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(193-256) (2,0 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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216<br />

MN<br />

walts bzw. der Kanzlei, nämlich der Pflicht, das, was man<br />

von Mandant A erfahren hat, vertraulich zu behandeln, und<br />

der Pflicht, dem Mandanten B alles offenzulegen, was man<br />

an Nützlichem für seinen Fall weiß, einschließlich der Informationen<br />

von Mandant A, und umgekehrt. Hier handelt<br />

es sich um Vertragsansprüche, so dass jeder Mandant sich<br />

damit einverstanden erklären kann, dass ihm die Informationen<br />

des anderen Mandanten nicht offengelegt werden.<br />

Dieser Verzicht wird in der Praxis häufig ausgesprochen,<br />

insbesondere wenn zwischen den Anwälten, die für die beiden<br />

Mandanten tätig sind, sog. Chinese Walls errichtet werden.<br />

Neben diesem Konflikt der zivilrechtlichen Anwaltspflichten<br />

gibt es das berufsrechtliche Verbot, in einem<br />

Konflikt von Mandanteninteressen tätig zu sein. Dieses berufsrechtliche<br />

Verbot ist unverzichtbar. Jedoch: Wenn beide<br />

Mandanten die zivilrechtliche Kollision zwischen Vertraulichkeits-<br />

und Offenlegungspflicht durch Einverständnis geregelt<br />

haben, bleibt der weiterhin bestehende berufsrechtliche<br />

Verstoß ohne Folgen – die Law Society of England<br />

and Wales wird in der Praxis nur auf Antrag tätig. Ein solcher<br />

Antrag wird auch von solchen Mandanten, die mit der<br />

kollidierenden Tätigkeit nicht einverstanden sind, nicht gestellt<br />

werden, denn die Law Society kann die kollidierende<br />

Tätigkeit nicht verhindern, sondern nur ahnden. Diese Mandanten<br />

versuchen vielmehr, ihre zivilrechtlichen Vertraulichkeitsansprüche<br />

im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes<br />

vor Gericht durchzusetzen. Für die Praxis bedeutet dies:<br />

Sind die Mandanten einverstanden, dann sind viele der großen<br />

Londoner Kanzleien interessenkollidierend tätig.<br />

Es gibt einen Wettbewerb<br />

europäischer Berufsrechte<br />

Auf dem Gebiet anwaltlicher Werbung geht die Bandbreite<br />

in Europa von völligem Verbot bis hin zu völliger,<br />

uneingeschränkter Liberalisierung. Bei den Spezialistenbezeichnungen<br />

sieht es ähnlich aus. Einige Länder verbieten<br />

sie völlig, andere haben Fachanwaltsregelungen, wieder andere<br />

kennen die Spezialistenbezeichnung kraft – zutreffender!<br />

– Selbsteinschätzung. 9<br />

Diese Unterschiede führen dazu, dass der Wettbewerb<br />

innerhalb der europäischen Anwaltschaft auch ein Wettbewerb<br />

der europäischen Berufsrechte ist, und dabei ist das<br />

strengere Berufsrecht gegenüber dem liberaleren Berufsrecht<br />

bzw. gegenüber der liberaleren Berufsrechtspraxis im<br />

Nachteil. Um es noch einmal zu betonen: Berufsrecht in<br />

diesem Sinne sind nicht nur die vom Beruf selbst geschaffenen<br />

Berufsordnungen, sondern auch nationale Gesetze,<br />

soweit sie das berufliche Verhalten von Anwälten regeln.<br />

VI. Der genannte Wettbewerb zeigt sich in vielen Einzelpunkten.<br />

Dass Anwaltskanzleien mit ihren Umsätzen werben,<br />

geht auf die Praxis im angelsächsischen Markt zurück,<br />

genauso wie das Zeithonorar. 10 Der Kapitalmarkt kennt den<br />

sogenannten “Tombstone“ (Grabstein). Dies ist nicht etwa<br />

ein Gedenkstein für die zahllosen Opfer des Kapitalmarkts,<br />

sondern eine Zeitungsanzeige, mit der der Abschluss einer<br />

Emission oder einer M&A-Transaktion bekanntgegeben<br />

wird. Dabei werden nicht nur die Finanzberater, sondern zunehmend<br />

auch die eingeschalteten Anwaltskanzleien genannt.<br />

Bei der Einwerbung von Mandaten im sog. Schönheitswettbewerb<br />

– inzwischen auch bei mittelgroßen und<br />

kleineren Mandaten weit verbreitet – werben Anwälte mit<br />

AnwBl 4/2004<br />

Thema<br />

Referenzmandaten. Wen das stört, der sollte bedenken: Bei<br />

Börsentransaktionen werden kraft börsenrechtlicher Vorschriften<br />

und weltweiter Übung die Namen der tätigen Anwaltskanzleien<br />

im Prospekt veröffentlicht, und die Offenlegung<br />

von Referenzmandaten wird durch das europäische<br />

und nationale Vergaberecht sogar gesetzlich gefordert. Was<br />

die Machtverhältnisse innerhalb internationaler Kanzleien<br />

angeht, sind in den meisten Fällen die englischen Partner liberaler<br />

als die kontinentaleuropäischen, und das englische<br />

Berufsrecht, jedenfalls die englische Berufsrechtspraxis, ist<br />

liberaler als das Berufsrecht der anderen beteiligten Länder.<br />

Die Folge ist: Die Praxis wird stark vom englischen Berufsrecht<br />

geprägt. Dass die anderen nationalen Berufsrechte<br />

deshalb überall vielfach faktisch erodieren, liegt wohl auch<br />

daran, dass gegen die nationalen Berufsrechtsverstöße der<br />

internationalen Sozietäten von Seiten der Anwaltsorganisationen<br />

nur selten, und dann meist in Äußerlichkeiten wie<br />

der Gestaltung des Briefkopfes, vorgegangen wird. Will<br />

man sich nicht mit den Großkanzleien anlegen? Weiß man<br />

mangels Beschwerden keine Einzelheiten? Hat man vielleicht<br />

auch ein wenig den Glauben an das eigene Berufsrecht<br />

und dessen Überlebensfähigkeit im gesamteuropäischen<br />

Anwaltsmarkt und -wettbewerb verloren?<br />

Wir haben es mit einer Gesamtentwicklung zu tun, die<br />

vielfach als Kommerzialisierung der Anwaltschaft bezeichnet<br />

worden ist. Auf die Konsequenzen und Gefahren, die<br />

sich aus dieser Entwicklung für traditionelle Grundwerte<br />

im Verständnis vom Rechtsanwalt ergeben können, ist seit<br />

Ende der 90er Jahre auf der Ebene der weltweit tätigen International<br />

Bar Association und der nationalen Anwaltsorganisationen,<br />

auch in Europa und insbesondere hier in<br />

Deutschland – ich erinnere an die Anwaltstage der letzten<br />

Jahre -, mehrfach und in verschiedensten Formen hingewiesen<br />

worden, von Informationsveranstaltungen bis hin zu<br />

Resolutionen – Stichwort: Kommerz versus Ethos. Als jemand,<br />

der sich dabei stark engagiert hat 11 , muss ich feststellen:<br />

Bewirkt hat dies in der Anwaltschaft wenig, in der Öffentlichkeit<br />

gar nichts.<br />

Treibende Kraft dieser Entwicklung für Europa war und<br />

ist, wie gesagt, die Praxis der großen Londoner Kanzleien.<br />

Diese haben sich in diesen Fragen, die von der der Expertise<br />

auf den Feldern der anwaltlichen Tätigkeit sehr wohl<br />

zu unterscheiden sind, am Markt und im Wettbewerb als<br />

überlegen erwiesen. Man sollte einmal den Gründen für<br />

diese Überlegenheit nachgehen. Liegen sie in der englischen<br />

Kaufmannsmentalität, die an der Wiege des Britisch<br />

Empire Pate stand? Oder liegen die Gründe in der Zweiteilung<br />

des englischen Anwaltsberufs – hier der Barrister, der<br />

im wesentlichen nur vor Gericht tätig ist, dort der Solicitor,<br />

der ohne Monopol und im Wettbewerb mit anderen Beratungsberufen<br />

das Beratungsgeschäft betreibt? Mit dieser<br />

Frage will ich andeuten, dass es bei der jetzt festzustellenden<br />

Entwicklung außerhalb Englands mittel- und langfristig<br />

vielleicht auch um die Einheitlichkeit des Anwaltsberufs<br />

und die Einheitlichkeit des anwaltlichen Berufsrechts geht.<br />

Wenn zu lesen war, dass eine der Londoner Großkanzleien<br />

mit weltweiten Büros auf dem Kapitalmarkt bzw. bei Banken<br />

150 Mio Dollar (in 2002) und dann noch einmal (in<br />

2003) 50 Mio Pfund aufgenommen hat, dann ist dies sicher<br />

ein Extremfall, aber gewiss kein Einzelfall. Derselbe Berufsstand<br />

wie ein nationaler Einzelanwalt? Dasselbe Berufs-<br />

9 Im Einzelnen siehe Hellwig, Beilage zum AnwBl. 4/2002, 23 ff<br />

10 Hellwig AnwBl. 1998, 623 ff<br />

11 Vgl. Hellwig Sonderheft zu AnwBl. 2/2000, 29 ff; AnwBl. 2000, 705 ff

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