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Berliner Zeitung 15.10.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 239 · D ienstag, 15. Oktober 2019 5 **<br />

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Politik<br />

JaroslawKaczynski führte seine PiS-Partei am Sonntag zu einem fulminanten Wahlsieg.Die PiS kann im polnischen Parlament, dem Sejm, weiter mit absoluter Mehrheit regieren.<br />

AFP/ WOJTEK RADWANSKI<br />

Kaczynski versteht keinen Spaß<br />

Staatsumbau in Polen: Nach dem Wahltriumph der nationalkonservativen PiS will der mächtige Parteichef eine andere Republik schaffen<br />

VonUlrich Krökel<br />

Das ikonische Bild dieser<br />

Wahl lieferte Jaroslaw<br />

Kaczynski. Der Chef der<br />

rechtskonservativen PiS<br />

war am Sonntag gerade vorseine Anhänger<br />

getreten, um mit ernster<br />

Stimme den historischen Sieg der<br />

Partei zu würdigen, da gesellte sich<br />

eine junge Frau zu ihm auf die<br />

Bühne.Sie hielt Kaczynski zum Dank<br />

für seinen Einsatz Dutzende Rosen<br />

in den polnischen Farben Weiß und<br />

Rot entgegen und strahlte ihn an.<br />

Der 70-Jährige warf ihr aber nur einen<br />

irritierten Blick zu, in dem die<br />

Frage lag: Was soll der Firlefanz?<br />

Dann redete er einfach weiter, über<br />

die „harte Regierungsarbeit, die vor<br />

uns liegt“.<br />

Die Szene sagte im Grunde alles,<br />

was man über Kaczynski wissen<br />

muss, umden Triumph der Nationalkonservativen<br />

bei der Parlamentswahl<br />

am Sonntag zu erklären.<br />

Zum Beispiel, dass die PiS ihrem<br />

Chef zu Füßen liegt und es an der autoritären<br />

Machtfülle des Vorsitzenden<br />

keinen Zweifel gibt.<br />

Kaczynskis Reaktion zeigte aber<br />

auch, dass es ihm unbedingt ernst<br />

ist mit seiner Ansage, dass „Politik<br />

Arbeit ist und ein Dienst an den<br />

Menschen“. Und genau das nahmen<br />

die meisten Polen dem PiS-<br />

Chef ab und statteten seine Partei<br />

deshalb erneut mit einer absoluten<br />

Mehrheit aus. Glaubwürdigkeit, so<br />

ließe sich folgern, ist die Basis des<br />

PiS-Erfolgs.<br />

Historisch war dieser Wahlsieg<br />

nicht nur,weil 43,6 Prozent der Stimmen<br />

und 239 von 460 Mandaten im<br />

Sejm das beste Ergebnis waren, das<br />

eine Partei im postkommunistischen<br />

Polen je erzielt hat. Die PiS<br />

legte bei einer Rekordbeteiligung<br />

auch um fast sieben Punkte zu, obwohl<br />

die Menschen zwischen Oder<br />

und Bugtraditionell dazu tendieren,<br />

ihre Regierungen abzustrafen. Weil<br />

sie Politik eher für ein dreckiges Geschäft<br />

halten als für harte Arbeit in<br />

einer spaßfreien Zone.<br />

Kindergeld und höherer Mindestlohn<br />

Kaczynski hat das nun geändert. Die<br />

PiS-Regierung habe den Menschen<br />

„Respekt gezollt und dies dadurch<br />

glaubwürdig gemacht, dass sie ihnen<br />

mehr Geld gegeben hat“, urteilte der<br />

Warschauer Politikwissenschaftler<br />

Klaus Bachmann.<br />

Die meisten Kommentatoren in<br />

Polen waren sich am Montag einig,<br />

dass die Sozialpolitik der Schlüssel<br />

zum Erfolg war.Genannt wurden die<br />

Parlamentswahl in Polen<br />

Prognose zur Wahl am 13. Oktober<br />

Stand 14.10., 3Uhr<br />

Stimmenanteile in Prozent<br />

43,6<br />

PiS<br />

nationalkonservativ<br />

27,4<br />

Voraussichtliche Sitzverteilung<br />

PiS<br />

KO<br />

liberalkonservativ<br />

239<br />

12,4<br />

SLD<br />

Linksbündnis<br />

460<br />

Sitze<br />

9,1<br />

PSL<br />

konservativ<br />

absolute Mehrheit: 231 Sitze<br />

KO<br />

131<br />

46<br />

30<br />

13<br />

1<br />

6,4<br />

KON<br />

rechtspopulistisch<br />

SLD<br />

PSL<br />

KON<br />

Sonstige<br />

BLZ/HECHER; QUELLE: MEINUNGSFORSCHUNGSINSTITUT IPSOS, DPA<br />

erstmalige Einführung eines Kindergeldes,<br />

die Erhöhung des Mindestlohns<br />

und die Rücknahme der Rente<br />

mit 67. Die Opposition habe so klar<br />

verloren, weil es ihr nicht gelungen<br />

sei, eine „attraktivere Vision des<br />

Staatswesens zu schaffen“, schrieb<br />

die <strong>Zeitung</strong> Rzeczpospolita. 27,2<br />

Prozent seien zu wenig für eine Partei,<br />

die einen Machtanspruch erheben<br />

wolle.Das bezogsich auf das Ergebnis<br />

der liberalen Bürgerkoalition<br />

(KO), die abgeschlagen auf Platz zwei<br />

landete.<br />

Schwaches Linksbündnis<br />

Vertreter der Linksallianz Lewica<br />

freuten sich zwar über den Wiedereinzug<br />

ins Parlament, nachdem vier<br />

Jahre lang kein einziger linker Abgeordneter<br />

im Sejm gesessen hatte.<br />

12,5 Prozent für das Dreierbündnis<br />

waren aber ebenfalls ein eher mageresErgebnis.Dagegen<br />

dürfte das unerwartet<br />

starke Abschneiden zweier<br />

kleinerer Rechtsallianzen für Kaczynski<br />

ein Problem darstellen. Die<br />

strukturkonservative Polenkoalition<br />

erreichte 8,6 Prozent, die ultranationalistische<br />

Konföderation 6,8 Prozent.<br />

Beide Bündnisse fischten in jenem<br />

Wählerreservoir, das die PiS<br />

ausschöpfen muss,wenn sie die ehrgeizigen<br />

Zielvorgaben ihres Parteichefs<br />

erfüllen will. Kaczynski nannte<br />

am Sonntag die Marke von 55 Prozent,<br />

die man erreichen könne. Da<br />

das polnische Wahlsystem große<br />

Parteien bevorzugt, würde die PiS<br />

damit vermutlich eine verfassungsändernde<br />

Zweidrittelmehrheit erreichen,<br />

die Kaczynski anstrebt. Denn<br />

der 70-Jährige will Polen „von Grund<br />

auf verändern“, hin zu einer katholisch-nationalpolnischen<br />

und illiberalen<br />

Republik.<br />

Dasist der Plan, aus dem er nie einen<br />

Hehl gemacht hat. Vorerst stehen<br />

Kaczynski dabei aber weiter die<br />

Opposition in Warschau und die EU-<br />

Institutionen im Weg. Die Brüsseler<br />

Kommission führt noch immer ein<br />

Rechtsstaatsverfahren gegen Polen,<br />

weil die PiS nach ihrem Wahlsieg<br />

2015 das Verfassungsgericht entmachtet<br />

und die Justiz unter Regierungskontrolle<br />

gestellt hat, ähnlich<br />

wie die Staatsmedien. Der Konflikt<br />

wurde zuletzt vonbeiden Seiten weniger<br />

heiß gekocht. Er schwelt aber<br />

weiter.<br />

Ulrich Krökel vertraut<br />

auf die Freiheitsliebe der<br />

Menschen in Polen.<br />

Die Grenzen des Rechtsstaates<br />

Spaniens Oberster Gerichtshof verurteilt mehrere katalanische Separatisten zu langen Haftstrafen. Der Tatbestand: Aufruhr<br />

VonMartin Dahms, Madrid<br />

Esist ein Urteil für die spanischen<br />

Geschichtsbücher. Spaniens<br />

Oberster Gerichtshof hat am Montag<br />

neun führende katalanische Separatisten<br />

wegen ihrer Rolle in den Tagen<br />

um das Unabhängigkeitsreferendum<br />

am 1. Oktober 2017 zu Haftstrafen<br />

zwischen neun und dreizehn<br />

Jahren verurteilt. Drei weitere Angeklagte<br />

kamen mit Geldbußen davon.<br />

Zu den Verurteilten gehören der frühere<br />

stellvertretende Regionalpräsident<br />

Oriol Junqueras (dreizehn Jahre<br />

Haft), die ehemalige Parlamentspräsidentin<br />

CarmeForcadell (elfeinhalb<br />

Jahre) und die beiden Unabhängigkeitsaktivisten<br />

Jordi Cuixart und<br />

Jordi Sànchez (jeweils neun Jahre).<br />

Andere Verantwortliche wie der Expräsident<br />

Carles Puigdemont entzogen<br />

sich dem Verfahren durch Flucht<br />

ins Ausland.<br />

Der Oberste Gerichtshof musste<br />

sich in diesem Verfahren auf ein heikles<br />

Terrain begeben: auf das der Strafwürdigkeit<br />

politischer Entscheidungen.<br />

Sieben der nun zu langen HaftstrafenVerurteilten<br />

sind gewählte Politiker,die<br />

ein grundsätzlich legitimes<br />

Ziel verfolgten: die friedliche Abspaltung<br />

Kataloniens vomRest Spaniens.<br />

Dafür organisierten sie vor zwei Jahren<br />

ein Referendum ohne den Rückhalt<br />

des spanischen Staates oder internationaler<br />

Organisationen. Diekatalanischen<br />

Politiker kündigten an,<br />

das Ergebnis des Referendums als<br />

„Mandat“ für die Erklärung der Unabhängigkeit<br />

zu begreifen, falls die<br />

Mehrheit der Abstimmenden sich für<br />

die Abspaltung vonSpanien aussprechen<br />

sollte. Das Abenteuer endete<br />

mit einer kurzfristigen Zwangsverwaltung<br />

Kataloniens durch die spanische<br />

Regierung. Undmit einem Strafverfahren<br />

wegen„Rebellion“.<br />

Im umgangssprachlichen Sinne<br />

sind die nun Verurteilten sicherlich<br />

Rebellen. Sie wollten sich nicht mit<br />

den rechtsstaatlichen Grenzen für<br />

einen möglichen Unabhängigkeitsprozess<br />

abfinden. Diese Grenzen<br />

setzt die spanische Verfassung, nach<br />

der Spanien unteilbar ist –wie fast<br />

Bei Protesten gegen das Urteil in Barcelona wurden mehr als 30 Menschen verletzt.<br />

alle demokratischen Verfassungen<br />

der Welt die Unteilbarkeit der Nation<br />

festschreiben. Daran erinnert der<br />

Oberste Gerichtshof in seinem am<br />

Montag veröffentlichten Urteil. „Es<br />

gibt kein „Recht zu entscheiden, das<br />

außerhalb der von der Gesellschaft<br />

selbst definierten Grenzen auszuüben<br />

wäre“, schreiben die Richter.<br />

„Es gibt keine Demokratie außerhalb<br />

des Rechtsstaates.“<br />

Doch die Überschreitung dieser<br />

Grenzen durch die Veranstaltung eines<br />

vorgeblich bindenden, in Wirklichkeit<br />

aber illegalen und rechtlich<br />

folgenlosen Referendums macht die<br />

Politiker noch nicht zu „Rebellen“ im<br />

strafrechtlichen Sinne. Dazu hätten<br />

AFP<br />

sich die Angeklagten „zielgerichteter“,<br />

„vorab angeordneter“ Gewalt<br />

schuldig machen müssen. Schon das<br />

Oberlandesgericht in Schleswig<br />

konnte rund um den 1. Oktober2017<br />

keinen „Schlachtplan der Gewalttätigkeiten“<br />

erkennen und verweigerte<br />

im vergangenen Jahr die Auslieferung<br />

Puigdemonts an Spanien. Die spanischen<br />

Richter folgen in diesem Punkt<br />

den deutschen Kollegen. Dievon der<br />

Staatsanwaltschaft geforderte Verurteilung<br />

wegen „Rebellion“ lehnen sie<br />

ab. Ihr Hauptvorwurf lautet stattdessen<br />

„Aufruhr“, der mit niedrigeren –<br />

aber immer noch hohen –Haftstrafen<br />

belegt ist. Nach dem Urteil erneuerte<br />

der Oberste Gerichtshof den zwischenzeitlich<br />

ausgesetzten Europäischen<br />

Haftbefehl gegen Carles Puigdemont;<br />

auch ihm wir nun statt „Rebellion“<br />

„Aufruhr“ vorgeworfen.<br />

Der Tatbestand des „Aufruhrs“<br />

wird in Spanien als „tumultartige Erhebung“<br />

definiert, mit dem Ziel, die<br />

Durchsetzung des Gesetzes oder administrativer<br />

oder juristischer Entscheidungen<br />

zu verhindern. Wasdie<br />

Zieleder Separatisten angeht, gibt es<br />

keine Zweifel: Mitder Durchführung<br />

des Referendums ignorierten sie<br />

richterliche Entscheidungen, die<br />

dieses Referendum für illegal erklärten.<br />

Aber sind ihre Mittel als „tumultartige<br />

Erhebung“ zu werten?<br />

Die Richter des Obersten Gerichtshofes<br />

sagen: ja. „Was am 1. Oktober<br />

geschah, war nicht einfach<br />

eine Demonstration oder ein massiver<br />

Akt bürgerlichen Protestes. Es<br />

war eine tumultartige Erhebung, zu<br />

der die Beschuldigten ermunterten.“<br />

Dabei sei es nicht von Belang, ob an<br />

diesem TagGewalttätigkeiten verübt<br />

wurden. Waszähle, sei das Ziel: „offener<br />

Widerstand gegendas normale<br />

Funktionieren des Justizsystems“.<br />

Die katalanischen Separatisten<br />

sehen das selbstredend anders. Die<br />

Bürgerinitiative Òmnium Cultural,<br />

deren Expräsident Cuixart zu den<br />

Verurteilten gehört, spricht von einem„Angriff<br />

auf die Meinungs- und<br />

Versammlungsfreiheit“, Regionalpräsident<br />

Quim Torra von einem<br />

„Akt derRache,nicht desRechts“.

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