit dem landläufig als<br />

Intelligenz bezeichneten Geisteszustand<br />

zu tun. Der Fußballprofi Ilkay<br />

Gündogan legt diesen Schluss jedenfalls<br />

nahe. Der Mittelfeldspieler von<br />

Manchester City verfügt über Fußball-Intelligenz.<br />

Dashat er beim 3:0-<br />

Sieg im Qualifikationsspiel der deutschen<br />

Nationalelf gegen Estland bewiesen.<br />

In Tallinn erzielte der 28<br />

Jahrealte Gelsenkirchener mit türkischen<br />

Wurzeln zwei Treffer und bereitete<br />

den dritten vor.<br />

Zuvor hatten Ilkay Gündogan<br />

und sein Auswahlkollege Emre Can<br />

mit Instagram-Likes für ein Foto<br />

Rückschlüsse auf ihre politische Intelligenz<br />

ermöglicht. Das Foto zeigt<br />

türkische Fußballer nach dem Siegtor<br />

von Cenk Tosun beim 1:0 gegen<br />

Albanien mit der Hand an der Stirn.<br />

Ein militärischer Gruß, als solcher<br />

bewusst gewählt.Wardawas? Syrien,<br />

Angriffe der Türkei? Geschütze, die<br />

schießen? Menschen, die sterben?<br />

Dertürkische Fußball-Verband teilte<br />

mit, der Militärgruß sei den bei der<br />

„Operation Friedensquelle“ eingesetzten<br />

türkischen Soldaten gewidmet<br />

gewesen. Und fand offenbar<br />

nichts Anstößiges daran.<br />

Inzwischen haben beide ihre<br />

Likes zurückgezogen. „Dass das so<br />

eine Dimension annimmt, konnte<br />

keiner erwarten“, sagte DFB-Direktor<br />

Oliver Bierhoff. Wie auch, nachdem<br />

ein Foto von Ilkay Gündogan<br />

zusammen mit dem Kollegen Mesut<br />

Özil im vergangenen Jahr mit dem<br />

türkischen Präsidenten Recep<br />

Tayyip Erdogan wochenlang für<br />

Schlagzeilen und Özils Rücktritt aus<br />

der deutschen Nationalelf gesorgt<br />

hat. Eine Episode übrigens, in der<br />

Bierhoff nicht die glücklichste Hand<br />

als Krisenmanager bewies.<br />

Eben jener Bierhoff teilte nun mit,<br />

dass auch viele andere Spieler auf<br />

derWelt das Foto geliked hätten, und<br />

Zuversicht: Joachim Löw<br />

wischt Zweifel an der EM-Teilnahme<br />

weg. „Die letzten beiden<br />

Spiele wollen und werden<br />

wir gewinnen. Wirwerden<br />

uns qualifizieren“, sagt<br />

der Bundestrainer nach dem<br />

3:0 (0:0) in Estland.<br />

als sei damit alles erklärt, fügte er<br />

hinzu: „Jetzt kann man ja nicht allen<br />

unterstellen, dass sie für Krieg und<br />

Terror sind.“<br />

Wie gesagt: Fußballerische Intelligenz<br />

ist eine spezielle funktionale<br />

Form der Klugheit und fehlender<br />

Durchblick ja auch gemeinhin nicht<br />

strafbar, einerseits. Andererseits<br />

wird fußballerische Intelligenz belohnt.<br />

Im Fall der Herren Gündogan<br />

EM-QUALIFIKATION<br />

Zustand: Deutschland liegt<br />

punktgleich an der Spitze der<br />

Gruppe Chinter den Niederlanden.<br />

Zwei Siegesind zum<br />

Abschluss der Qualifikation<br />

im November gegenWeißrussland<br />

und Nordirland fest<br />

eingeplant.<br />

Zukunft: Der Bundestrainer<br />

kündigte für diese Woche<br />

„einigeTelefonate“ mit den<br />

verletzten Spielernan. „Mal<br />

sehen, werimNovember zurückkommt.“<br />

Unter anderen<br />

hatte der Herthaner Niklas<br />

Stark passen müssen.<br />

und Can mit sehr gut dotierten Verträgen<br />

und einem Leben in der Öffentlichkeit.<br />

Dieses angenehme Leben<br />

ist allerdings mit einem Mindestmaß<br />

an Verantwortungsbewusstsein<br />

verbunden. Denn<br />

Profisportler, nicht nur aus der Fußballbranche,<br />

erfüllen eine Vorbildfunktion.<br />

Das ist Teil des Geschäfts,<br />

in die üppige Bezahlung gleichsam<br />

eingepreist.<br />

EinRadprofi etwa, der gedopt den<br />

Gipfel des Tourmalet hinaufstrampelt<br />

und dabei erwischt wird, verliert<br />

seinen Vertrag, weil er Bewunderern<br />

Betrug vorlebt. Ein besoffener Basketballer,<br />

der im Sportwagen rote<br />

Ampeln missachtet, fliegt zumindest<br />

zeitweise aus seiner Mannschaft,<br />

weil er gegen Gesetze verstößt. Wie<br />

sollte nun ein Statement bewertet<br />

werden, das als Sympathiebekundung<br />

für einen militärischen Einsatz<br />

zumindest missverstanden werden<br />

kann? Zweitligist FC St. Pauli stellte<br />

Cenk Sahin wegen dieser Geste frei.<br />

Natürlich ist einem Berufssportler<br />

eine politische Meinung gestattet.<br />

Selbstverständlich kann er sich<br />

politisch engagieren. Auch ist Sport<br />

nicht unpolitisch, selbst wenn es<br />

seine Führer gern und oft behaupten.<br />

Sportmacht Politik, wie die Vergabe<br />

von Milliardenprojekten nach<br />

Art einer Fußball-Weltmeisterschaften<br />

oder Olympia zeigt. Doch Athleten<br />

dürfen ihren durch Sport erworbenen<br />

gesellschaftlichen Rang nicht<br />

missbrauchen.<br />

Das hat übrigens die Türkei ganz<br />

klar zum Ausdruck gebracht. Im Fall<br />

des Basketball-Profis Enes Kanter<br />

vom NBA-Team der Boston Celtics.<br />

Der 27Jahre alte Center hatte sich<br />

kritisch zu Erdogans Politik geäußert.<br />

Er bekannte sich nach dem gescheiterten<br />

Putschversuch 2016 in<br />

der Türkei zu dem islamischen Prediger<br />

Gülen, dem mutmaßlichen Urheber,<br />

über Twitter, ebenfalls über<br />

ein soziales Netzwerk also. Sein Account<br />

wurde in der Türkei gesperrt,<br />

sein türkischer Pass annulliert. Vater<br />

Kanter legte dem Sohn nahe,den Familiennamen<br />

nicht mehr zu tragen.<br />

Ilkay Gündogan wird sicher froh<br />

sein, dass ihn hierzulande das Recht<br />

auf Meinungsfreiheit immerhin so<br />

weit schützt. Ein kostbares Recht,<br />

das einen verantwortungsbewussten<br />

Umgang verdient.<br />

Christian Schwager<br />

unterscheidet zwischen Intelligenz<br />

und Fußball-Intelligenz.<br />

Wievon einem anderen Stern<br />

Mercedes hat seit der Einführung des Hybrid-Reglements in jeder Saison die Formel-1-Weltmeisterschaft dominiert. Dafür gibt es mehrere Gründe<br />

VonElmar Brümmer,Suzuka<br />

Die Formel-1-WM als Meisterschaft<br />

der Werte. So sehen sie<br />

das tatsächlich in dem Team, dass<br />

seit Einführung des Hybrid-Reglements<br />

bisher in jedem Jahr den Titel<br />

einsacken konnte. Mercedes hat<br />

auch in dieser Saison vorzeitig alles<br />

klar gemacht. Nach dem Sieg von<br />

Valtteri Bottas in Japan ist der Konstrukteurs-Pokal<br />

eingepackt, auch<br />

die Fahrer-WM wird nur noch zwischen<br />

den Sternfahrernausgetragen.<br />

Schon in zwei Wochen könnte Lewis<br />

Hamilton erneut Champion sein.<br />

Eine solches Sixpack gab es noch nie<br />

sieben Jahrzehnten Königsklasse,<br />

die Ära von Michael Schumacher<br />

und Ferrari zur Jahrtausendwende<br />

(sechs Team- und fünf Fahrer-Weltmeisterschaften)<br />

ist übertroffen. Die<br />

Frage: Wiemacht das Mercedes nur?<br />

Sechs Gründe für die sechs Doubles.<br />

Teamgeist: Jeder Mitarbeiter trägt<br />

ein Stück des Erfolges immer mit<br />

sich herum −esist ein Papier,das im<br />

Team-Rucksack steckt. Dortsind die<br />

Ziele formuliert, die sich die Mannschaft,<br />

aber auch jeder Einzelne für<br />

das Rennjahr gesetzt haben. Nachlesen<br />

muss diese gemeinsam zu Saisonbeginn<br />

erarbeitete Philosophie<br />

niemand. Teamchef Toto Wolff gesteht:<br />

„Es ist nicht leicht, sich jedes<br />

Jahr neu zu erfinden. Das funktioniert<br />

auch nicht über Powerpoint-<br />

Präsentationen, man muss die nötige<br />

Einstellung schon leben.“<br />

Führung: Wolff ist nach dem TodNiki<br />

Laudas alleine für den Rennstall verantwortlich.<br />

Der 47-Jährige ist nicht<br />

bloß Angestellter,sondernauch Mitbesitzer.Ein<br />

Erfolgsmensch, aber einer,der<br />

diesen Erfolg gernteilt –mit<br />

denen, auf denen er basiert. DerÖsterreicher<br />

pflegt das Prinzip der offenen<br />

Bürotür. Aber nicht bloß, weil<br />

das so modern klingt, sondern aus<br />

Überzeugung. Er ist gern Teil des<br />

Ganzen, aber es ist auch allen klar,<br />

dass er der unangefochtene Chef ist.<br />

In Feierlaune: Teamchef Toto Wolff (l.) und Suzuka-Sieger Valtteri Bottas.<br />

Struktur: Ausgerechnet der Tanker<br />

Mercedes,der mit seinen ersten Versuchen,<br />

ein komplett eigenes Rennteam<br />

zu starten, zweimal eher gescheitert<br />

war, ist seit 2013 zum<br />

Schnellboot geworden. Wolff hatte<br />

den Deal mit Dieter Zetsche ausgehandelt.<br />

Die Aufbauarbeit von Michael<br />

Schumacher, Ross Brawn und<br />

Norbert Haug begann mit dem Reg-<br />

IMAGO IMAGES<br />

lementwechsel zu Hybridmotoren<br />

Früchte zu tragen. Wolff schätzt an<br />

seinem Rennstall die technische und<br />

finanzielle Stärke des Konzerns im<br />

Rücken, aber auch dieWendigkeit eines<br />

Start-Ups: „Formel 1ist für mich<br />

der beste Cross-over zwischen Wirtschaft<br />

und Sport.“ Bedeutet nichts<br />

anderes als gnadenlose Effizienz und<br />

enormen Leistungsdruck: „In der<br />

Wirtschaft und der Politik gibt es immer<br />

noch eine Menge Ausreden,<br />

warum etwas nicht gelaufen ist. Aber<br />

bei uns bist du am Ende nur so gut,<br />

wie die Stoppuhr zeigt.“<br />

Motivation: Immer dann, wenn Mercedes<br />

einmal in so etwas wie eine<br />

Krise rutscht, traditionell im Frühherbst,<br />

greift ein mentaler Trick, den<br />

Motivator Wolff so beschreibt: „Die<br />

Tage, andenen sich der Erfolg nicht<br />

einstellt, sind auch jene Tage, andenen<br />

man den größten Fortschritt<br />

macht, sich am meisten weiterentwickelt.“<br />

Im vergangenen Herbst,<br />

und auch jetzt im Spätsommer wieder,<br />

als Ferrari mit einem stärkeren<br />

Auto die Wende einzuleiten drohte,<br />

hat die Fähigkeit zur schonungslosen,<br />

aber eben nicht vernichtenden<br />

Selbstkritik gegriffen.<br />

Technik: Der zehnte Silberpfeil der<br />

Neuzeit ist vonden reinen PS-Zahlen<br />

her nicht mehr das stärkste Auto der<br />

Königsklasse, aber dafür ein Rennwagen,<br />

der in allen Bereichen seine<br />

Stärken und insgesamt ziemlich wenige<br />

Schwächen hat. Das liegt an einer<br />

starken, 2013 entstandenen Basis,die<br />

seither permanent weiterentwickelt<br />

wird. Updates und Upgrades,<br />

mit denen die Konkurrenz häufig panisch<br />

Schwächen ausbügeln muss,<br />

kommen nach einem klaren Plan.<br />

Pioniergeist und Konzernressourcen<br />

ergänzen sich hier besonders gut.<br />

Fahrer: Lewis Hamilton kam als gebrochenes<br />

Talent zu Mercedes und<br />

hat sich zum natürlichen Leader,<br />

zum stärksten Fahrer seiner Generation<br />

entwickelt. Weil er sich entwickeln<br />

durfte. Selbst der Zwist mit<br />

Nico Rosbergist nur noch eine längst<br />

vergangene Episode für den Briten.<br />

Er lebt der ganzen Mannschaft Coolness,<br />

Disziplin und Gnadenlosigkeit<br />

vor. Und hat seinen Teamkollegen<br />

Valtteri Bottas fest im Griff, auch<br />

wenn dieser in Suzuka triumphieren<br />

konnte und Stallorder außer Frage<br />

stand.

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