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Berliner Zeitung 28.01.2020

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16 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 23 · D ienstag, 28. Januar 2020<br />

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Wissenschaft<br />

Das Forschungsschiff „Polarstern“ im arktischen Meereis, aufgenommen im vergangenen Oktober.Dawurde es tagsüber noch hell im hohen Norden. Zurzeit geht die Sonne dortgar nicht mehr auf, geforscht wird dennoch.<br />

MARCEL NICOLAUS<br />

Methanmessungen über der Arktis<br />

Potsdamer Geoforscher erkunden, warum die Treibhausgaskonzentrationen ansteigen und wie stark Grönland inzwischen von Eisalgen betroffen ist<br />

VonHeikeKampe<br />

Forschungsreisen sind für<br />

den Potsdamer Geowissenschaftler<br />

Torsten Sachs eigentlich<br />

Routine. „Aber<br />

diesmal ist es trotzdem etwas Besonderes“,<br />

sagt er. Ende vergangener<br />

Woche ist er nach Norwegen geflogen.<br />

In Tromsø absolviert erzurzeit<br />

ein Sicherheitstraining. Das ist auch<br />

notwendig, denn die folgenden zwei<br />

Monate wirderinlebensfeindlichem<br />

Gebiet verbringen, in dem Eiseskälte,<br />

absolute Dunkelheit und vielleicht<br />

auch Eisbären warten.<br />

Mit einem russischen Eisbrecher<br />

werden sich Sachs und weitere Forscherinnen<br />

und Forscher etwa zwei<br />

Wochen lang den Wegdurch die Arktis<br />

bahnen. Ihr Ziel ist das Forschungsschiff<br />

„Polarstern“. Seit Oktober<br />

des vergangenen Jahres driftet<br />

es – fest eingefroren im Meereis –<br />

durch die Polarnacht.<br />

Steigende Konzentrationen<br />

Mosaic lautet der Name dieser größten<br />

Arktis-Expedition aller Zeiten,<br />

die ein ganzes Jahr lang dauernwird<br />

und vom Alfred-Wegener-Institut in<br />

Bremerhaven geleitet wird. Rund<br />

600 Wissenschaftler aus 19 Nationen<br />

werden abwechselnd vor Ort sein<br />

und Daten zum Klimageschehen erheben.<br />

Bisher ist wenig darüber bekannt,<br />

was in der zentralen Arktis vor allem<br />

im Winter genau geschieht. Es wird<br />

aber immer deutlicher, dass der Klimawandel<br />

sich hier besonders dra-<br />

450 MILLIONEN EURO FÜR FORSCHUNG ZUR ERDE IM WANDEL<br />

Das Vorhaben: 2021 startet<br />

das vomGeoforschungszentrum<br />

(GFZ) Potsdam initiierte<br />

Forschungsprogramm „Erde<br />

im Wandel –Unsere Zukunft<br />

erhalten“. Das Großprojekt<br />

wird vomGFZ und sechs weiteren<br />

Helmholtz-Zentren getragen,<br />

wie vergangene Woche<br />

bekannt wurde.<br />

Das Ziel: Innerhalb vonsieben<br />

Jahren soll das Forschungsprogramm<br />

nicht nur<br />

die Klimaforschung ein großes<br />

Stück voranbringen. Mit<br />

2350 Wissenschaftlernund<br />

einem Jahresbudget von<br />

450 Millionen Euro wollen<br />

die Forscher die großen Zukunftsfragen<br />

angehen.<br />

Die Fragestellungen: In den<br />

Projekten geht es etwa<br />

darum, wie sich Klimaänderungen<br />

auswirken werden.<br />

Aber auch, wie sich Naturkatastrophen<br />

besser vorhersagen,<br />

wie sich Wasserkrisen<br />

managen und gute Frühwarnsysteme<br />

entwickeln lassen.<br />

matisch bemerkbar macht. Und das<br />

Klima hoch im Norden entscheidet<br />

auch darüber, wie sich die Temperaturen<br />

und Niederschläge in Europa<br />

entwickeln.Wenn dieWissenschaftler<br />

diese Prozesse besser verstehen, können<br />

sie ihre Klimamodelle anpassen<br />

und damit genauereVorhersagen für<br />

das Klima der Zukunft treffen.<br />

Bei Torsten Sachs, der am Deutschen<br />

Geoforschungszentrum (GFZ)<br />

in Potsdam forscht, steht das Gas<br />

Methan im Mittelpunkt der Forschung.<br />

Methan ist ein sehr starkes<br />

Treibhausgas,das etwa 25 bis 30 Mal<br />

wirksamer ist als Kohlendioxid. „Seit<br />

2007 steigt nach einer langen Phase<br />

der Stagnation die Methankonzentration<br />

in der Atmosphäre deutlich<br />

an“, erläutertder Forscher.<br />

In den vergangenen fünf Jahren<br />

beobachteten die Wissenschaftler sogar<br />

einen noch rascheren Anstieg als<br />

zuvor. Auch in der Arktis sind die<br />

Messwerte unerwartet hoch. „Vor allem<br />

über offenemWasser und auch in<br />

der Wassersäule“, sagt Sachs.Warum<br />

das so ist, weiß noch niemand genau.<br />

Auftauender Permafrostboden,<br />

Fracking, höhereAktivitäten vonMethan<br />

produzierenden Mikroorganismen<br />

durch steigende Temperaturen –<br />

all das sind mögliche Ursachen. „Es<br />

gibt bisher viel zu wenige Daten“, betont<br />

Sachs.Diese große Lücke wollen<br />

die Forscher wenigstens teilweise<br />

schließen. Die Ergebnisse sollen genauereEinblicke<br />

in den Methankreislauf<br />

ermöglichen.<br />

Mit dem Hubschrauber werden<br />

Sachs und sein Team die Methankonzentration<br />

in der Arktisluft untersuchen.<br />

Bei den Forschungsflügen<br />

misst eine Sonde Methan, Kohlendioxid,<br />

Wasserdampf, Aerosole<br />

und auch die Luftströmungen über<br />

dem Wasser und dem Eis. Während<br />

der Flüge bewegen sich die Forscher<br />

auf zuvor festgelegten Routen 50 bis<br />

100 Kilometer vomSchiff fortund erhalten<br />

so detaillierte Daten über eine<br />

große Fläche. Möglicherweise können<br />

sie hier Orte identifizieren, die<br />

besonders viel Methan ausstoßen.<br />

Zusätzlich werden Eisbohrkerne<br />

viele Informationen über den Methanhaushalt<br />

in der Arktis und die<br />

Ursprünge des Gases liefern.<br />

DieKälte vonbis zu minus 45 Grad<br />

Celsius wird nicht nur für die Menschen<br />

auf der „Polarstern“ zur Herausforderung.<br />

Torsten Sachs hofft,<br />

dass auch seine empfindliche Technik,<br />

mit der er die Methankonzentrationen<br />

messen will, den Temperaturen<br />

trotzen kann. „Ich bin zufrieden,<br />

wenn wir fliegen können und viele<br />

Daten aufzeichnen“, sagt er.<br />

DenAufbruch gen Norden hat die<br />

Biogeochemikerin Liane Benning<br />

vom GFZ noch vor sich. Sie wird im<br />

April zueiner Forschungsreise nach<br />

Grönland aufbrechen. Dort erforscht<br />

sie Mikroorganismen, die eng mit<br />

dem Klimawandel verbunden sind.<br />

Ihr Forschungsobjekt beschreibt sie<br />

so:„Es sieht aus wie Schmutz, ist aber<br />

lebendig.“ Gemeint sind Eisalgen, die<br />

regelmäßig im arktischen Sommer<br />

violette Teppiche auf der Eisoberfläche<br />

bilden. Manchmal sind die Algenblüten<br />

so dicht, dass das Eis fast<br />

schwarzwirkt.<br />

Die Mikroorganismen setzten in<br />

weiten Gebieten Grönlands eine Spirale<br />

in Gang, die die Forscher um<br />

Benning im Projekt Deep Purple besonders<br />

intensiv beobachten wollen.<br />

Das dunkle Pigment schützt die Eisalge<br />

vorder intensiven Sonnenstrahlung.<br />

Gleichzeitig wird durch die Algenblüte<br />

Wärme absorbiert, die wiederum<br />

die Eisschmelzeantreibt. Das<br />

Schmelzwasser fördert das Algenwachstum,<br />

weil es lebensnotwendige<br />

Mineralien enthält –esist ein<br />

Kreislauf, der in den vergangenen<br />

Jahren eine stetig wachsende Algenblüte<br />

hervorgebracht hat und der die<br />

Eisschilde und Gletscher immer<br />

schneller schmelzen lässt.<br />

Neben den Algen verdunkelt aber<br />

auch die Luftverschmutzung Grönlands<br />

Schneedecke.Rußpartikel und<br />

Staub lagern sich darauf ab und<br />

könnten ähnliche Effekte wie die Eisalge<br />

auslösen. Die Zusammenhänge<br />

zwischen Algenwachstum, Klimawandel<br />

und Luftverschmutzung untersuchen<br />

die Wissenschaftler mithilfe<br />

vonDrohnen und Satelliten, die<br />

die Ausbreitung der Algenblüte vermessen.<br />

Während das Eissich in den<br />

letzten Jahren vor allem im Westen<br />

Grönlands dunkel färbte, wollen die<br />

Forscher nun ermitteln, ob auch Gebiete<br />

im Norden, Osten und Süden<br />

betroffen sind. „Wir wollen wissen,<br />

ob das Eis in ganz Grönland viel<br />

schneller schmilzt als zuvor“, erklärt<br />

Liane Benning.<br />

Um die Ökologie der Alge zu verstehen,<br />

bohren die Forscher Schneeund<br />

Eiskerne vorOrt und führen Experimente<br />

durch. Einerseits wollen<br />

sie die Algendichte und die Auslöser<br />

für die Massenvermehrung ermitteln<br />

und andererseits auch untersuchen,<br />

wie viel Rußund Staub die Organismen<br />

einfangen. Letztlich geht<br />

es um Vorhersagen, wo und wann<br />

die biologischeVerdunkelung auftreten<br />

und wie sie Grönlands Klima beeinflussen<br />

wird.<br />

Methan über der Arktis und Eisalgen<br />

auf Grönland –das sind nur zwei<br />

von unzähligen Bausteinen, die im<br />

Gesamtsystem Klima eine wichtige<br />

Rolle spielen. Sie zeigen, wie komplex<br />

und vielfältig Energie- und<br />

Stoffflüsse auf unserer Erde sind und<br />

wie schwierig es ist, die unzähligen<br />

kleinen Puzzleteile zu einem Gesamtbild<br />

zusammenzufügen.<br />

Durchhalten bis März<br />

Bald erhalten Geoforscher deutliche<br />

Unterstützung beim Puzzeln. Denn<br />

das GFZ hat ein großes Forschungsprogramm<br />

initiiert, an dem sich<br />

sechs weitere Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft<br />

beteiligen.<br />

„Erde imWandel“ heißt das Vorhaben<br />

(siehe links) und wird über sieben<br />

Jahre mit 450 Millionen Euro finanziert.<br />

Forscher werden dafür<br />

Grundwasserspiegel untersuchen,<br />

die Eisschmelze beobachten und im<br />

Untergrund nach Georessourcen für<br />

die Energiewende suchen. Einige –<br />

Torsten Sachs etwa –nehmen für solche<br />

Projekte Monate in vollkommener<br />

Dunkelheit und Eiseskälte auf<br />

sich. „Erst am 10. März wird inder<br />

Arktis die Sonne zum ersten Malwieder<br />

aufgehen“, sagt der Forscher.Auf<br />

diesen Moment freut er sich schon.<br />

Mit Albatrossen gegen illegale Fischerei<br />

Die Vögel können nicht gemeldete Schiffe in den Weiten der Ozeane aufspüren und mithilfe von GPS- und Radarmessgeräten deren Positionen weitergeben<br />

VonStefan Parsch<br />

Die Idee ist genial: Albatrosse solleb<br />

dabei helfen, Fälle von illegaler<br />

Fischerei aufzudecken. In einem<br />

großangelegten Test im Indischen<br />

Ozean stattetenWissenschaftler<br />

169 der großen Seevögel mit<br />

Messgeräten und Satellitensendern<br />

aus.Die Tiereerfüllten die Erwartungen:<br />

Sie konnten zahlreiche Schiffe<br />

ausfindig machen, deren Fahrten<br />

nicht bei Behörden angemeldet waren<br />

und die womöglich illegal fischten,<br />

berichten französische Forscher<br />

im Fachmagazin PNAS.<br />

Albatrosse fühlten sich generell<br />

vonFischereifahrzeugen angezogen,<br />

schreibt das Team um Henri Weimerskirch<br />

vom Forschungszentrum<br />

CNRS an der Université de la Rochelle<br />

in Villiers en Bois.Sie könnten<br />

diese Schiffe auf bis zu 30 KilometernEntfernung<br />

entdecken. Einweiterer<br />

Vorteil: Mitder großen Vogelart<br />

lassen sich große Gebiete der Meeresoberfläche<br />

abdecken.„Mit 50 entsprechend<br />

ausgerüsteten Individuen<br />

haben wir einen Überblick<br />

über ein Areal von22Millionen Quadratkilometern“,<br />

sagt Weimerskirch.<br />

Das Team machte sich diese Eigenschaften<br />

zunutze, um illegale Fischerei<br />

auch dort aufzuspüren, wo<br />

eine Überwachung kaum oder nur<br />

mit erheblichem Aufwand möglich<br />

ist. Die Wissenschaftler befestigten<br />

eine teilweise neu entwickelte Messeinheit<br />

an den Albatrossen. Neben<br />

dem Positionsbestimmungssystem<br />

Albatrosse lassen sich wie Spürhunde nutzen.<br />

GPS enthält sie einen Detektor für<br />

Radarwellen. Denn Radar benötigen<br />

die Schiffe zum Navigieren, auch<br />

wenn sie ihr automatisches Identifikationssystem<br />

(AIS) nicht einge-<br />

ALEXANDRE CORBEAU<br />

schaltet haben, um einer Ortung zu<br />

entgehen. Die Übermittlung der<br />

Orts- und Radar-Daten von den Albatrossen<br />

innerhalb weniger Sekunden<br />

an einen Satelliten macht eine<br />

Online-Darstellung der Messdaten<br />

nahezu in Echtzeit möglich.<br />

DieForscher stellten während ihres<br />

Feldversuchs von November<br />

2018 bis Mai 2019 fest, dass in internationalen<br />

Gewässernknapp 37 Prozent<br />

der Schiffe ohne AIS unterwegs<br />

waren. In den ausschließlichenWirtschaftszonen<br />

–also bis 200 Seemeilen<br />

vomLand entfernt –waren es im<br />

Durchschnitt weniger Schiffe.<br />

Allerdings gab es große Unterschiede<br />

zwischen verschiedenen Inselgruppen.<br />

Während nahe den Inselgruppen<br />

Crozet und Kerguelen<br />

weniger als 15 Prozent der Schiffe<br />

ohne AIS unterwegs waren, waren es<br />

bei den Prinz-Edward-Inseln alle 31<br />

Schiffe, deren Radarwellen dort aufgefangen<br />

wurden.<br />

Die Forscher untersuchten auch,<br />

wie gut sich zwei verschiedene Albatrossarten<br />

und verschiedene Altersgruppen<br />

für die Seeüberwachung<br />

eignen. So flogen 21Prozent der Wanderalbatrosse<br />

(Diomedea exulans)direkt<br />

an Schiffe heran, während es bei<br />

den Amsterdam-Albatrossen (Diomedea<br />

amsterdamensis) nur 8,5 Prozent<br />

waren. Außerdem waren erwachseneVögel<br />

imVergleich zu Jungtieren<br />

besser im Aufspüren.<br />

Die Methode könne auch bei anderen<br />

Tierarten wie Meeresschildkröten<br />

oder Haien eingesetzt werden,<br />

um herauszufinden, wo sie<br />

häufig zu Beifang werden, schreiben<br />

die Forscher.Dann könnten entsprechende<br />

Schutzmaßnahmen getroffen<br />

werden. (dpa/fwt)

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