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Berliner Zeitung 10.01.2020

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 8 · F reitag, 10. Januar 2020 5<br />

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Politik<br />

Der geistige Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, begrüßt Präsident Hassan Ruhani, Justizminister Ebrahim Raisi und Vizepräsident Eshagh Dschahangiri (v.r.) zur Trauerfeier für General Ghassem Soleimani.<br />

AFP<br />

Zeichen der Entspannung<br />

Im Konflikt zwischen den USA und Iran bietet Washington der Teheraner Führung Verhandlungen an. Die Bundeswehr bleibt im Nord-Irak stationiert<br />

Nach den gezielten Militärschlägen<br />

zwischen den<br />

USA und dem Iran stehen<br />

die Zeichen vorerst<br />

auf Entspannung. „Wir sind bereit für<br />

ernsthafte Verhandlungen mit dem<br />

Iran ohne Vorbedingungen“, schrieb<br />

die amerikanische UN-Botschafterin<br />

Kelly Craft an den UN-Sicherheitsrat.<br />

Teheran betonte, man wolle die USA<br />

mit politischen Mitteln aus der Region<br />

vertreiben. Trotz der Entspannungssignale<br />

hält Nato-Generalsekretär<br />

Jens Stoltenberg die Lage weiter<br />

für unberechenbar.„Es ist in niemandes<br />

Interesse, einen neuen<br />

Konflikt zu haben“, sagte der Norweger<br />

am Donnerstag in Brüssel.<br />

Gezielte Tötung des Generals<br />

Die Lage am Persischen Golf war eskaliert,<br />

nachdem die USA den iranischen<br />

Top-General Ghassem Soleimani<br />

Ende vergangener Woche in<br />

Bagdad gezielt getötet hatten. Der<br />

Iran hatte in der Nacht zum Mittwoch<br />

mit einem –angekündigten –Angriff<br />

auf zwei von den USA genutzte Militärbasen<br />

im Irak geantwortet. Danach<br />

hatten US-Präsident Donald<br />

Trump und Irans Staatschef Hassan<br />

Ruhani angekündigt, den Konflikt zunächst<br />

auf politischer Ebene führen<br />

zu wollen. Ruhani warnte aber am<br />

Reichweiten ballistischer Raketen Irans<br />

ungefähre Reichweiten<br />

1000 km<br />

IRAK<br />

ISRAEL<br />

SAUDI-<br />

ARABIEN<br />

IRAN<br />

Indischer<br />

Ozean<br />

RUSSLAND<br />

2000 km<br />

750 km<br />

700 km<br />

500 km<br />

300 km<br />

INDIEN<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: DIA/USA (DEFENSE INTELLIGENCE AGENCY), AFP<br />

Donnerstag: „Falls die Amerikaner einen<br />

weiteren Fehler begehen sollten,<br />

werden sie eine sehr gefährliche Antwortdes<br />

Irans erhalten.“<br />

DieLage im Irak blieb angespannt:<br />

Am späten Mittwochabend schlugen<br />

in der hoch gesicherten Grünen Zone<br />

in Bagdad, in der sich die US-Botschaft<br />

befindet, erneut zwei Raketen<br />

des Typs Katjuscha ein. Solche Angriffe<br />

werden oft örtlichen Milizen zugeschrieben,<br />

von denen manche<br />

auch vomIranunterstützt werden.<br />

Die amerikanische UN-Botschafterin<br />

schrieb in ihrem Brief an den<br />

UN-Sicherheitsrat, Ziel müsse es<br />

sein, eine weitere Gefährdung des<br />

Friedens sowie eine weitere Eskalation<br />

durch den Iran zu verhindern.<br />

Falls die Situation in Nahost es erfordere,<br />

seien die USA darauf vorbereitet,<br />

„zusätzliche Maßnahmen“ zu ergreifen,<br />

um Amerikaner in der Region<br />

zu schützen. Für den Fall, ihre<br />

Bürger aus dem Nahen Osten ausfliegen<br />

zu müssen, verlegten die USA<br />

bereits mehrere Hubschrauber und<br />

Flugzeuge nach Zypern.<br />

US-Vizepräsident Mike Pence<br />

ging davon aus, dass der Iran den<br />

Konflikt nicht weiter anheizen wolle.<br />

Es gebe einige ermutigende Geheimdienstinformationen,<br />

nach denen<br />

Teheran Botschaften an ihreverbündeten<br />

Milizen schicke,sich nicht<br />

gegen amerikanische Ziele oder Zivilisten<br />

zu wenden. „Und wir hoffen,<br />

dass diese Botschaft zu einem Echo<br />

führt“, sagte Pence am Mittwoch<br />

(Ortszeit) CBS News.<br />

Er glaube, „dass wir heute sicherersind“<br />

als vorder Tötung Soleimanis.<br />

„Wir streben keinen Regimewechsel<br />

im Iran an, aber wir wollen,<br />

dass das Regime sein Verhalten ändert.“<br />

Zuvor hatte Trump moderatere<br />

Töne angeschlagen und neue<br />

Wirtschaftssanktionen gegen den<br />

Iran angekündigt, aber keine weiterenMilitärschläge.<br />

Die Nato reagierte auf Trumps<br />

Aufforderung, das Militärbündnis<br />

müsse zusätzlich zur Stabilität im<br />

Nahen Osten und dem Kampf gegen<br />

Terrorismus beitragen. Die Nato<br />

habe das Potenzial dazu, sagte Stoltenberg.<br />

„Und wir prüfen, was wir<br />

zusätzlich tun können.“<br />

DieDemokraten im US-Abgeordnetenhaus<br />

kündigten indes an, sie<br />

wollten schon an diesem Donnerstag<br />

eine Resolution einbringen, um<br />

ein mögliches militärisches Vorgehen<br />

Trumps gegen den Iran zu begrenzen.<br />

Auch einzelne republikanische<br />

Senatoren wollten aus Unmut<br />

über dasVorgehen der Trump-Regierung<br />

der Resolution zustimmen.<br />

Verteidigungsausschuss tagt<br />

Bei dem Vergeltungsschlag der Iraner<br />

in der Nacht zum Mittwoch warennach<br />

US-Angaben elf Raketen im<br />

Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad<br />

westlich von Bagdad und fünf in Erbil<br />

eingeschlagen. Die Iraker sprachen<br />

von 22 Raketen. Alle gingen<br />

demnach über Standorten der von<br />

den USA angeführten internationalen<br />

Koalition zur Bekämpfung der<br />

Terrormiliz Islamischer Staat (IS)<br />

nieder. Im Irak sind auf mehreren<br />

Stützpunkten rund 5000 US-Soldaten<br />

stationiert. Der Iran hatte auch<br />

eine Militärbasis im Raum Erbil angegriffen.<br />

Dort sind etwa 100 deutsche<br />

Soldaten im Einsatz, die unversehrtblieben.<br />

Bundesverteidigungsministerin<br />

Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte<br />

am Donnerstag, die irakische<br />

Regierung müsse dringend über die<br />

Zukunft des internationalen Militäreinsatzes<br />

entscheiden. Deutschland<br />

sei bereit, den Einsatz fortzusetzen,<br />

sagte die CDU-Politikerin nach einer<br />

Sondersitzung des Verteidigungsausschusses<br />

des Bundestags. Die<br />

Bundeswehr ziehe allerdings etwa 26<br />

der noch mehr als 100 Männer und<br />

Frauen aus dem Einsatz in Erbil ab,<br />

weil deren Einsatzzeit abgelaufen<br />

sei. „Alle anderen Kräfte bleiben vorerst<br />

auch in Erbil“, sagte sie. „Erbil<br />

wird weiterbetrieben.“ Parallel tagte<br />

der Auswärtige Ausschuss in einer<br />

Sondersitzung.<br />

Die EU stellte am Donnerstag<br />

klar, dass sie das Atomabkommen<br />

mit dem Iran entgegen dem Willen<br />

Trumps nicht aufgeben will. DasAbkommen<br />

sei eine wichtige Errungenschaft<br />

gewesen und bleibe ein wichtiges<br />

Werkzeug für die Stabilität in<br />

der Region, teilte der Sprecher von<br />

EU-Ratschef Charles Michel nach einem<br />

Telefonat Michels mit dem iranischen<br />

Präsidenten Ruhani mit. Michel<br />

habe Ruhani dazu aufgerufen,<br />

unwiderrufbare Handlungen zu unterlassen.<br />

Trump hatte die andem<br />

Abkommen beteiligten Staaten<br />

Großbritannien, Deutschland,<br />

Frankreich, Russland und China am<br />

Mittwoch dazu aufgerufen, nicht<br />

länger daran festzuhalten. (dpa)<br />

Krieg der Worte<br />

75 Jahre nach der Befreiung Europas vom Nazi-Terror liefern sich Russland und Polen verbale und diplomatische Schlachten um das korrekte historische Gedenken<br />

VonUlrich Krökel, Warschau<br />

Die Rede war kurz Rede, die Wirkung<br />

groß. Der russische PräsidentWladimir<br />

Putin hat mit wenigen<br />

Sätzen zur Geschichte des Zweiten<br />

Weltkriegs in Polen einen Sturm der<br />

Entrüstung ausgelöst, der täglich an<br />

Kraft gewinnt. Zuletzt sagte Präsident<br />

Andrzej Duda seine Teilnahme<br />

am Welt-Holocaust-Forum in Jerusalem<br />

ab, weil Putin dort sprechen<br />

sollte, er selbst aber nicht. Dabei<br />

hatte der Kremlchef seine Aussagen<br />

bereits vor Weihnachten getätigt.<br />

Unter anderem hatte er Jozef Lipski,<br />

der in den Dreißigerjahren Polens<br />

Botschafter in Berlin war,als„antisemitisches<br />

Schwein“ bezeichnet. Belegt<br />

ist, dass Lipski die vonden Nazis<br />

geplante Deportation von Juden<br />

nach Afrika öffentlich gerühmt hat.<br />

Putin ging es allerdings um mehr<br />

als um eine zwielichtige historische<br />

Figur.Inseiner Pressekonferenz zum<br />

Jahresende wies er Polen eine Mitschuld<br />

am Ausbruch des Weltkriegs<br />

zu und verteidigte den Hitler-Stalin-<br />

Pakt, der den Überfall der Deutschen<br />

Wehrmacht auf Polen am 1. September<br />

1939 erst ermöglichte. Die Sowjetunion,<br />

erklärte der russische<br />

Präsident, sei „der letzte Staat Europas“<br />

gewesen, der einen Nichtangriffspakt<br />

mit der NS-Führung unterzeichnet<br />

habe. Tatsächlich<br />

schloss Polen mit dem Deutschen<br />

Reich 1934 einen solchen Vertrag,<br />

den Hitler 1939 kündigte.<br />

Putins Erinnerungslücke<br />

Polnisches Gedenken an den Zweiten Weltkrieg auf der Westerplatte<br />

pen im Baltikum und in Ostpolen ein<br />

und eroberten die Gebiete.<br />

Entsprechend hoch schlagen die<br />

Wellen nun in Warschau. Premier<br />

Mateusz Morawiecki warf Putin vor,<br />

in Bezug auf Polen „mehrfach bewusst<br />

gelogen“ zu haben. Aber auch<br />

IMAGO IMAGES<br />

Aus Putins Sicht ergibt sich daraus<br />

und aus der westlichen Beschwichtigungspolitik<br />

gegenüber Hitler eine<br />

Rechtfertigung Stalins. Die Sowjetunion<br />

habe damals allein gestanden<br />

und keine andere Wahl gehabt, als<br />

den Ausgleich mit den Nazis zu suchen.<br />

Was Putin unterschlägt: Der<br />

Hitler-Stalin-Pakt enthielt in einem<br />

geheimen Zusatzprotokoll einen<br />

Kriegsplan. DieSowjetunion und das<br />

Deutsche Reich teilten darin den Osten<br />

des Kontinents in sogenannte Interessensphären<br />

auf: Am 17. September<br />

marschierten Stalins Trupwestliche<br />

Diplomaten kritisierten<br />

den Kremlchef scharf. Die US-Botschafterin<br />

in Warschau, Georgette<br />

Mosbacher, wies Putin darauf hin,<br />

dass sich Hitler und Stalin 1939 „verabredeten,<br />

den Krieg zu beginnen“.<br />

Polen sei Opfer,nichts sonst.<br />

DieVerbalschlachten werden sich<br />

im Gedenkjahr 2020 wohl fortsetzen.<br />

In den kommenden Monaten erinnertsich<br />

die Welt bei diversen Anlässen<br />

an die Überwindung des NS-Terrors.<br />

Der Gedenkreigen beginnt<br />

Ende Januar in Auschwitz und erreicht<br />

im Mai mit dem 75. Jahrestag<br />

der deutschen Kapitulation seinen<br />

Höhepunkt. Aber schon die Feiern<br />

am 27. Januar zur Erinnerung an die<br />

Befreiung des größten NS-Vernichtungslagers<br />

in Auschwitz-Birkenau<br />

durch sowjetische Truppen droht zu<br />

einem Fiasko der Versöhnungspolitik<br />

zu werden: Putins Teilnahme gilt<br />

in Polen als unerwünscht.<br />

Innenpolitischer Profit<br />

Dem Kremlchef spielt die Zuspitzung<br />

allerdings in die Karten. Denn<br />

für Putin gilt dasselbe wie für die polnische<br />

PiS. Er profitiert innenpolitisch<br />

von der Aufwallung nationalistischer<br />

Stimmungen. Dastrifft umso<br />

mehr zu, als die historischen Debatten<br />

kaum ohne den aktuellen Bezugsrahmen<br />

zu verstehen sind. Im<br />

Streit mit dem Westen um die Nato-<br />

Osterweiterungen verweist Moskau<br />

seit Jahren auf eine drohende Einkreisung<br />

Russlands, wie zu Zeiten<br />

der frühen Sowjetunion. In dieser<br />

Lesart wird dann nicht nur Stalins<br />

Kriegspakt mit Hitler zu einer legitimen<br />

Verteidigungsmaßnahme, sondern<br />

auch die aktuelle russische<br />

Ukraine-Politik samt Krim-Annexion.<br />

Aber auch die Regierung in Polen<br />

spielt historische Karten gern inder<br />

Gegenwart aus. Zuletzt machte die<br />

PiS mit Reparationsforderungen an<br />

Deutschland Wahlkampf. Vorallem<br />

aber wird die deutsch-russische<br />

Nord-Stream-Pipeline immer wieder<br />

in den geschichtlichen Kontext<br />

von 1939 gerückt. Schon 2006 stellte<br />

der damalige Verteidigungsminister<br />

Radoslaw Sikorski das Projektineine<br />

„Traditionslinie“ mit dem Hitler-Stalin-Pakt.<br />

Was bei all dem aus dem<br />

Blick gerät, ist die Erinnerung an die<br />

Opfer – und das in dem vielleicht<br />

letzten runden Gedenkjahr, indem<br />

noch Zeitzeugen leben.

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