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ZETT No. 3

900 Jahre Stadtjubiläum Freiburg Kulturförderung. Wer bekommt was? Angst in der Kunst ...

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Musik

Foto: Arne Bicker

Das Genie

am Flügel

von Iko Bebic

Im Proberaum: Hier verbringt

Igor Kamenz einen Großteil seiner

Lebenszeit.

Es ist nicht immer von Vorteil, mit 13

Jahren so begabt zu sein, dass man einen

Jumbo Jet problemlos fliegen kann.

Wer will schon in ein Flugzeug einsteigen,

wenn er weiß, dass ein 13-jähriger

für den gesamten Flug verantwortlich

ist? So könnte man, übertragen auf die

klassische Musik, die Fähigkeiten des Igor

Kamenz umschreiben, der als 13-jähriger

schon so besonders war, dass er ein großes

Orchester dirigieren konnte.

Das geschah am 25. April 1978, als Igor

Kamenz mit dem ehemaligen Staatsorchester

der UdSSR im Moskauer Kreml

„The Gadfly“ von Dmitri Schostakowitsch

mit über 60 Musikern aufführte. Unter

den Zuhörern befand sich der damalige

Staats- und Parteichef Leonid Iljitsch

Breschnew. Auch er galt als ein Bewunderer

des jungen Dirigenten, mit dem

sich die damalige UdSSR Führung gerne

schmückte.

Das Konzert wurde in der gesamten Sowjetunion

und in allen sogenannten Bruderländern,

darunter Polen, Ungarn und

die ehemalige DDR, live im Fernsehen

übertragen. Die Begeisterung war riesig,

und eine große Karriere wurde dem Jungen

prophezeit, der 1965 in Chabarowsk,

im fernen Osten der ehemaligen Sowjetunion,

das Licht der Welt erblickt hatte.

Bereits im Alter von vier Jahren erkannten

seine Eltern, die ebenfalls Pianisten waren,

die außergewöhnliche musikalische

Begabung ihres Sohnes.

Drei Monate nach dem Konzert im

Kreml stellten die Eltern in Novosibirsk

einen Ausreiseantrag für sich und ihren

hochbegabten Sohn, mit dem Vorhaben,

nicht mehr in die Sowjetunion zurückzukehren.

Dass dieser Antrag von den

Behörden in Sibirien bewilligt wurde, lag

zum einen am Respekt vor dem selbst

in Moskau gefeierten Wunderkind, zum

anderen an der geografischen Ahnungslosigkeit

der lokalen Beamten, die Westund

Ostdeutschland nicht zu unterscheiden

wussten. Am 6. Juli 1978 nahm Igor

Kamenz die letzte Klavierstunde bei seiner

damaligen Lehrerin, und noch am selben

Tag ließ er Russland hinter sich und

„floh“ mit seinen Eltern nach Hamburg.

Im Westen war es nicht einfach, einen

13jährigen Jungen anzupreisen, der ein

Staatsorchester dirigieren konnte. Der

Anspruch, dass ein Kind vor erwachsenen

Berufsmusikern den Taktstock schwingen

sollte, war den Konzerthäusern und speziell

den älteren Kollegen suspekt. So entschied

die Familie, die weitere Laufbahn

des Jungen nicht auf eine Dirigentenkarriere,

sondern vor allem auf das Klavier

auszurichten.

In den Jahren 1974 bis 2000 nahm das

Wunderkind Igor Kamenz an 77 internationalen

Klavierwettbewerben teil und

sammelte 60 Preise, davon 18 für erste

Plätze. Sich immer wieder dem Urteil einer

internationalen Jury, dem Druck des

Wettbewerbs und der Missgunst mancher

Konkurrenten zu stellen, ist eine

große Herausforderung, und wer diese

Tortur auf sich nimmt, muss aus einem

besonderen Holz geschnitzt sein. Er muss

sich ganz auf sich selbst und seine Aufgabe

konzentrieren können, auf kleinste

Details Wert legen und unendlich viel

üben. Diese Besessenheit ist kennzeichnend

für Igor Kamenz und schlägt sich

in dem nieder, was man hört, wenn er

sich an den Flügel setzt. Selbst vielfach

gehörte Stücke erscheinen unter seinen

Händen in einem neuen Licht.

Parallel zu diesen Wettbewerben studierte

Igor Kamenz an der Musikhochschule

in Hamburg, wo er 1998 sein Diplom

„Dirigieren Orchester“, 1999 sein

Diplom „Klavier“ und 2002 sein Diplom

„Konzert-Examen Klavier“ bekam. Daneben

war er zwischen 1981 und 1986

Schüler von Sergio Celebidache in München

und von 1981 bis 2006 Schüler von

Vitali Margulis in Freiburg. Beide haben

ihn nach eigenen Aussagen sehr geprägt,

ohne dass er diesen Einfluss genau definieren

könne: „Jede Erklärung wäre zu

zett. November 2019

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