04.12.2019 Aufrufe

Berliner Zeitung 03.12.2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

20 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 281 · D ienstag, 3. Dezember 2019<br />

·························································································································································································································································································<br />

Feuilleton<br />

In der herbstlichen –mithin wenigstens farbschönen –Wüstenei der szenischen Darstellung:Ivan Magrì als Alfredo<br />

IMAGO /MARTIN MÜLLER<br />

Vomvölligen Fehlen der Form<br />

Nicola Raab inszenierte eine neue „La traviata“ an der Komischen Oper –die von Hans Neuenfels musste dafür aus dem Repertoire weichen<br />

VonPeter Uehling<br />

Die neue „Traviata“ an der<br />

Komischen Oper beginnt<br />

unversehens.<br />

Noch bei brennendem<br />

Saallicht dringt elektronisch manipulierte<br />

Verdi-Musik von der Bühne<br />

und mit einem Mal steht da eine<br />

Frau, die anscheinend aus der Stadt<br />

heimkommt, die ersten Streicherakkorde<br />

erklingen, dann winkt der Generalmusikdirektor<br />

Ainars Rubikis<br />

das Orchester der Komischen Oper<br />

wieder ab.Die Frau entnimmt einem<br />

Umschlag Röntgenbilder ihrer<br />

Lunge. Die Musik geht weiter, die<br />

Frau fährt ihren Rechner hoch. Bilder<br />

werden projiziert, Bilder ihrer<br />

Lunge, Bilder ihrer Träume von<br />

Liebe, Bilder ihrer Arbeit. Um diese<br />

letzte Projektion ihres Oberkörpers<br />

in Korsage richtig zu verstehen,<br />

muss man das Programmheft gelesen<br />

haben, in dem die Regisseurin<br />

Nicola Raab erklärt, dass Violetta<br />

eine Sexarbeiterin im Internet ist.<br />

Wenn sie da auf ihrem Bürodrehstuhl<br />

sitzt, würde man das nicht unbedingt<br />

vermuten –wer zahlt Geld<br />

für den Anblick angezogener Frauen<br />

auf Bürodrehstühlen?<br />

In <strong>Berliner</strong> Opernpremieren<br />

muss man zur Zeit sehr stark sein.<br />

Nach der Uraufführung von Chaya<br />

Czernowins prätenziös leerer „Heart<br />

Chamber“ an der Deutschen Oper<br />

und dem in den Ofen geschossenen<br />

Sandalenfilm-„Samson“ an der<br />

Staatsoper kommt nun eine der<br />

weltweit meistgespielten Opern als<br />

extra-langweilige Inszenierungssimulation.<br />

DieIdee einer „Aktualisierung“<br />

der Kurtisane Violetta als Online-Stripperin<br />

ist so naheliegend<br />

und banal, dass man sie als Regisseur<br />

eigentlich sofort vom Notizblock<br />

streichen muss.Nicht nur,weil<br />

daraus keine Erkenntnis folgt. Wie<br />

Filmregisseure schon vor vielen Jahrengemerkt<br />

haben, entzieht sich die<br />

digitale Welt weitgehend der Visualisierung,<br />

und das gilt für die Bühne in<br />

noch höherem Maße als für das bewegliche<br />

Auge der Kamera.<br />

Kunstgriff als Alibi<br />

Und somuss Nicole Raab das, was<br />

dann in der Oper namens „La traviata“<br />

geschieht, als Traum Violettas<br />

ausgeben. Damit ist nun vollends gar<br />

nichts gewonnen, denn dieser<br />

Traum unterscheidet sich von der<br />

Oper praktisch nicht. Der Raabsche<br />

Kunstgriff hat nur einen Vorteil: Er<br />

rechtfertigt sich auf dem Papier als<br />

inhaltliche Deutung und fühlt sich<br />

damit von der Bewältigung der dramatischen<br />

Form entbunden, denn<br />

man bietet scheinbar Wesentlicheres.<br />

Dasaber schlägt im Ergebnis mit<br />

Spannungslosigkeit und Langeweile<br />

zurück.<br />

Wäre die „Traviata“ substanziell<br />

so öde, wie sie hier erscheint, sie<br />

hätte ihren Siegeszug durch die<br />

Opernhäuser nicht antreten können.<br />

Für das Fehlen formalen Bewusstseins<br />

musste eine Zeitlang und immer<br />

wieder eine szenische Metapher<br />

einstehen –auch diese gibt es hier<br />

nicht. Die Ziegelwand markiert einen<br />

unbestimmten Ort, ebenso die<br />

gerasterte Scheibenwand, die mal<br />

näher, mal ferner dem Bühnenrand<br />

aufgestellt wird.<br />

Fehlt Fantasie, sollte das Handwerk<br />

stimmen –doch auch davon<br />

mag man nicht sprechen. Nicola<br />

Raab hat viel in Wien inszeniert, in<br />

Finnland, in Moskau, in Chicago und<br />

Los Angeles –abgesehen von einer<br />

Produktion in ihrer Geburtsstadt Regensburg<br />

ist dies ihre erste Arbeit in<br />

Deutschland. Dass ihretwegen eine<br />

„Traviata“ von Neuenfels aus dem<br />

Repertoiregenommen wird, ist nicht<br />

leicht zu verstehen. Musikalisch ist<br />

die Aufführung nicht so schlecht.<br />

Rubikis dirigiert das Werk ohne Sen-<br />

timent, trocken im guten, knackigen<br />

Sinn. Das spiegelt die Differenzierungen<br />

der Partitur nicht immer im<br />

vollen Umfang wider, dafür klingt es<br />

allerdings auch nicht so abgespielt,<br />

wie man es oft erlebt. Auch der von<br />

David Cavelius einstudierte Chor<br />

zeigt sich in sehr guter Form, inder<br />

Tongebung wesentlich schlanker, in<br />

der Intonation sicherer als die Chöre<br />

der anderen Häuser.<br />

Dass in italienischer Sprache gesungen<br />

wird, nimmt man an der Komischen<br />

Oper schon kaum noch zur<br />

Kenntnis,und hier,wosich ein engerer<br />

Bezug zwischen Text und Inszenierung<br />

kaum erkennen lässt, ist es<br />

womöglich auch vonVorteil. Für die<br />

Titelrolle konnte man mit Natalya<br />

Pavlova eine Sängerin gewinnen, die<br />

bis 2017 am Opernstudio des Mariinsky-Theaters<br />

gelernt hat. Siebringt<br />

eine jugendliche, beinah fruchtig zu<br />

nennende Stimme mit und gibt der<br />

Aufführung vokalen Glanz, der sich<br />

von der Wüstenei der szenischen<br />

Darstellung nicht vollständig ersticken<br />

lässt.<br />

Ivan Magrì als Alfredo indes neigt<br />

zu aufgerissen-trompetenhaften Tönen,<br />

und auch mit Günter Papendell<br />

in der Rolle des Vaters wird man in<br />

dieser Produktion nicht ganz froh; er<br />

verbleibt in einer dumpfen Tongebung,<br />

aber auch darin erkennt man<br />

die Verlassenheit von einer sinnvollen<br />

Personenführung: Die Herren<br />

können die Plattheiten ihrer so verstandenen<br />

Rollen nicht durch Gestaltung<br />

wettmachen. DasPublikum<br />

feiert dennoch seine Lieblinge –<br />

während beim Auftritt der Regisseurinweder<br />

Protest noch Zustimmung<br />

laut werden und der Applaus plötzlich<br />

eigentümlich hohl klingt.<br />

Guiseppe Verdi: „Latraviata“,7., 13., 17., 20.,<br />

23.,25. und 28.Dezember, 19. 30 Uhr,KomischeOper,Behrenstr.55–57,Karten<br />

unter Telefon<br />

47 99 74 00.<br />

ABOplus<br />

Nochkein Abo?<br />

Einfachjetzt unter 030–240025neuer Abonnentwerden!<br />

Exklusiv für Abonnenten:<br />

Angebot für alle<br />

Preiskategorienerhältlich!<br />

Großes <strong>Berliner</strong> Weihnachtsfestkonzert 2019<br />

Donnerstag, 26. Dezember 2019 |20Uhr |Konzerthaus Berlin, Großer Saal<br />

Die Anhaltische Philharmonie präsentiert alljährlich im großen Saal des Konzerthauses ein Weihnachtsfestkonzert von höchster Qualität mit<br />

preisgekrönten Solisten. Dieses Jahr bringt das Orchester die mehrfach preisgekrönte Pianistin Evgenia Rubinova mit. Sie ist in Felix Mendelssohn<br />

Bartholdys Klavierkonzert Nr. 1g-Moll op. 25zuerleben. Des Weiteren erklingen die Sinfonie Nr. 103 Es-Dur „Mit dem Paukenwirbel“ von<br />

Haydn sowie die Sinfonie Nr. 7d-Moll op. 70 von Dvořák.<br />

Christmas Harmonists –Weihnachtslieder &Hits der Comedian Harmonists<br />

Montag, 23. Dezember 2019 |20Uhr |Konzerthaus Berlin, Großer Saal<br />

Das Solistenensemble Berlin Singsmen führt Sie in einen musikalischen Weihnachtstraum. Moderiert vom niederländischen Schauspieler und<br />

Moderator Paul Hörmann erleben Sie die unvergessenen Hits der Comedian Harmonists und die schönsten Weihnachtslieder. Begleitet vom<br />

Orpheus Salon Orchester erwartet Sie ein kurzweiliger Abend in der bezaubernden Atmosphäre des Konzerthauses.<br />

Stichwort: <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> und Kundennummer<br />

20 %Rabatt auf<br />

Veranstaltungstickets<br />

Bitte halten Sie für dieses Angebot Ihre Kundennummer bereit.<br />

Das Angebot gilt nur für Abonnenten, die die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> von<br />

montags bis samstags beziehen.<br />

Ihnen stehtein gesetzliches Widerrufsrecht zu.AlleInformationen über dieses Recht unddie<br />

Widerrufsbelehrung finden Sie unter www.berliner-zeitung.de/widerruf<br />

<strong>Berliner</strong> Verlag GmbH, Alte Jakobstraße 105, 10969Berlin<br />

Alle Buchungen unter:<br />

030 –6780111<br />

Mo –Fr: 08.00–21.00Uhr Sa: 8.00 –20.00 Uhr Sound Feiertags: 10.00 –20.00Uhr

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!