Berliner Zeitung 28.01.2020
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 23 · D ienstag, 28. Januar 2020 3<br />
·························································································································································································································································································<br />
Seite 3<br />
Zweite Play-off-Runde, Spiel fünf,<br />
die Los Angeles Lakers liegen in der<br />
Serie gegen Utah Jazz 1:3 zurück,<br />
eine weitere Niederlage würde das<br />
Aus bedeuten. Sekunden vor Schluss bekommt<br />
ein 18-jähriger Guardder Lakers den<br />
Ball, wenn er trifft, gewinnt sein Team. Kurzes<br />
Dribbling, Wurf, daneben ohne Korbberührung,<br />
ein sogenannter Air Ball.<br />
Es gibt Verlängerung, noch dreimal wirft<br />
Kobe Bryant aus der Distanz: Air Ball, Air<br />
Ball, Air Ball. Die Lakers verlieren, sind ausgeschieden,<br />
nach der Landung in Los Angeles,<br />
so will es die Legende, geht Bryant<br />
schnurstracks in eine Sporthalle und wirft<br />
die ganze Nacht lang auf den Korb. „Das ist<br />
der einzige Typ“, sagt Teamkollege Shaquille<br />
O’Neal nach der Partie in Salt Lake City,„der<br />
den Muthat, solche Würfe zu nehmen.“<br />
Kobe Bryant spielt zu jener Zeit seine<br />
erste Saison in der nordamerikanischen Profiliga<br />
NBA. Dass er in der Crunch Time, der<br />
entscheidenden Phase der Partie, das Vertrauen<br />
von Coach Del Harris bekommt, der<br />
dafür anschließend heftig kritisiertwird, liegt<br />
am Ausfall wichtiger Führungsspieler.Schon<br />
in der folgenden Saison wartet Kobe Bryant<br />
nicht mehr auf die Genehmigung des Coaches,<br />
erwirft, wenn er will, und er will oft.<br />
Egal, ob er trifft oder nicht.<br />
Diese Furchtlosigkeit ist eines der Markenzeichen<br />
in Bryants 20-jähriger NBA-Karriere,<br />
bis heute ist er der Spieler mit den<br />
meisten Fehlwürfen in der Liga. Aber bis zum<br />
vergangenen Sonnabend war er mit 33 643<br />
Zählern auch der drittbeste Punktesammler<br />
in der Ligageschichte hinter Kareem Abdul-<br />
Jabbar und Karl Malone.Dann überholte ihn<br />
LeBronJames und sprach danach Worte, die<br />
wie ein Nachruf klangen, obwohl niemand<br />
ahnen konnte, dass Bryant am Vormittag<br />
darauf mit acht anderen Personen, darunter<br />
seine 13-jährige Tochter Gianna, bei einem<br />
Hubschrauberabsturznahe Los Angeles ums<br />
Leben kommen würde.<br />
Immer nur für die Los Angeles Lakers<br />
James sagte: „Es ist surreal, ich bin glücklich,<br />
einfach nur in einem Atemzug mit Kobe<br />
Bean Bryant genannt zu werden, einem der<br />
größten Basketballspieler, die es je gab, einem<br />
der größten Lakers-Spieler aller Zeiten.<br />
Er ist jemand, zu dem ich aufgeschaut habe,<br />
als ich zur Schule ging.“ Das hat LeBron<br />
James mit vielen Profis gemein, die heute in<br />
der NBA spielen.<br />
Sie bewunderten den eleganten, athletischen,<br />
egozentrischen Bryant der ersten Karrierehälfte,<br />
der sich nicht groß darum<br />
scherte, was andere von ihm dachten. Und<br />
sie bewunderten den milderen, kollegialeren,<br />
freundlichen Bryant der späteren Jahre,<br />
der immer noch zu atemberaubenden Aktionen<br />
in der Lage war.<br />
Zusammen mit Dirk Nowitzki und Tim<br />
Duncan prägte Kobe Bryant die Äranach Michael<br />
Jordan, den er seinerseits bewunderte<br />
und vondem er sich eine Menge abgeschaut<br />
hatte,und bevor Leute wie James,Kevin Durant,<br />
Stephen Curry oder James Harden zu<br />
den Protagonisten in der NBA wurden. Es<br />
war eine Zeit des Übergangs, zunehmend<br />
kamen sehr junge Spieler in die Liga, nicht<br />
zuletzt dem Beispiel Bryants folgend.<br />
Profis aus Europa und vonanderen Kontinenten<br />
strömten in die NBA, die internationale<br />
Vormachtstellung der USA ging verloren,<br />
2004 bei den Olympischen Spielen in<br />
Athen gab es, ohne Bryant, nur Bronze statt<br />
der üblichen Goldmedaille.Klubwechsel von<br />
Topspielern kamen in Mode, oft getrieben<br />
von persönlichen Sympathien, undenkbar<br />
bei Michael Jordan, Magic Johnson oder<br />
LarryBird, die ihreRivalität genossen.<br />
Nowitzki, Duncan und Bryant, die alle<br />
ihregesamte Karrierebeim selbenTeam blieben,<br />
wirkten wie stabilisierende Pfeiler. Sie<br />
modernisierten das Spiel, verkörperten aber<br />
auch traditionelle Werte. Duncan und Nowitzki<br />
auf ruhige und bodenständige Art,<br />
Bryant, der sich selbst den Spitznamen<br />
„Schwarze Mamba“ zulegte, polarisierend<br />
und spektakulär.„Love Me Or Hate Me“, hieß<br />
einer seiner Werbespots.<br />
Schon sein Einstieg in die NBA sorgte für<br />
Zwist. In Philadelphia geboren, als Sohn eines<br />
Basketballprofis teilweise in Italien aufgewachsen,<br />
war der von seinen Eltern nach<br />
einer Fleischsorte und einer Süßigkeit (der<br />
Spitzname seine Vaters war Jellybean) benannte<br />
Kobe Bean Bryant der erste Guard,<br />
der direkt von der High School in die NBA<br />
kam, statt brav ein paar Jahre College zu absolvieren.<br />
Vielen Lakers-Fans gefiel es nicht,<br />
dass für den im Draft 1996 als Nummer 13<br />
von den Charlotte Hornets gewählten und<br />
dann zu den Lakers transferierten Jüngling<br />
im Tausch der beliebte Center Vlade Divac<br />
gehen musste.<br />
Gleichzeitig mit Bryant hatten die Lakers<br />
Shaquille O’Neal vonden Orlando Magic geholt,<br />
doch die Kooperation der beiden war<br />
von Beginn an problembelastet. Der immer<br />
topfitte Perfektionist Bryant fühlte sich zum<br />
Der<br />
Furchtlose<br />
„Das Wichtigste ist es Menschen zu inspirieren, damit sie Großes erreichen können“: Kobe Bryant<br />
Kobe Bryant warf, wann er wollte –und er wollte oft. Egal, ob der Ball im<br />
Korb landete oder nicht. Ehrgeiz, Egozentrik und diese unnachahmbare<br />
Eleganz waren seine Markenzeichen. Nachruf auf einen der besten<br />
Basketballspieler der Geschichte<br />
„Das sind schreckliche<br />
Nachrichten.<br />
Bryant war einer der<br />
wahrhaft größten<br />
Basketballer aller Zeiten<br />
gewesen,<br />
sein Leben hatte gerade<br />
erst begonnen.“<br />
Donald Trump<br />
zeigte sich ebenso berührt<br />
wie die ehemaligen US-Präsidenten Barack<br />
Obama und Bill Clinton.<br />
VonMatti Lieske<br />
„Heute haben<br />
Los Angeles, Amerika<br />
und die Welt einen<br />
Helden verloren.<br />
Wir stehen hier, und unsere<br />
Herzen sind<br />
gebrochen, im Haus,das<br />
Kobe erschaffen hat.“<br />
Alicia Keys<br />
bei der Verleihung der Grammy Awards.<br />
Die Sängerin moderierte die Veranstaltung<br />
in Los Angeles.<br />
POLARIS IMAGES<br />
„Du wirst immer<br />
vermisst werden.<br />
Du wirst immer in<br />
Erinnerung bleiben.<br />
Du wirst immer geliebt<br />
werden. Ruhe in<br />
Frieden mit deinem<br />
Engel Gigi.“<br />
Dirk Nowitzki<br />
teilt seine Trauer auf Twitter mit. Bryant habe ihn<br />
inspiriert, schrieb der frühere Basketballkollege<br />
aus der NBA.<br />
Anführer berufen, ihm missfiel die Dominanz<br />
des Centers und auch dessen gelegentlich<br />
lockere Einstellung, was Training und<br />
Gewichtskontrolle betraf. Erst Coach Phil<br />
Jackson, zuvor sechsmal Champion mit Jordans<br />
Chicago Bulls, gelang es, die beiden<br />
Streithähne zum effektiven Zusammenspiel<br />
zu bewegen, die Folge waren drei Meisterschaften<br />
von2000 bis 2002. Danach trennten<br />
sich die Wege,erst O’Neal, dann Jacksonverließ<br />
die Lakers, und der Coach bezeichnete<br />
Bryant in einem Buch als„untrainierbar“.<br />
Eine Zäsur in seiner Karriere kam 2003<br />
mit der Verhaftung und dem Vergewaltigungsprozess<br />
in Colorado, wegen dem er<br />
nicht nur viele Sponsorenverträge verlor,<br />
sondern auch Olympia 2004 verpasste. Eine<br />
Strafe blieb ihm erspart, weil die Klägerin im<br />
Prozess nicht mehr aussagen wollte, nachdem<br />
sie Bryants hoch bezahltes Anwaltsteam<br />
mit eigentlich illegalen Indiskretionen<br />
und persönlichen Attacken unter Druck gesetzt<br />
hatte. Eine Zivilklage wurde später außergerichtlich<br />
beigelegt, Bryant entschuldigte<br />
sich per Brief bei der betroffenen Frau,<br />
beharrte aber darauf, an einvernehmlichen<br />
Sex geglaubt zu haben. Erneute Proteste gegen<br />
Bryant gab es diesbezüglich, als er ausgerechnet<br />
bei der ganz im Zeichen von Me-<br />
Too stehende Oscarverleihung 2018 den<br />
Academy Awardfür seinen Animationskurzfilm<br />
„Dear Basketball“ gewann.<br />
Die Vergewaltigungsklage fügte Bryants<br />
Image schweren Schaden zu, aber schon vorher<br />
war er ein wegen seines phänomenalen<br />
Spiels zwar respektierter, jedoch nicht überall<br />
beliebter Spieler gewesen. Vor allem in<br />
seiner Heimatstadt Philadelphia, aber auch<br />
andernorts wurde er regelmäßig ausgebuht,<br />
was ihn nicht störte, sondern beflügelte. Er<br />
liebte es, eine feindselige Menge mit seinen<br />
Aktionen auf dem Spielfeld zum Schweigen<br />
und zum Staunen zu bringen. Bryants egoistisches<br />
Spiel vergrätzte auch Teamkollegen,<br />
bei den Lakers und gelegentlich beim All Star<br />
Game,woer18Mal teilnahm.<br />
Trotz aller Vorbehalte kehrte Phil Jackson<br />
2005 als Trainer zu den Lakers zurück und<br />
fand auf einmal einen trainierbaren Bryant<br />
vor. Früher, soJackson, hätte dieser seine<br />
Mitspieler als „persönliche Speerträger“ betrachtet,<br />
nun sähe er sie als Partner. Fortan<br />
betätigtesichKobeBryant auch verstärkt als<br />
Vorbereiter und Passgeber, seine ohnehin<br />
vorbildliche Defense intensivierte er noch,<br />
jungen Spielern half er als Mentor. Was ihn<br />
nicht daran hinderte, imJanuar 2006 gegen<br />
die TorontoRaptors 81 Punkte zum122:104-<br />
Sieg beizusteuern. Nur Wilt Chamberlain<br />
hatte in seinem legendären 100-Punkte-<br />
Match mehr geschafft, aber das war 1962, in<br />
einer anderen Basketball-Ära.<br />
Erst das Knie, dann die Achillessehne<br />
Sukzessive eroberte sich Kobe Bryant die<br />
Sympathien der Fans, war 2008 in Peking<br />
ebenso wie 2012 in London ein wichtiger<br />
Faktor bei den Olympiasiegen des US-Teams<br />
und führte die Los Angeles Lakers als nunmehr<br />
unumschränkter Leader zu zwei weiteren<br />
Titeln 2009 und 2010. Zuvor wurde er<br />
2008 zum Most Valuable Player (MVP) der<br />
NBA-Saison gewählt, zum ersten und einzigen<br />
Male, was viel über die Vorbehalte gegenüber<br />
dem lange Zeit besten Akteur der<br />
Liga aussagt.<br />
Nach dem Titelgewinn 2010 war das zunehmend<br />
chaotische Management der Los<br />
Angeles Lakers nicht mehr in der Lage, Bryant<br />
ein konkurrenzfähiges Team für den Titelkampf<br />
an die Seitezustellen. Zudem plagten<br />
ihn Knieprobleme, 2012 riss dann im<br />
Spiel gegen die Golden State Warriors seine<br />
Achillessehne, wonach er typischerweise<br />
schnell noch zwei Freiwürfe verwandelte,<br />
bevor er das Feld verließ. DieLakers-Fansbegannen<br />
zu grummeln, als er von 2013 bis<br />
2015 wegen Verletzungen wenig spielte,aber<br />
mit seinem Zweijahresvertrag über fast 50<br />
Millionen Dollar einen beachtlichen Teil der<br />
Gehaltssumme des Teamsblockierte.<br />
Die Saison 2015/16 sollte dann seine<br />
letzte sein, und sie geriet zur rauschenden<br />
Abschiedstournee,obwohl er sich Ehrungen<br />
und Zeremonien in fremden Hallen verbeten<br />
hatte. Woman ihn einst inbrünstig ausgebuht<br />
und beleidigt hatte,wurde er jetzt gefeiert,<br />
was ihn sichtlich wunderte und irritierte,<br />
ihm aber auch guttat. Mit 60Punkten gegen<br />
Utah Jazz beendete er am 13. April 2016 mit<br />
37 Jahren seine Karriere, danach blieb er seinem<br />
Sport verbunden, etwa mit einer eigenen<br />
Fernsehsendung und seiner Basketballschule<br />
„Mamba Academy“.<br />
Dorthin war er am Sonntagmorgen unterwegs,als<br />
der Hubschrauber mit seinen neun<br />
Insassen im Nebel gegen eine Bergwand<br />
prallte.Kobe Bryant wurde 41 Jahrealt.<br />
Matti Lieske<br />
bestaunte Kobe Bryant bei den<br />
Olympischen Spielen in Peking.