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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 239 · D ienstag, 15. Oktober 2019 – S eite 9 *<br />
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Berlin<br />
Geht in die<br />
Verlängerung: Die<br />
Straßenbahn vom<br />
Hauptbahnhof<br />
Seite 12<br />
Körperkunst: Der Cirque du Soleil kommt dauerhaft in die Hauptstadt Seite 13<br />
Currykunst: Auf eine Wurst mit Gregor Gysi Seite 11<br />
Stadtbild<br />
<strong>Berliner</strong><br />
Umwelt<br />
Nasta Reznikava<br />
vermisst die Nachhaltigkeit.<br />
Imtiefsten Osteuropa sitzend hatte<br />
ich immer den Eindruck, Nachhaltigkeit<br />
und umweltbewusstes Verhalten<br />
seien in Deutschland quasi<br />
geboren.<br />
Berlin stellte ich mir als Hauptstadt<br />
des Umweltbewusstseins vor:<br />
Bücher würden hier nur auf dem<br />
Kindle gelesen werden, man würde<br />
überall ausschließlich erneuerbare<br />
Materialien verwenden, und es<br />
würde in der Stadt von Vegetariern<br />
und Kolonnen von Elektroautos nur<br />
so wimmeln. So hatte ich mir das<br />
vorgestellt.<br />
Aber schon mein erster Taginder<br />
deutschen Hauptstadt brachte die<br />
Ernüchterung für mich: Als in der S-<br />
Bahn eine Frau mit einem To-Go-<br />
Kaffeebecher vor mir stand, begann<br />
ich zu verstehen, dass ich mich anscheinend<br />
getäuscht hatte.<br />
Ich habe fast mein ganzes Leben,<br />
also 29 Jahre, in Osteuropa verbracht,<br />
genauer genommen in der<br />
weißrussischen Hauptstadt Minsk.<br />
In Belarus hat kaum jemand außer<br />
ein paar Ökofreaks von dem Thema<br />
Nachhaltigkeit oder gar von wiederverwendbaren<br />
Bechern gehört. Vor<br />
einigen Monaten begleitete ich eine<br />
belarussische NGO bei ihrer Reise<br />
mit dem Busnach Deutschland. Der<br />
Leiter der Gruppe hatte für das ganze<br />
Team, 20 Personen waren es, Mehrwegbecher<br />
für die Kaffeepause mitgenommen.<br />
An der Grenzefragte der<br />
weißrussische Zollbeamte:„Wowollt<br />
ihr denn hin? Aha, nach Deutschland<br />
für zehn Tage? Glaubt ihr, die<br />
Deutschen haben keine Becher oder<br />
was?“<br />
Wie auch immer. Naklar haben<br />
die Deutschen Becher.Aber in Berlin<br />
würde doch bestimmt niemand Essen<br />
in Plastikverpackung kaufen. Zumindest<br />
die Greta-Generation nicht.<br />
Aber schon an meinem zweiten Tag<br />
wurde ich eines Besseren belehrt.<br />
Eine junge Frau legt in einem Discounter<br />
eine Packung Avocados in<br />
ihren Korb.Sie sind in Plastik gehüllt.<br />
Welchen Sinn hat denn das Plastiktüten-Verbot,<br />
was nächstes Jahr in<br />
Kraft treten soll, wenn das Gemüse<br />
und das Obst sowieso in Plastik verpackt<br />
wird? Hier drei Avocados, da<br />
zwei Passionsfrüchte, daneben fünf<br />
Paprikas.<br />
Eine Woche lang suche ich jetzt<br />
schon erfolglos nach einem Wochenmarkt<br />
in Lichtenberg, wo ich<br />
gerade wohne. Wochenmärkte sind<br />
tatsächlich ein Wahrzeichen in vielen<br />
osteuropäischen Ländern. Polen,<br />
Belarus, die Ukraine, die Slowakei.<br />
Die Obst- und Gemüseverkäufer<br />
sind überall: im Zentrum der Stadt,<br />
in den Plattenbauten-Bezirken, an<br />
den U-Bahn-Ausgängen. Obst und<br />
Gemüse werden in diesen Ländern<br />
nicht im Supermarkt gekauft. In Berlin<br />
fühle ich mich von den Bauern<br />
fast verlassen. Wo stecken sie denn<br />
alle mit ihren festkochenden Kartoffeln<br />
und süßen Äpfeln?<br />
Tja, das berlinische Umweltparadies<br />
existiertnicht. DieAutos fahren<br />
weiter wie früher im Zentrum<br />
der Stadt, Werbung wird weiter auf<br />
Papier gedruckt und Fleisch ist immer<br />
noch bei vielen <strong>Berliner</strong>n beliebt.<br />
Das Umweltparadies bleibt<br />
eine Utopie. Bis jetzt zumindest.<br />
Aber ich bin ja noch ein paar Monate<br />
hier.<br />
Herbst im Sommerlook<br />
Dann kam er doch noch, der goldene Oktober.Inder vergangenen Woche<br />
deutete wenig daraufhin, nun lässt sich der Herbst doch noch einmal<br />
dazu herab, sich von seiner angenehmeren Seite zu zeigen. Sehr<br />
zum Wohlbefinden der Hauptstädter,die wie hier das Wetter zu einem<br />
Spaziergang im Tiergarten nutzen. Wie auf einem Gemälde sieht der<br />
Soko Leine<br />
In dieser Woche werden von den Ordnungsämtern vermehrt die Hundehalter kontrolliert<br />
VonMikeWilms<br />
Die Ordnungsämter der<br />
Bezirke gehen in dieser<br />
Woche verstärkt gegen<br />
Hundehalter vor, die sich<br />
nicht an die Leinenpflicht halten.<br />
Für den stadtweiten Schwerpunkteinsatz,<br />
der bis Sonntag dauern soll,<br />
schicken sie einen Großteil ihrer Mitarbeiter<br />
auf die Straßen und in die<br />
Parks. Corinna Rosenthal und Janine<br />
Jäger vom Ordnungsamt Mitte sind<br />
eines der Zweier-Teams, die seit<br />
Montagfrüh zu gezielten Kontrollen<br />
ausrücken. Ihr Revier, der Volkspark<br />
Rehberge, gehört zuden Orten mit<br />
besonders vielen Verstößen gegen<br />
das <strong>Berliner</strong> Hundegesetz. „Zahlreiche<br />
Spaziergänger beschweren sich<br />
über freilaufende Hunde“, sagt Jäger.<br />
MitPfefferspray und Schlagstock<br />
Im Einsatz: Corinna Rosenthal (l.) und Janine Jäger.<br />
Leinenpflicht: Seit dem<br />
1. Januar gilt in Berlin die<br />
allgemeine Leinenpflicht für<br />
Hunde in der Öffentlichkeit.<br />
Allerdings fallen rund 80<br />
Prozent der rund 108 700<br />
angemeldeten Hunde unter<br />
die zahlreichen Ausnahmen.<br />
SPIELREGELN FÜR HUND UND HERRCHEN<br />
Hunderegeln im Park: Auf<br />
geschützten Grünflächen<br />
müssen alle Hunde an der<br />
Leine geführtwerden. Auf<br />
Spielplätzen haben Hunde<br />
keinen Zutritt. Halter sollten<br />
mit ihren Tieren Hunde-<br />
Auslaufgebiete besuchen.<br />
Park aus,die Brücke spiegelt sich im Teich und wenn Siesich auch noch<br />
ein paar Stunden Sonne gönnen wollen, dann bleiben Ihnen noch rund<br />
zwei Wochen. Jedenfalls,wenn man der Wettervorhersage traut, soll es<br />
sonnig bleiben, aber gemäß der Jahreszeit ein wenig kühler werden.<br />
Mankann ja auch was Dickeres anziehen. (mpw.)<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
Gefährliche Hunde: Für alle<br />
Vierbeiner,die aufgrund ihrer<br />
Rassenzugehörigkeit als<br />
„gefährliche Hunde“ gelten,<br />
gibt es eine Maulkorb- und<br />
Leinenpflicht. Ihre Halter<br />
müssen einen Sachkundenachweis<br />
erbringen.<br />
Im Einsatz müssen die Frauen damit<br />
rechnen, dass Hundehalter aggressiv<br />
und beleidigend auf Ermahnungen<br />
reagieren. Zum Schutz tragen die<br />
Ordnungsamtsmitarbeiterinnen<br />
Pfefferspray und Schlagstöcke bei<br />
sich. „Dass die Leute bei Beanstandungen<br />
durchweg freundlich bleiben<br />
und einsichtig sind, ist nicht<br />
selbstverständlich“, sagt Jäger.<br />
Auf Hundestreife im Volkspark<br />
Rehberge verschaffen sich die Kontrolleurinnen<br />
am Montag zuerst einen<br />
Überblick. Mit einem VW-Bus<br />
des Ordnungsamts fahren sie über<br />
die Parkwege und halten Ausschau<br />
nach Hundehaltern, die ihre Tiere<br />
ohne Leine laufen lassen. Seit 1. Januar<br />
gilt in Berlin die allgemeine Leinenpflicht<br />
für Hunde in der Öffentlichkeit.<br />
Zwar gibt es viele Ausnahmen,<br />
aber in geschützten Grünanlagen<br />
ist keine Abweichung gestattet.<br />
Über die Frage, obihre Einsätze<br />
manchmal ohne festgestellte Verstöße<br />
enden, können die Kontrolleurinnen<br />
nur müde lächeln. Tatsächlich<br />
dauert esamMontag nur Minuten,<br />
bis Janine Jäger und Corinna Rosenthal<br />
aus ihrem VW-Bus aussteigen<br />
und die erste Parkbesucherin ansprechen.<br />
Mankann sich das wie eine polizeiliche<br />
Verkehrskontrolle vorstellen.<br />
Nurmuss statt dem Führerschein<br />
der Personalausweis vorgezeigt werden.<br />
„Wir haben gesehen, dass SieIhrenHund<br />
nicht an der Leine führen“,<br />
sagt Janine Jäger zu der etwa 25-jährigen<br />
Hundehalterin. Für den Verstoß<br />
sei ein Bußgeld vorgesehen. Wortkarg<br />
und widerwillig dreinschauend lässt<br />
die Hundehalterin die Prozedur über<br />
sich ergehen. Die Kontrolleurinnen<br />
bleiben betont freundlich. Miteinem<br />
DPA<br />
Chipgerät lesen sie den Registrierungschip<br />
aus, den der Hund unter<br />
der Haut trägt. Sie kontrollieren die<br />
Steuermarke und Halteradresse am<br />
Halsband des Tieres.Das Ganzedauert<br />
nur wenige Minuten. „Sie hören<br />
dann noch einmal von der Sache“,<br />
verabschieden sich die Ordnungsamtsmitarbeiterinnen<br />
von der Hundehalterin.<br />
Beleidigung kostet extra<br />
Wie hoch ein Bußgeld ausfällt, wird<br />
noch nicht an Ort und Stelle entschieden.<br />
„Der Sachbearbeiter in der<br />
Behörde kann später am Computer<br />
sehen, ob es der Erstverstoß eines<br />
Hundehalters war“, sagt Corinna Rosenthal.<br />
Falls ja, werden für einen<br />
Verstoß gegen die Leinenpflicht in<br />
einer Grünanlage 35 Euro fällig. Falls<br />
nein, ist ein höheres Bußgeld möglich.<br />
Kommteine Beleidigung hinzu,<br />
können es durchaus 150 Euro sein.<br />
In kurzer Folge ertappen Janine<br />
Jäger und Corinna Rosenthal an diesem<br />
Montag vier Hundehalter, die<br />
ihreTiereohne Leine durch den Park<br />
laufen lassen. In einem Fall kommt<br />
es zu einer Konfrontation: Bei der<br />
Kontrolle einer Frau mischt sich ein<br />
Passant ein. Er hat ebenfalls einen<br />
Hund bei sich und trägt eine Tätowierung<br />
am Hals.„Ist jalächerlich!“,<br />
brüllt er.„Ihrzweiwollt Beamte sein,<br />
lest doch erst mal das Grundgesetz!“<br />
Es bleibt bei Worten. Der Mann verzieht<br />
sich. Eine Anzeige will er doch<br />
nicht riskieren. Diestadtweiten Kontrollen<br />
zur Leinenpflicht sollen noch<br />
bis Sonntag andauern. Die Ergebnisse<br />
werden in der kommenden<br />
Woche bekannt gegeben.<br />
MikeWilms<br />
findet, dass es Zeit wurde<br />
für diese Aktion.<br />
NACHRICHTEN<br />
Besetztes Bahngrundstück<br />
in Marzahn geräumt<br />
Mitetwa 250 Einsatzkräften hat die<br />
Polizei ein besetztes Gelände der<br />
Deutschen Bahn in Berlin-Marzahn<br />
geräumt. ElfMenschen wurden auf<br />
dem Areal angetroffen, wie ein Sprecher<br />
am Montagnachmittag sagte.<br />
Neun vonihnen wurden demnach<br />
entlassen, nachdem ihreIdentität<br />
festgestellt wurde.ZweiLeute seien<br />
festgenommen worden. Gegen einen<br />
habe ein Haftbefehl vorgelegen.<br />
Eine Gruppe namens„DieselA“ hatte<br />
auf der Fläche an der Alten Börse seit<br />
Ende September eine Wagenburg<br />
mit Fahrzeugen erbaut, um damit<br />
gegen Gentrifizierung und für mehr<br />
Wohnraum zu protestieren. DiePolizeieröffnete<br />
diverse Ermittlungsverfahren<br />
unter anderem wegen Hausfriedensbruch.<br />
(dpa)<br />
Polizei identifiziert<br />
U-Bahn-Schläger<br />
DurchHinweise aus der Öffentlichkeit<br />
hat die Polizei einen mutmaßlichen<br />
U-Bahn-Schläger identifizierenkönnen.<br />
MehrereZeugen hätten<br />
den Mann auf den veröffentlichten<br />
Fahndungsfotos erkannt, teilte die<br />
Polizei am Montag mit. Er wirdverdächtigt,<br />
im Februar eine Frau in der<br />
U-Bahn attackiertzuhaben. Damals<br />
hatte ein Mann einer 26-Jährigen<br />
unvermittelt ins Gesicht geschlagen,<br />
als er einen Waggon der Linie 1im<br />
Bahnhof Hallesches Torverließ. Mit<br />
Bilderneiner Überwachungskamera<br />
suchte die Polizei nach dem Täter.<br />
Angaben zum Tatmotiv sowie zur<br />
Identität des mutmaßlichen Täters<br />
machte die Polizei mit Verweis auf<br />
die laufenden Ermittlungen vorerst<br />
nicht. Ob der Mann ergriffen werden<br />
konnte,war zunächst offen. (dpa)<br />
Müller will engeren<br />
Austausch mit Singapur<br />
Unterwegs in Asien: der Regierende Bürgermeister<br />
Michael Müller. IMAGO IMAGES<br />
Berlins Regierender Bürgermeister<br />
Michael Müller macht sich für eine<br />
engereKooperation der Hauptstadt<br />
mit Singapur stark.„Es gibt große Potenziale<br />
für die Zusammenarbeit<br />
vonBerlin und Singapur“, sagte der<br />
SPD-Politiker am Montag auf einem<br />
Wirtschaftssymposium in dem südostasiatischen<br />
Stadtstaat. Als Beispiele<br />
nannte er die Digitalisierung,<br />
die Gesundheitsversorgung oder das<br />
Wachstum beider Städte.Auf solche<br />
großen Fragen der Zukunft könnten<br />
beide Metropolen gemeinsam Antworten<br />
finden. Dasgelte auch für<br />
den Klimaschutz, bei dem Singapur<br />
Vorreiter in Asien sein wolle.Müller<br />
war mit einer Wirtschaftsdelegation<br />
am Sonntag nach Singapur geflogen.<br />
Höhepunkt der viertägigen Reise soll<br />
am Mittwoch die Eröffnung der Tourismusmesse<br />
ITB Asia sein, einem<br />
Ableger der Internationalen Tourismus-Börse<br />
ITB in Berlin. (dpa)