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Berliner Zeitung 11.12.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 288 · M ittwoch, 11. Dezember 2019 3<br />

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Seite 3<br />

Als Bundesverkehrsminister Andreas<br />

Scheuer (CSU) Mitte Januar<br />

2019 in die Kamera seiner Pressemitarbeiter<br />

lächelt, hofft er wohl,<br />

seine beiden größten Baustellen im Griff zu<br />

haben: die Lkw-Maut und die Pkw-Maut.<br />

Doch dann, nur wenige Monate später, kassiert<br />

der Europäische Gerichtshof die Pkw-<br />

Maut als rechtswidrig. Seitdem kommen immer<br />

mehr Details einer Affäreans Licht.<br />

Scheuer hatte es sich etwas kosten lassen,<br />

den Mautvertrag Monate vor dem Urteil abzuschließen.<br />

DasRisiko wurde in einer Schadensersatzklausel<br />

eingepreist, weil sonst<br />

kein Konzernmitgeboten hätte.Die Beteiligten<br />

im Bundesverkehrsministerium (BMVI)<br />

nahmen einen extrem nachteiligen Passus in<br />

Kauf. Aber die Verträge waren ja „streng geheim“.<br />

Die wunderbare Schadensersatzklausel<br />

ermöglicht nun dem Pkw-Maut-Konsortium,<br />

den vollen unternehmerischen Gewinn<br />

über die gesamte Laufzeit von zwölf<br />

Jahren einzufordern. Sie könnten also kassieren,<br />

ohne je einen Pkw bemauten zu müssen.<br />

Bis zu500 Millionen Euro könnten hier<br />

verpulvertwerden.<br />

Aber wieso ließ Minister Scheuer eine so<br />

gefährliche Klausel einbauen, um den Vertrag<br />

unbedingt zu einem so heiklen Zeitpunkt<br />

zu unterschreiben –also vor dem Urteil,<br />

statt es abzuwarten? Diese Frage beschäftigt<br />

den Untersuchungsausschuss, zu<br />

dem Grüne,FDP und Linke des Bundestages<br />

an diesem Donnerstag die erste Sitzung einberufen<br />

werden.<br />

Einwichtige Rolle spielt nach Recherchen<br />

von<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> und Frontal 21 die mittlerweile<br />

staatseigene Toll Collect. Die Firma<br />

ist zuständig für die Erhebung der Lkw-<br />

Maut. Hier passierte Merkwürdiges.<br />

Als Scheuer nämlich im Januar in die Kameras<br />

seiner Pressestelle lächelt, verkündet<br />

er,dass Toll Collect nun vomStaat betrieben<br />

werde. Eine Entscheidung, die sogar Kritiker<br />

des Ministers aus der Opposition besänftigt.<br />

Davor hatte der Bundesrechnungshof die<br />

Vorbereitungen zur Privatisierung gerügt.<br />

Die Prüfer hatten Scheuers „vorläufige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“<br />

analysiertund<br />

Rechentricks bemerkt.<br />

Das internationale Beratungsunternehmen<br />

KPMG hatte die fragwürdige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung<br />

erstellt. Unter<br />

dem Strich kamen Scheuers Rechenkünstler<br />

auf einen Vorteil von sechs Prozent, wenn<br />

Toll Collect privatisiert werden würde. Eine<br />

Stellschraube, umdieses Ergebnis zu erreichen;<br />

sie kalkulierten ein, dass private Unternehmen<br />

generell zehn Prozent effizienter<br />

seien. Dafür gab es aber wohl keine Grundlage,<br />

schreiben die Prüfer: „Die Annahmen<br />

des Beratungsunternehmens zu den erwarteten<br />

Effizienzvorteilen sind nicht belegt und<br />

insofernspekulativ.“<br />

Die späte Vollbremsung<br />

Dabei war die Privatisierung vonToll Collect<br />

eigentlich schon eine gemachte Sache.<br />

Scheuer hatte die Firma sogut wie verkauft.<br />

Sogar der Erlös –350 Millionen Euro –war<br />

schon im Bundeshaushalt 2019 verbucht.<br />

Doch dann geschieht etwas Außergewöhnliches:<br />

CSU-Verkehrsminister Scheuer<br />

verstaatlicht diese Firma, statt sie zu verkaufen.<br />

Und als wäre der Minister nicht schon<br />

gefordertgenug mit diesem politischen Spagat,<br />

muss er für diese Entscheidung auch<br />

noch in Kauf nehmen, einige der einflussreichsten<br />

Konzerne vorden Kopf zu stoßen.<br />

Denn seit zwei Jahren bereits läuft die europaweite<br />

Ausschreibung von Toll Collect.<br />

Wichtige Industrievertreter waren dabei,<br />

ihre Angebote vorzubereiten. Doch Scheuer<br />

leitet die Vollbremsung ein. Er hat eine noch<br />

wichtigereGroßbaustelle: seine Pkw-Maut.<br />

Im August 2018 rumpelt es hier im Vergabeverfahren.<br />

Ein Konsortium nach dem anderen<br />

steigt aus. Zum Schluss bleibt nur<br />

noch ein einziger Bieter übrig: autoTicket, zu<br />

dem sich die beiden Konzerne Kapsch AG<br />

und CTSEventim zusammengetan hatten.<br />

Als einziger Bieter haben sie eine perfekte<br />

Verhandlungsposition. SieforderndreiMilliarden<br />

Euro in ihrem finalen Angebot.<br />

Das ist ein Megaproblem für Scheuer.<br />

Denn das Parlament hat ihm nur zwei Milliarden<br />

Euro genehmigt. Sein wohl wichtigstes<br />

politisches Projekt –die „Ausländermaut“ –<br />

kippelt. Würde es ihm gelingen, Ausländer<br />

auf deutschen Autobahnen zur Kasse zu bitten,<br />

wäre das für einen CSU-Minister politisches<br />

Gold.<br />

Es muss einfach gelingen. Will Scheuer<br />

seine Pkw-Maut nicht gefährden, müsste der<br />

Vertragbis Ende des Jahres 2018 unterzeichnet<br />

sein. Es bleiben nur wenige Monate, um<br />

den Preis des Riesenprojekts um ein Drittel<br />

zu drücken.<br />

Hier wohl entsteht die Idee, die Infrastruktur<br />

von Toll Collect zu benutzen. Im<br />

Aufsichtsrat von Toll Collect sitzt einer der<br />

wichtigsten Mitarbeiter vonScheuer:Staatssekretär<br />

GerhardSchulz. EinStrippenzieher,<br />

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gerät immer mehr unter Druck.<br />

Am Donnerstag tagt zum ersten Mal der Untersuchungsausschuss<br />

zur Maut-Affäre. Ließ Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den<br />

Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect verstaatlichen, weil das half,<br />

die rechtswidrigen Verträge zur Pkw-Maut zu unterschreiben?<br />

Eine gemeinsame Recherche von <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> und Frontal 21<br />

der Lkw- und Pkw-Maut verhandelt. „Mr.<br />

Maut“ nennen sie ihn.<br />

Viel ließe sich einsparen, wenn das Pkw-<br />

Maut-Konsortium die bestehende Infrastruktur<br />

der Lkw-Maut von Toll Collect mitnutzen<br />

dürfte; Hunderte Millionen Euro,<br />

wenn die Firma ihre Dienstleistung zu<br />

Schleuderpreisen anbietet. Doch das ließe<br />

sich schwer umsetzen, wenn Toll Collect privatisiertwerden<br />

würde.Wie sollte man privaten<br />

Gesellschafternerklären, dass sie auf ihre<br />

Rendite verzichten sollen? Unddies, umbei<br />

der Konkurrenz die Kosten zu drücken?<br />

Viel einfacher wäre es, wenn Toll Collect<br />

dem Staat gehört. DasProblem ist allerdings<br />

die Ausschreibung. Seit zwei Jahren arbeiten<br />

vier Konsortien an ihren Angeboten. Einaufwendiger<br />

Prozess, der schon Millionen Euro<br />

verschlang. Doch es lohnt sich ja, denn der<br />

Mission<br />

Toll Collect<br />

VonKai Schlieter und JoeSperling<br />

erhoffte Staatsauftrag hat ein Milliardenvolumen.<br />

Als die Bieter aber ihreAngebote abgeben<br />

wollen, stottert die Ausschreibung wie ein<br />

defekter Dieselmotor. AbAugust 2018 geht<br />

das los.Der Monat, in dem bei der Pkw-Maut<br />

die anderen verbliebenen Bieter ausgestiegen<br />

sind. Bisauf einen.<br />

Am 21. August 2018 schreibt das Verkehrsministerium<br />

„an alle Bieter“ für Toll<br />

Collect einem Brief und teilt mit, dass „eine<br />

Anpassung weiterer in den Bewerbungsbedingungen<br />

endgültige Angebote genannten<br />

Fristen erfolgen wird“. Einen Monat später<br />

heißt es,dass der„Zeitplan nicht eingehalten<br />

werden kann“. Im Oktober verspricht das<br />

Ministerium, dass die „neue Angebotsfrist<br />

und die neuen Termine“ noch „mitgeteilt<br />

werden“.<br />

IMAGO IMAGES<br />

Wurde das Verfahren verschleppt? Das<br />

Bundesverkehrsministerium dementiert<br />

und teilt mit, es habe „nichts verschleppt“.<br />

Der Bund habe „Toll Collect übernommen,<br />

weil es wirtschaftlicher war, als das Unternehmen<br />

an Private zu vergeben“. Undwegen<br />

der „reibungslosen Ausweitung der Mauterhebung<br />

auf alle Bundesstraßen und die sog.<br />

Interimsphase,inder der Bund alleiniger Eigentümer<br />

der Toll Collect GmbH geworden<br />

ist, war eine Überarbeitung der Vergabeunterlagen<br />

erforderlich“.<br />

Aber die Bieter werden nie auf solche Vergabeunterlagen<br />

reagieren können. Denn Toll<br />

Collect wirdvorher verstaatlicht.<br />

Unddafür musste wieder gerechnet werden,<br />

denn eigentlich sollte doch die Privatisierung<br />

sechs Prozent günstiger sein als ein<br />

Staatsbetrieb; das hatte KPMG ausgerechnet.<br />

Im September 2018 bekommen die Berater<br />

also einen neuen Job. Die Auftragsgutachter<br />

ändern „wunschgemäß“ die „Rahmenbedingungen“<br />

und fügen „neue Erkenntnisse<br />

bzw. Einschätzungen“ im<br />

Vergleich zur ersten Rechnung hinzu, wie es<br />

in dem vertraulichen Brief an das Ministerium<br />

heißt.<br />

Das Ergebnis ist verblüffend. Statt sechs<br />

Prozent Preisvorteil habe sich nun „eine<br />

rechnerische Vorteilhaftigkeit einer Eigenrealisierung<br />

gegenüber einer Fremdrealisierung<br />

von 7,0 %ergeben“. Das Gegenteil ist<br />

damit belegt: DerStaat macht es billiger.Das<br />

reicht Andreas Scheuer. KPMG muss nicht<br />

einmal mehr die vorgesehene „abschließende<br />

Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“ erstellen.<br />

Für die Entscheidung zur Verstaatlichung<br />

von Toll Collect reicht eine „theoretische<br />

Neuberechnung“.<br />

Der verkehrspolitische Sprecher der FDP,<br />

Oliver Luksic, wundert sich. „Herr Scheuer<br />

hat dem Deutschen Bundestag eine fiktive<br />

Neuberechnung vorgelegt, mit der er den<br />

Stopp des Privatisierungsverfahren von Toll<br />

Collect begründet hat. Eine äußerst dünne<br />

Grundlage.“<br />

Michael Bibaritsch berät Regierungen in<br />

ganz Europa zu Mautsystemen. <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

und Frontal 21 legten ihm die beiden<br />

Berechnungen von KPMG vor. Er sagt: „Aus<br />

meiner Sicht hat das BMVI den Berater gegen<br />

Ende 2018 mit zusätzlichen Fakten vertraut<br />

gemacht, mit dem Ziel, dass die Entscheidung<br />

Privatisierung oder Nichtprivatisierung,<br />

die das BMVI zu dem Zeitpunkt offensichtlich<br />

schon gefällt hat, unterstützt wird.“<br />

Es gibt weitere Schönheitsfehler. Denn<br />

das „streng vertrauliche“ KPMG-Schreiben<br />

mit der fertigen Berechnung datiert auf den<br />

9. Januar 2019. Die Verträge zur Pkw-Maut<br />

wurden aber schon am 30. Dezember 2018<br />

unterzeichnet. Undfür diese war die Einbindung<br />

vonToll Collect ja die Voraussetzung.<br />

Ohne die Kosten bei Toll Collect zu verstecken,<br />

hätten die Verträge nicht unterschrieben<br />

werden können.<br />

Die Verstaatlichung war also schon beschlossene<br />

Sache, als das Ausschreibungsverfahren<br />

zur Privatisierung noch lief.<br />

Geheimvertrag mit Schleuderpreisen<br />

Erst am 16. Januar 2019 bricht Scheuer die<br />

Ausschreibung von Toll Collect ab. ImMärz<br />

2019 wird Scheuers Staatssekretär Gerhard<br />

Schulz Geschäftsführer bei Toll Collect. Er<br />

verdoppelt sein Gehalt auf rund 400 000<br />

Euro. Unter ihm unterschreibt Toll Collect –<br />

Ende Mai2019 –einen Geheimvertrag. Darin<br />

erklärtman sich bereit, als Subunternehmer<br />

seine Infrastruktur dem Konsortium der<br />

Pkw-Maut zur Verfügung zu stellen. Zu den<br />

erwünschten Schleuderpreisen.<br />

Im Geheimvertrag steht, Toll Collect erhält<br />

vom Pkw-Konsortium „keine einem<br />

Drittvergleich vollständig entsprechende<br />

(marktübliche) und mit ihren potenziellen<br />

Haftungsrisiken korrespondierende Vergütung“.<br />

Die Firma schließt also einen sehr<br />

sonderbaren Deal.<br />

Andreas Scheuer habe„die FirmaToll Collect<br />

verstaatlicht, um den Preis für das finale<br />

Angebot bei der PKW Maut zu drücken. Das<br />

ist ein absolutes Unding“, sagt FDP-Verkehrspolitiker<br />

Luksic. Der haushaltspolitische<br />

Sprecher der Grünen begrüßt zwar die<br />

Verstaatlichung. Doch Sven-Christian Kindler<br />

ärgert sich auch, „dass Scheuer Toll Collect<br />

als staatseigene Firma gezielt benutzen<br />

wollte, umdie Kosten bei der PKW-Maut zu<br />

verstecken und es für die privaten Betreiber<br />

attraktiver zu machen“.<br />

Ein Insider, der die Ausschreibung von<br />

Toll Collect miterlebte, berichtet: „Erstaunlich<br />

ist, wie schnell die Entscheidung zur Aufhebung<br />

des Verfahrens fiel. Aufhebung ist<br />

immer die Ultima Ratio, wird mehrfach<br />

überdacht und analysiert und dauert inder<br />

Entscheidungsfindung normalerweise Monate“.<br />

Scheuer verstieß nach Meinung der unabhängigen<br />

und obersten Rechnungsprüfer<br />

in Deutschland gegen das Haushaltsrecht<br />

und gegen das Vergaberecht, um einen Vertrag<br />

zu unterzeichnen, der rechtswidrig war.<br />

Das stellten die Richter am Europäischen<br />

Gerichtshof fest.<br />

Wahrscheinlich wird Scheuer in letzter<br />

Zeit immer mal wieder auf Willi Zylajew angesprochen.<br />

DerRheinländer –ein Katholik,<br />

CDU-Urgestein in NRW und langjähriger<br />

Abgeordneter in Landtag und Bundestag –<br />

hatte im Jahr 2012 nämlich selber die Idee,<br />

eine Ausländermaut einzuführen. Er trug sie<br />

in einem Brief an den damaligen Bundesverkehrsminister<br />

Peter Ramsauer (CSU) vor.<br />

Und der setzte einen Mitarbeiter an das<br />

Thema. „Ramsauer hat seinen Staatssekretär<br />

Scheuer beauftragt, mir zu antworten, und<br />

der hat zurückgeschrieben: das ist mit europäischem<br />

Recht derzeit nicht vereinbar.“<br />

Weil Andreas Scheuer als Staatssekretär<br />

das Gesetz achtete, war Willi Zylajews Vorschlag<br />

vomTisch.

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