ZETT No. 3
900 Jahre Stadtjubiläum Freiburg Kulturförderung. Wer bekommt was? Angst in der Kunst ...
900 Jahre Stadtjubiläum Freiburg
Kulturförderung. Wer bekommt was?
Angst in der Kunst
...
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Bücher
Herzrutschen
Angst in der Kunst
Frau Domschke, als ich gestern Freunden gegenüber
Ihren Buchtitel „Angst in der Kunst“ erwähnte, meinten
diese, oh, da gehe es bestimmt um Wolfgang Beltracchi
und seine damalige Angst vor Entdeckung. Ist das eine
typische Freiburger Interpretation, weil Beltracchi hier
gelebt hat und wohl auch ziemlich beliebt ist?
Man kann sich gut vorstellen, dass ein Kunstfälscher
Angst hat entdeckt zu werden; das ist eine ganz reale
Angst. In dem Buch geht es aber weniger um Angst der
Künstler, sondern darum, wie Künstler Angst verarbeiten,
also um Fragen wie: Wie sieht Angst aus? Kann man
Angst begreifen? Manchmal versteht man Angst gar
nicht, wenn sie verbal beschrieben wird. Manchmal ist
sie auch geradezu unaussprechlich schrecklich. Künstler
haben das Talent, Gefühle und eben auch Angst sichtbar
zu machen; darum geht es hier: Ein Bilderbuch der Angst
sozusagen.
Foto: Arne Bicker
von Arne Bicker
In Ihrem Buch erklären Sie, dass Angst etwas sehr
Natürliches sei. Übertriebene und vor allem grundlose
Angst könne jedoch ein Krankheitsbild prägen. Leidet
unser Land oder leiden große Teile davon aktuell an einer
krankhaften Angststörung?
Man muss da die reale, die Überlebensangst, von der
pathologischen Angst unterscheiden. Pathologische
Angst ist dadurch gekennzeichnet, dass sie übermäßig
häufig auftritt, übermäßig lange andauert, in Situationen
auftritt, in denen man eigentlich gar keine Angst
haben muss und dass es Beeinträchtigungen im alltäglichen
sozialen oder beruflichen Leben und dementsprechend
einen Leidensdruck gibt. Diese spezifischen
Phobien, soziale Phobie, Agoraphobie, Panikstörung
und Generalisierte Angststörung, betreffen ungefähr
14 Prozent aller Menschen in Europa innerhalb eines
Jahres; das sind 60 Millionen Menschen in der EU. Das
sind doppelt so viele Erkrankungen wie zum Beispiel bei
Depressionen – zusätzlich zur Angst als ganz normaler
Grundemotion – und darum geht es in dem Buch.
Die Frage bezog sich eigentlich eher auf gesellschaftlich-politische
Tendenzen wie einer kollektiven Angst
vor Flüchtlingen, Angst vor Neofaschismus oder vor dem
Klimawandel…
Ich bin kein Soziologe, muss also hier ein bisschen dilettieren.
Ich kann aber berichten von der R+V Versicherung,
die jährlich eine Umfrage macht zu den Ängsten
der Deutschen. Das geht in diese Richtung: Migration,
Terrorismus, Naturkatastrophen, CO2 und so weiter.
Angst spielt in Deutschland schon eine gewisse Rolle,
man spricht ja auch von der ‚German Angst‘. Ich kann
nur sagen, dass diese subklinischen Ängste, die nicht
krankhaft sind sondern vielleicht eher einer gewissen
psychologischen Wellenbewegung folgen, laut einer
wissenschaftlichen Erhebung zumindest nicht zunehmen.
Vielleicht liegt ein anderes Empfinden auch darin
begründet, dass Medien diese Ängste aufgreifen und
ihnen dadurch ein Forum schaffen.
Das hatte ich befürchtet. Wir Deutsche lesen und sehen
auch überdurchschnittlich gerne Krimis, also Geschichten
um Angst einflößende Verbrechen. Ist es ein Teil der
deutschen Seele, Angst haben zu wollen?
Das betrifft nicht nur die Deutschen, sondern die ganze
Welt. Man spricht hier von der sogenannten Angstlust,
bei der man die Angst sucht als Nervenkitzel, als
Thrill, aber in der sicheren Überzeugung, dass die Angst
nicht in die Gefahr oder in den Tod führt. Das betrifft
auch Horrorfilme, Achterbahnen und Geisterbahnen
oder Bungee-Jumping. Das sind Situationen, in denen
man mit dem Adrenalin der Angst spielt; für manche
ist das das Salz in der Suppe. Angst ist also nicht immer
nur negativ; sie kann einen auch beflügeln und letztlich
auch Mut machen.
Haben Sie denn selber manchmal Angst, als Ärztin in
dem diagnostisch schwierigen Bereich der Psychiatrie
vielleicht einen Fehler zu machen?
Also ich glaube, die Fehlerkultur ist etwas ganz wichtiges,
dass man keine Angst haben darf, Fehler zu machen.
Aber selbstverständlich muss man sich bemühen,
Fehler, so gut es geht, zu vermeiden. Deshalb haben wir
eine sehr, sehr lange Ausbildung, arbeiten immer unter
44 zett. November 2019